Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Gewinnfeststellungsbescheid

 

Leitsatz (NV)

1. Vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Gewinnfeststellungsbescheid wird nicht durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung, sondern im Wege der Aussetzung der Vollziehung gewährt.

2. Hat ein Finanzgericht das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung behandelt und dementsprechend hierüber entschieden, so ist die Entscheidung des Finanzgerichts auf Beschwerde aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen.

 

Normenkette

FGO §§ 69, 114

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Gesellschafter der X-GmbH & Co. KG i. L. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hat es abgelehnt, für diese Gesellschaft die beantragten Verluste für die Jahre 1977 bis 1982 festzustellen und den Antragsteller hieran zu beteiligen. Gegen diesen negativen Gewinnfeststellungsbescheid haben die KG und der Antragsteller Einspruch eingelegt. Der Antragsteller beantragte zusätzlich beim Finanzgericht (FG) den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der dem FA untersagt werden sollte, den negativen Gewinnfeststellungsbescheid bis zu einer Entscheidung über die umstrittenen Rechtsfragen bei der Besteuerung seiner Einkünfte zu berücksichtigen. Im Laufe dieses Verfahrens hat er beantragt, das FA zum Erlaß vorläufiger Feststellungsbescheide für 1980 und 1981 zu verpflichten, in denen für ihn anteilige Verluste aus Gewerbebetrieb in bestimmter Höhe festgestellt werden.

Das FG hat diesen Antrag zurückgewiesen, weil es an einem Grund für die begehrte einstweilige Anordnung i. S. von § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) fehle. Die vorgetragenen Gründe müßten derart schwerwiegend sein, daß sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machten. Hierfür habe der Antragsteller nichts vorgetragen; seine Behauptung, daß ohne die begehrte einstweilige Anordnung seine berufliche und wirtschaftliche Existenz bedroht sei, genüge nicht.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er geltend macht, daß ihm bei Anerkennung der Rechtsauffassung des FG der vorläufige Rechtsschutz gegen negative Gewinnfeststellungsbescheide versagt würde und er damit schlechter gestellt sei als ein Einzelunternehmer, der im vergleichbaren Falle die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides erlangen könne. Er beantragt daher, den Beschluß des FG aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Beschwerde muß der Beschluß des FG aufgehoben werden. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, daß vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Gewinnfeststellungsbescheid mittels einstweiliger Anordnung gewährt wird (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1977 IV B 33-34/76, BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15; der I. und der VIII. Senat des BFH haben sich dem angeschlossen, Beschlüsse vom 17. Oktober 1979 I S 9/78, BFHE 129, 289, BStBl II 1980, 212; vom 12. April 1984 VIII B 136/83, nicht veröffentlicht - NV -). Nach erneuter rechtlicher Prüfung ist der erkennende Senat jedoch zu der Auffassung gelangt, daß vorläufiger Rechtsschutz in einem derartigen Fall mittels Aussetzung der Vollziehung des negativen Gewinnfeststellungsbescheids gewährt werden müsse. Er hat die Rechtsfrage daher dem Großen Senat des BFH vorgelegt. Dieser hat durch Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85 (BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) entschieden, daß vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Feststellungsbescheid nicht durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung, sondern im Wege der Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. In der Entscheidungsformel sei in einem solchen Falle auszusprechen, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides werde mit der Maßgabe ausgesetzt, daß vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptverfahren von einem Verlust von X DM auszugehen sei, der sich auf die Beteiligten wie folgt verteilt: (Angabe der jeweiligen Daten).

Die angefochtene Entscheidung konnte dieser geänderten Rechtsprechung nicht Rechnung tragen. Das FG hat das Begehren des Antragstellers als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung behandelt und hierüber durch Beschluß entschieden. Der Antrag kann aber auf Grund der geänderten Rechtsprechung trotz der abweichenden Bezeichnung wegen seines sachlichen Inhalts als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung angesehen werden (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 114 Anm. 1 D; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 80 Anm. 11, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Demgegenüber ist es nicht möglich, die Entscheidung des FG in eine solche über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung umzudeuten und hierüber im Beschwerdeverfahren zu entscheiden; dem steht schon Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs über die beschränkte Zulässigkeit von Beschwerden gegen Entscheidungen über die Aussetzung der Vollziehung entgegen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. September 1982 VII B 27/82, NV). Der Senat muß die angefochtene Entscheidung deswegen aufheben und die Sache, wie auch im Beschwerdeverfahren zulässig, zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG wird nunmehr prüfen müssen, ob der Antragsteller im Aussetzungsverfahren überhaupt antragsbefugt ist und ggf., ob an der rechtlichen Beurteilung des FA, die KG habe mangels Gewinnerzielungsabsicht keinen Gewerbebetrieb unterhalten und eine einheitliche Gewinnfeststellung komme deshalb nicht in Betracht, ernstliche Zweifel bestehen oder ob die Vollziehung eine für den Betroffenen unbillige, nicht durch überwiegend öffentliche Interessen gebotene Härte mit sich bringt. Das FG wird bei der Beurteilung der Sachfrage den Beschluß des Großen Senats vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) berücksichtigen können. Zusätzlich wird das FG auch dem Vortrag des FA Rechnung tragen, daß in der Hauptsache inzwischen eine Einspruchsentscheidung ergangen ist, der Antragsteller sie aber nicht mit der Klage angefochten hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415362

BFH/NV 1988, 715

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