Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen Nichtabhilfebeschluß

 

Leitsatz (NV)

1. Fügt das FG einer Entscheidung, mit welcher es ablehnt, einer Beschwerde abzuhelfen, eine Rechtsbelehrung des Inhalts bei, daß den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zustehe, und legt der Kläger Beschwerde ein, liegen zwei Beschwerden vor, weil das FG über die Nichtabhilfe in einem zusätzlich gesonderten Beschluß entschieden hat (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Dezember 1992 VIII B 88, 89/92, BFH/NV 1993, 419).

2. Die Beschwerde gegen den Nichtabhilfebeschluß ist ungeachtet einer unzutreffend erteilten Rechtsmittelbelehrung unzulässig, da der Rechtsmittelführer nur durch den ursprünglichen Beschluß beschwert ist. Diese offensichtlich nicht statthafte Beschwerde kann der BFH verwerfen, ohne vorher eine Nichtabhilfeentscheidung herbeizuführen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Juni 1989 V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850).

3. Zur Begründung dafür, daß die beantragte Aussetzung des Verfahrens abgelehnt wird, kann auf den Inhalt eines durch Antrag auf mündliche Verhandlung gegenstandslos gewordenen Vorbescheids Bezug genommen werden.

4. Von der Erhebung der Gerichtskosten kann nach § 8 GKG abgesehen werden, soweit diese auf eine nach unzutreffender Rechtsbehelfsbelehrung erhobene Beschwerde entfallen.

 

Normenkette

FGO § 113 Abs. 2, §§ 121, 128, 130; GKG § 8

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben eine Untätigkeitsklage betreffend den Lohnsteuerjahresausgleich 1990 erhoben. In der Klageschrift hatten sie beantragt, den Steuerbescheid in der Weise zu ändern, daß bei der Ermittlung der tariflichen Steuer ein Grundfreibetrag in Höhe des für die Familie der Kläger notwendigen Existenzminimums (12 000 DM) angesetzt wird. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit Vorbescheid vom 27. Oktober 1992, dem Prozeßbevollmächtigten zugestellt am 4. November 1992, als unzulässig abgewiesen. Es hat unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Mai 1992 III B 138/92 (BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673) ausgeführt, die Anrufung des Gerichts sei rechtsmißbräuchlich. Eine Aussetzung des Verfahrens komme nicht in Betracht, weil es im vorliegenden Verfahren im wesentlichen um die Auslegung des § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gehe.

Hiergegen beantragten die Kläger rechtzeitig Durchführung der mündlichen Verhandlung. Mit Schreiben vom 16. November 1992 teilten sie dem FG mit, der bisher gestellte Klageantrag werde nicht mehr geltend gemacht; sie beabsichtigten nunmehr zu beantragen, ihnen für den Abzug von Versicherungsbeiträgen einen um 500 DM erhöhten Freibetrag zu gewähren. Zugleich baten die Kläger, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerden 2 BvR 1127/92 und 1136--1138/92 ruhen zu lassen bzw. auszusetzen.

Das FG beraumte einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25. Februar 1993 an. Mit Schreiben vom 15. Februar 1993 beantragten die Kläger, das Verfahren "auszusetzen (§ 74 FGO) bzw. ruhen zu lassen", bis das BVerfG über die Verfassungsbeschwerden abschließend entschieden habe; zugleich baten sie um Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung. Dies lehnte der Vorsitzende Richter am Finanzgericht A als vorbereitender Richter durch Beschluß vom 22. Februar 1993 ab. Wie das FG in seinem Vorbescheid ausgeführt habe, gebe es keine Rechtsgrundlage für eine Aussetzung bzw. für ein Ruhen des Verfahrens. Es gebe weder ein die Terminsaufhebung rechtfertigendes Verfahrenshindernis noch einen hinreichenden Grund für die Aufhebung des Termins (§ 151 FGO i. V. m. § 227 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Beigefügt ist die folgende Rechtsmittelbelehrung: "Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 151 FGO i. V. m. § 227 Abs. 2 Satz 3 ZPO)." Der Beschluß wurde den Beteiligten am 23. Februar 1993 mittels einfachen Briefs übersandt.

Die mündliche Verhandlung wurde am 25. Februar 1993 durchgeführt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger, ihm sei der Beschluß vom 22. Februar 1993 "bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung weder zugestellt noch sonst bekanntgegeben worden". Er lege nunmehr gegen diesen Beschluß Beschwerde ein. Die mündliche Verhandlung endete mit dem Beschluß des FG, daß die Sache vertagt werde.

Am 1. September 1993 beschloß das FG in der Besetzung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO, der Beschwerde vom 25. Februar 1993 gegen den Beschluß vom 22. Februar 1993 werde nicht abgeholfen. Das FG erteilte eine Rechtsmittelbelehrung u. a. des Inhalts, daß den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zustehe. Der Beschluß wurde den Beteiligten zugestellt. Die Kläger haben Beschwerde eingelegt, die sie trotz diesbezüglicher mehrfacher Ankündigung nicht begründet haben.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Kläger haben zwei Beschwerden eingelegt. Es handelt sich nicht um die wiederholte Einlegung der Beschwerde gegen ein und dieselbe Entscheidung, da das FG über die Nichtabhilfe in einem zusätzlichen gesonderten Beschluß befunden hat (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Dezember 1992 VIII B 88, 89/92, BFH/NV 1993, 419; zur mehrfachen Einlegung der Revision s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 120 Rdnr. 16, m. w. N.). Der Senat verbindet beide Beschwerdeverfahren zu gemeinsamer Entscheidung (§§ 73, 121 FGO; vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 132 Rdnr. 4).

2. Die Beschwerde gegen den Nichtabhilfebeschluß vom 1. September 1993 ist ungeachtet der insoweit unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung unzulässig, da die Kläger nur durch den ursprünglichen Beschluß beschwert sind (vgl. Entscheidungen des BFH vom 26. April 1972 II B 31/72, BFHE 105, 333, BStBl II 1972, 575; vom 8. Mai 1992 III B 163/92, BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675, unter Nr. 4 der Gründe; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 130 FGO Tz. 15). Diese -- offensichtlich nicht statthafte -- Beschwerde konnte der Senat als unzulässig verwerfen, ohne vorher eine Nichtabhilfeentscheidung herbeizuführen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850).

3. Die Beschwerde gegen den Beschluß vom 22. Februar 1993 ist insofern nicht statthaft, als sie sich gegen die Ablehnung der Vertagung richtet. Eine solche Verfügung ist nicht selbständig anfechtbar (§ 128 Abs. 2 FGO, § 151 FGO i. V. m. § 227 Abs. 2 Satz 3 ZPO; vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 91 Rdnr. 8).

4. Entgegen der im Beschluß erteilten Rechtsmittelbelehrung ist die Beschwerde insofern statthaft, als der vorbereitende Richter es abgelehnt hat, das Verfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen (vgl. hierzu Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rdnr. 20, 25). In diesem Umfang ist die Beschwerde unbegründet.

a) Zutreffend hat das FG ausgeführt, ein Ruhen des Verfahrens komme mangels übereinstimmender Anträge der Beteiligten nicht in Betracht.

b) Das FG hat auch die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO rechtsfehlerfrei abgelehnt. Zur Begründung hat es Bezug genommen auf den Inhalt des Vorbescheides vom 27. Oktober 1992. Dies war für die nach § 113 Abs. 2 FGO erforderliche Begründung ungeachtet dessen ausreichend, daß der Vorbescheid zwischenzeitlich durch den Antrag auf mündliche Verhandlung vom 10. November 1992 gegenstandslos geworden war. Zwar gelten hinsichtlich Inhalt und Umfang der erforderlichen Begründung die für die Begründung von Urteilen entwickelten Grundsätze entsprechend (Senatsbeschluß vom 1. Juni 1988 X B 41/88, BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838). Nach dem BFH-Urteil vom 1. April 1977 VI R 83/74 (BFHE 122, 227, BStBl II 1977, 642) reicht eine Bezugnahme auf einen nicht mehr existenten Vorbescheid nicht aus, um i. S. des § 155 FGO i. V. m. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO "die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben". Die Bezugnahme auf rechtliche Ausführungen in einem Vorbescheid ist hingegen geeignet, den tragenden Grund für die Ablehnung einer Aussetzung des Verfahrens zu benennen.

5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Weil das FG dem Nichtabhilfebeschluß vom 1. September 1993 eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung beigefügt hat, werden die Gerichtskosten zur Hälfte nicht erhoben (§ 8 des Gerichtskostengesetzes).

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 59

BFH/NV 1995, 60

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