Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung; Rüge nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts

 

Leitsatz (NV)

1. Wird über ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht im Urteil und nicht in einem selbständigen Zwischenverfahren entschieden, liegt ein Verfahrensfehler vor, der mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann.

2. Stellt eine Partei nach Erlaß eines Vorbescheids den Antrag auf mündliche Verhandlung, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, ist das Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO verloren gegangen.

3. Es läßt sich aus keiner Vorschrift des geltenden Rechts herleiten, daß der Berichterstatter von vornherein bestimmt sein muß.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 434; GVG § 21g Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben wegen Einkommensteuer 1989 im Hinblick auf die Höhe des Grundfreibetrages sowie der nicht vollständigen Berücksichtigung der geltend gemachten Versicherungsbeiträge Untätigkeitsklage gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das Finanzgericht (FG) wies die Untätigkeitsklage mit Vorbescheid vom 12. Oktober 1992 als unzulässig ab, worauf die Kläger fristgemäß mündliche Verhandlung beantragten. Die Kläger teilten mit, die bisher angekündigten Klageanträge würden nicht weiterverfolgt; es werde nunmehr lediglich wegen der Versicherungsbeiträge ein um 500 DM höherer Freibetrag beantragt werden. Ihrem Prozeßbevollmächtigten wurde am 17. Dezember 1992 die Ladung für den Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Januar 1993 zugestellt. Mit der Begründung, er habe für den Sitzungstag bereits am 10. Dezember 1992 eine Ladung des Finanzgerichts Berlin erhalten, beantragte der Prozeßbevollmächtigte am 7. Januar 1993 die Aufhebung des Termins.

Der Vorsitzende Richter am FG lehnte mit Schreiben vom 13. Januar 1993 die Aufhebung des Termins ab, da der Prozeßbevollmächtigte in zwei weiteren Rechtssachen, in denen er ebenfalls bevollmächtigt sei, bereits am 8. Dezember 1992 und damit zeitlich vor der Ladung des FG Berlin die Ladung für den Sitzungstag erhalten habe.

Am 19. Januar 1993 gingen beim FG Telebriefe vom 13. und 15. Januar 1993 ein, mit denen der Kläger die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO beantragten bzw. die drei Berufsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnten.

In der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 1993, in der für die Kläger niemand erschienen war, hat das FG jeweils durch Beschluß die Vertagung abgelehnt und den Befangenheitsantrag als rechtsmißbräuchlich zurückgewiesen.

Es hat die Klage als unzulässig abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde. Daneben haben die Kläger vorsorglich Beschwerde gegen die Zurückweisung der Ablehnungsanträge eingelegt.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, welcher das FG nicht abgeholfen hat, beantragen die Kläger, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz und Verfahrensmängeln zuzulassen sowie für das Beschwerdeverfahren gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) keine Kosten zu erheben.

Die Kläger rügen außerdem die Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) im Beschwerdeverfahren, da sich aus dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan des erkennenden Senats der Berichterstatter in dieser Sache nicht ergebe. Sie beantragen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu diesem Streitpunkt (2 BvR 1127/92 und 2 BvR 1136-1138/92) auszusetzen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt.

Es läßt sich aus keiner Vorschrift des geltenden Rechts ernstlich herleiten, daß der Berichterstatter von vornherein festgelegt sein müsse (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Dezember 1992 I R 54/91, BFHE 170, 119, BStBl II 1993, 311 unter II. A; Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 21 g Rdnr. 14). Nach § 21g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) bestimmt der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirken. Diesem gesetzlichen Erfordernis ist jedenfalls dann genügt, wenn der Vorsitzende den Berichterstatter aus dem Kreis der von vornherein zur Mitwirkung berufenen Mitglieder bestimmt (ergänzender Geschäftsverteilungsplan des X.Senats 1994 unter IV). Einer zum Teil im Schrifttum vertretenen gegenteiligen Mindermeinung folgt der Senat nicht. Sie verkennt die Funktion des Berichterstatters insbesondere im Verfahren vor dem Revisionsgericht. Diese Funktion besteht ausschließlich darin, Entscheidungen des Senats vorzubereiten. Eine selbständige Entscheidungsbefugnis außerhalb des Spruchkörpers - ähnlich etwa der des Einzelrichters beim FG (§ 21g Abs. 3 GVG) - gibt es beim BFH nicht.

Eine Aussetzung des Verfahrens in direkter oder entsprechender Anwendung des § 74 FGO ist nicht geboten.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist - auch soweit die Kläger die Ablehnung des Befangenheitsantrags rügen - zulässig.

Grundsätzlich hat das FG über ein Ablehnungsgesuch durch gesonderten, mit der Beschwerde anfechtbaren Beschluß - ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter - zu entscheiden (§ 51 FGO i.V.m. §§ 46, 47 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Da es sich bei dem Richterablehnungsverfahren um ein selbständiges Zwischenverfahren handelt, kann die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs in der Regel nicht anstelle der Beschwerde mit der Revision oder der Nichtzulassunsbeschwerde gerügt werden (BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217 unter C. II.3.).

Nach der Rechtsprechung bedarf es keines besonderen Beschlusses, wenn das Ablehnungsgesuch wegen Rechtsmißbräuchlichkeit unzulässig ist (BFH-Beschluß vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570; vgl. auch BFH-Beschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112). In diesen Fällen kann das Gericht den Befangenheitsantrag - unter Mitwirkung der abgelehnten Richter - in den Gründen der Entscheidung zur Hauptsache zurückweisen. Das gleiche gilt, wenn das Ablehnungsgesuch aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig ist (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rz. 57). Wird über ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht im Urteil und nicht in einem selbständigen Zwischenverfahren entschieden, liegt ein Verfahrensfehler vor, der mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen ist.

Im Streitfall hat das FG lt. Sitzungsprotokoll in der mündlichen Verhandlung den Beschluß verkündet, der Befangenheitsantrag werde - in der alten Besetzung - als rechtsmißbräuchlich zurückgewiesen. Die Gründe für die Rechtsmißbräuchlichkeit hat es jedoch in der Entscheidung zur Hauptsache dargelegt. Der III.Senat des BFH hat in einem solchen Fall den Beschluß nur als - nicht selbständig anfechtbare - Mitteilung der Rechtsauffassung des FG angesehen (Beschluß vom 8. Mai 1992 III B 123/92, BFH/NV 1993, 244; ebenso BFH-Beschluß vom 18. Januar 1993 X B 14/92, BFH/NV 1993, 667). Dagegen hat der VIII.Senat des BFH die Beschwerde gegen einen solchen Beschluß, auch wenn die Begründung im Urteil zur Hauptsache enthalten ist, für zulässig gehalten (BFH/NV 1993, 112). Der erkennende Senat kann im Streitfall offenlassen, ob der in der mündlichen Verhandlung verkündete Beschluß selbständige Bedeutung hat. Da der Beschluß den Klägern nicht zugestellt worden ist, ihnen der Beschluß mangels Teilnahme an der mündlichen Verhandlung offensichtlich auch nicht bekannt war und daher aus ihrer Sicht der Ablehnungsantrag im Urteil zurückgewiesen worden ist, können sie die Zurückweisung des Befangenheitsantrags mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen.

III. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch - wie das FG annimmt - rechtsmißbräuchlich war. Das FG durfte auch deshalb in der bisherigen Besetzung über den Befangenheitsantrag entscheiden, weil dieser aus anderen Gründen unzulässig war.

Die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter konnte nicht damit begründet werden, diese hätten eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt (vgl. BFH-Beschluß vom 20. November 1990 VII B 32/90, BFH/NV 1991, 755). Im übrigen hatten die Kläger ihr Ablehnungsrecht nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 43 ZPO vor Einreichung des Ablehnungsgesuchs am 19. Januar 1993 verloren.

Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 43 ZPO nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Die Begriffe in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt werden weit ausgelegt (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50). Anträge sind - auch schriftliche - Sachanträge und grundsätzlich auch Prozeßanträge (Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 32) wie im Streitfall nach Ergehen des Vorbescheids die Beantragung einer mündlichen Verhandlung. Der Zweck des § 43 ZPO ist es nämlich, den Ablehnungsberechtigten zu veranlassen, sich sofort nach Kenntnis eines Befangenheitsgrundes zu entscheiden, ob er sich darauf berufen will. Ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf, soll nicht in der Schwebe bleiben (BFH/NV 1994, 50).

Die Kläger haben abgesehen davon, daß sie die unterbliebene Terminsverlegung gerügt haben, ihr Ablehnungsgesuch ausschließlich auf Befangenheitsgründe gestützt, die ihnen bzw. ihrem Prozeßbevollmächtigten, dessen Kenntnis sie sich zurechnen lassen müssen, bereits vor Ergehen des Vorbescheids oder spätestens mit Zustellung des Vorbescheids bekannt geworden waren. Nachdem die Kläger am 23. November 1992 mündliche Verhandlung beantragt haben, ohne die ihnen bekannten Befangenheitsgründe geltend zu machen, haben sie bezüglich dieser Gründe das Ablehnungsrecht verloren.

2. Soweit die Kläger gegen die Richterablehnung vorsorglich auch Beschwerde (§ 128 FGO) eingelegt haben, wertet der Senat diese Beschwerde - auch aus Kostengründen - nicht als selbständiges Rechtsmittel. Die Kläger, die von dem in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluß offensichtlich keine Kenntnis hatten, wenden sich unter Bezugnahme auf die Ausführungen im finanzgerichtlichen Urteil dagegen, daß das FG die Ablehnungsgesuche nicht formell zurückgewiesen habe. Insoweit wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, der im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfen ist. Im übrigen hätte eine Beschwerde gegen den in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluß ebenfalls keinen Erfolg, weil das Ablehnungsgesuch - wie oben dargelegt - unzulässig war.

3. Andere Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen, liegen ebenfalls nicht vor. Der Senat sieht insoweit nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung ab.

IV. Das FG hat das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zutreffend verworfen. Auch im übrigen ist keine Sachbehandlung durch das FG erkennbar, die nach § 8 GKG die Nichterhebung der Gerichtskosten als geboten erscheinen ließe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419868

BFH/NV 1994, 883

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