Leitsatz (amtlich)

Im Urteilstatbestand sind die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben. Ist dies unterblieben, so liegt ein materieller Urteilsfehler vor, der ohne Verfahrensrüge zu beachten ist. Die Bezugnahme auf einen Vorbescheid vermag den Mangel nicht zu beheben.

 

Normenkette

FGO § 105 Abs. 2 Nr. 4, § 118 Abs. 2-3; ZPO § 313 Abs. 2 Sätze 1-2

 

Tatbestand

Das FG hatte einen Vorbescheid erlassen und nach einem entsprechenden Antrag des während des Revisionsverfahrens verstorbenen Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil vom 7. November 1973 IX 86/73 L seinem Begehren auf erhöhte Werbungskosten stattgegeben. Im Urteil sind die tatsächlichen Feststellungen wie folgt gefaßt worden:

"Wegen des Sachverhalts wird auf den Vorbescheid vom 15. August 1973 Bezug genommen.

Nach Klärung des Sachverhalts in der Verhandlung ist mit den Beteiligten jedoch nunmehr davon auszugehen, daß der Kläger an 48 Wochenenden zu seiner Familie gefahren ist.

Zusätzlich machte der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend, er habe die monatliche Miete von 160 DM für Unterkunft am Arbeitsort durchgehend für 12 Monate gezahlt.

Er beantragt sinngemäß,

bei Festsetzung der Jahreslohnsteuer die von ihm vorgebrachten höheren Aufwendungen für Verpflegung, Miete und Arbeitskleidung zu berücksichtigen.

Das Finanzamt beantragt

Klageabweisung.

Es hat zwar nunmehr keine Einwendungen gegen die vom Kläger geltend gemachten Mehrbeträge für Miete und Arbeitskleidung, hält aber die Kürzung des Mehrverpflegungsaufwandes um 48 Tage weiterhin für gerechtfertigt."

Mit seiner Revision rügte der Beklagte und Revisionskläger (FA) in erster Linie falsche Tatsachenwürdigung und mangelhafte Sachaufklärung durch die Vorinstanz sowie die Verletzung materiellen Rechts. Nach dem Tode des Klägers begehrt das FA ferner, die Revisionsbeklagte in ihrer Eigenschaft als Erbin und Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes nach § 155 FGO i. V. m. § 239 Abs. 2 ZPO zur Aufnahme des Rechtsstreits zu veranlassen.

Das FA hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Revisionsbeklagte hat mit Schreiben vom 27. Oktober 1976 mitgeteilt, daß sie den Rechtsstreit ihres verstorbenen Ehemannes "nicht weiterführen möchte".

 

Entscheidungsgründe

Das Revisionsverfahren ist durch den Tod des Klägers bis zur Aufnahme durch den Rechtsnachfolger unterbrochen worden (§ 239 ZPO i. V. m. § 155 FGO). Der Senat sieht in dem Schreiben der Ehefrau als Rechtsnachfolgerin des Klägers vom 27. Oktober 1976 keine an sich mögliche Klagerücknahme (vgl. §§ 121, 72 FGO), sondern die Erklärung, daß sie, die Revisionsbeklagte, den Rechtsstreit nicht nach § 155 FGO i. V. m. § 239 Abs. 1 ZPO aufnehmen möchte. Die Unterbrechung des Verfahrens hat jedoch in entsprechender Anwendung des § 239 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 155 FGO dadurch ihr Ende gefunden, daß der Gegner, hier das FA, die Aufnahme des Rechtsstreits beantragt hat und die Revisionsbeklagte trotz Aufforderung des Senatsvorsitzenden vom 16. Februar 1977 keine Gründe für die Verweigerung der Aufnahme des Rechtsstreits mitgeteilt hat. Solche Gründe sind auch aus den Akten nicht ersichtlich.

Die Revision ist begründet, ohne daß es dabei auf die vom FA vorgetragenen Gründe ankommt. Denn das angefochtene Urteil leidet insofern an einem auch ohne entsprechende Rüge zu beachtenden Mangel, als es keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen i. S. des § 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO enthält (vgl. Urteil des BFH vom 17. April 1975 II R 144/74, BFHE 116, 1 BStBl II 1975, 671).

Für die Darstellung von Tatbeständen in Urteilen gilt nach § 155 FGO die Vorschrift des § 313 Abs. 2 ZPO entsprechend (vgl. hierzu v. Wallis/List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 155 FGO Anm. 22 letzter Satz; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 155 FGO Anm. 4; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 155 Anm. 8 und § 105 Anm. 12; Entscheidungen des BFH vom 29. April 1969 VII R 78/66, BFHE 95, 570; vom 25. Mai 1971 VII R 55/69, BFHE 102, 192, BStBl II 1971, 501, und vom 17. Juli 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285). Nach § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind in jedem Falle - und zwar nach Auffassung des Senats ungeachtet der Bezugnahme auf einen Vorbescheid -"die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben".

Das ist hier nicht geschehen. Denn aus den vorstehend wörtlich wiedergegebenen Ausführungen des FG läßt sich nicht entnehmen, von welchem Sachverhalt das FG ausgegangen ist, welche Ansprüche der Kläger im einzelnen geltend gemacht und wie sich das FA darauf eingelassen hat. Insbesondere ist nicht die Höhe des Streitgegenstandes feststellbar. Dadurch ist der BFH an einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Vorentscheidung aufgrund der Revision gehindert.

Damit das FG die erforderlichen Feststellungen nachholen kann, war das angefochtene Urteil nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72385

BStBl II 1977, 642

BFHE 1978, 227

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