Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme einer Klage bei unzulässiger Revision

 

Leitsatz (NV)

Auch bei einer unzulässigen Revision kann der Kläger die Klage mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen. Der BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 I R 127, 154/70 (BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805), in dem die gegenteilige Meinung vertreten wurde, ist durch den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 24. Oktober 1983 GmS-OGB 1/83 (BGHZ 88, 353, StRK, FGO, § 115, R. 225) überholt.

 

Normenkette

FGO § 72; ZPO § 705

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat ihre Klage gegen die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erlassenen Gewinnfeststellungsbescheide für 1975 bis 1977 zurückgenommen. Das FA hat seine Einwilligung zur Rücknahme der Klage erteilt.

 

Entscheidungsgründe

Nach der Klagerücknahme und der Einwilligung dazu ist die Einstellung des Verfahrens auszusprechen (§ 72 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im Interesse der Verfahrensklarheit wird außerdem festgestellt, daß das Urteil des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg - Außensenate Freiburg - vom 8. Juli 1981 XI 140/80 gegenstandslos geworden ist.

Das Verfahren ist auch einzustellen, soweit es die Gewinnfeststellungen 1976 und 1977 betrifft.

Die Revision war insoweit unzulässig, weil für die Revision dieser Streitjahre kein Rechtsschutzbedürfnis bestand. Die Klägerin machte hinsichtlich dieser Jahre keine Beschwer geltend. Sie wandte sich lediglich dagegen, daß das FG in Übereinstimmung mit dem FA ihr die erfolgswirksame Ausbuchung von Forderungen im Jahr 1975 verwehrt hatte. Wegen der einheitlichen Gewinnfeststellungen 1976 und 1977 hatte sie nichts vorgetragen.

Auch bei einer unzulässigen Revision kann der Kläger die Klage mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen.

Der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat zwar in seinem Beschluß vom 14. Juli 1971 I R 127, 154/70 (BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805) ausgeführt, daß die Klage nicht mehr zurückgenommen werden kann, wenn die vom Kläger eingelegte Revision mangels einer Revisionsbegründung unzulässig ist oder wenn das Rechtsschutzbedürfnis in der Revisionsinstanz zeitlich vor der Rücknahmeerklärung weggefallen ist. Die Rechtskraft des angefochtenen Urteils trete nicht erst in dem Augenblick ein, in dem der Verwerfungsbeschluß formell rechtskräftig werde. Denn der Verwerfungsbeschluß habe nur deklaratorische, keine konstitutive Wirkung. Das Schrifttum zur FGO hat sich dieser Rechtsansicht angeschlossen (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 72 Anm. 2; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 72 Anm. 12; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 72 FGO Tz. 7; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 72 Tz. 4; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 8711 ff.).

Die bisher vertretene Rechtsauffassung ist durch den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 24. Oktober 1983 GmS-OGB 1/83 (BGHZ 88, 353, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 115, Rechtsspruch 225) überholt.

Der Gemeinsame Senat hat entschieden, daß bei Verwerfung eines an sich statthaften und rechtzeitig eingelegten Rechtsmittels die Rechtskraft eines Urteils i. S. des § 705 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erst mit der Rechtskraft der Verwerfungsentscheidung eintritt. Maßgebend für den Gemeinsamen Senat war insbesondere, daß die Verfahrensordnungen überwiegend den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung, deren Anfechtung durch eine Nichtzulassungsbeschwerde ermöglicht werden soll, nach einem einheitlichen Merkmal bestimmen. Dabei unterschieden die Gesetze nicht, ob die Nichtzulassungsbeschwerde - z. B. mangels Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung - unzulässig oder - z. B. wegen Fehlens des Zulassungsgrundes - unbegründet sei. Dieser rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers komme eine über den jeweiligen Regelungszusammenhang hinausgehende Tragweite zu. Die Vorschriften zeigten, daß es in der Tendenz des Gesetzgebers liege, die Rechtskraft einer Entscheidung im Interesse der Rechtssicherheit von einem einheitlichen, leicht bestimmbaren zeitlichen Bezugsmerkmal abhängig zu machen. Dies aber stehe im Gegensatz zum Beschluß des BFH in BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805. Denn in der Konsequenz dieses Beschlusses würde es liegen, den Zeitpunkt der Rechtskraft eines Urteils auch bei erfolgloser Nichtzulassungsbeschwerde unterschiedlich festzulegen, je nachdem, ob die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig oder unbegründet war.

Diese Grundsätze gelten auch im Streitfall.

Das Urteil des FG war auch, soweit es die Gewinnfeststellungen 1976 und 1977 betrifft, im Zeitpunkt der Rücknahme der Klage durch die Klägerin noch nicht rechtskräftig. Erst der Verwerfungsbeschluß hätte die Rechtskraft des FG-Urteils bewirkt. Bis zur Rechtskraft des Urteils kann die Klage nach § 72 FGO zurückgenommen werden.

Die neue Rechtsauffassung dient dem Rechtsfrieden, denn sie vermeidet, daß der BFH einen Verwerfungsbeschluß erlassen muß, den die Beteiligten nicht mehr wollen. Durch die Rücknahme der Klage und die Zustimmung zur Rücknahme haben sie deutlich erkennbar gemacht, daß sie ein Tätigwerden des Gerichts in dieser Frage nicht mehr wünschen.

Die neue Rechtsauffassung dient auch der Prozeßökonomie. Sie erspart dem Gericht Mehrarbeit. Die Prüfung, ob eine Revision zulässig ist oder nicht, wird im Regelfall zwar einfach sein. Sie kann aber, wie die umfangreiche Rechtsprechung und das Schrifttum zu diesem Bereich zeigen, auch schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen.

Schließlich ist die neue Rechtsauffassung für den Steuerpflichtigen kostengünstiger. Nach dem Kostenverzeichnis (Anl. 1 zu § 11 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -) ermäßigen sich oder entfallen die Kosten unter bestimmten Voraussetzungen, wenn ein Rechtsmittel zurückgenommen wird. Die Kostenminderung soll dazu anreizen, ein Rechtsmittel zurückzunehmen. Es besteht kein Grund, diese Wirkung nur aus dem Grund entfallen zu lassen, weil das Rechtsmittel unzulässig ist.

Die Kostentragungspflicht für die Klägerin ergibt sich aus § 136 Abs. 2 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414896

BFH/NV 1987, 108

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