Normenkette

ZPO § 705

 

Tenor

Wird ein an sich statthaftes und rechtzeitig eingelegtes Rechtsmittel gegen ein Urteil nach Ablauf der Rechtsmittelfrist verworfen, so tritt die Rechtskraft des Urteils im Sinne von § 705 ZPO mit der Rechtskraft der Verwerfungsentscheidung ein.

 

Tatbestand

I

Im Ausgangsverfahren ist umstritten, ob der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) eine Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Angestellten zusteht.

Die Ehe der Klägerin mit dem am 6. September 1973 verstorbenen Versicherten wurde durch Urteil des Landgerichts (LG) Essen vom 20. Juli 1972, insoweit bestätigt durch Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 17. Mai 1973, geschieden; die von der Klägerin innerhalb der Revisionsfrist eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof (BGH) durch Beschluß vom 5. Dezember 1973 (veröffentlicht NJW 1974, 368 = FamRZ 1974, 129) mit der Begründung verworfen, mangels Zulassung finde die Revision nach § 547 Zivilprozeßordnung (ZPO) in der damaligen Fassung vom 19. August 1969 nur statt, insoweit es sich um die Zulässigkeit der Berufung handele; die Klägerin habe weder geltend gemacht noch geltend machen können, daß die Berufung des Versicherten nicht zulässig gewesen sei. Auf dem Urteil des OLG ist von der Geschäftsstelle vermerkt, die Rechtskraft sei am 17. Juli 1983 (Ablauf der Revisionsfrist) eingetreten.

Einen Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) – sog. Geschiedenenwitwenrente – lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Beklagte) ab. Die hiergegen erhobene Klage hatte vor dem Sozialgericht (SG) keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach einem entsprechenden Hinweis die Beklagte zur Gewährung einer „normalen” Witwenrente (§ 41 AVG) verurteilt (Urteil vom 5. Februar 1982, veröffentlicht FamRZ 1982, 1037). Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Klägerin die Witwe des Versicherten sei; da der BGH die Revision erst nach dem Tod des Versicherten verworfen habe, sei das Scheidungsurteil nicht vor diesem Zeitpunkt rechtskräftig und wirksam geworden.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) möchte die Revision der Beklagten zurückweisen, sieht sich daran jedoch durch den Beschluß des I. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Juli 1971 – I R 127, 154/70 – (BFHE 103, 36 = BStBl II 1971, 805 = JZ 1972, 167) gehindert. In diesem Beschluß habe der BFH rechtserheblich entschieden, daß eine Entscheidung bei Verwerfung des an sich statthaften und fristgerecht eingelegten Rechtsmittels bereits mit dem Ablauf der Rechtsmittelfrist, wenn das Rechtsmittel schon in diesem Zeitpunkt unzulässig gewesen sei, sonst mit dem späteren Eintritt des Zulässigkeitsmangels rechtskräftig werde. Demgegenüber ist der 11. Senat des BSG der Ansicht, daß in solchen Fällen die formelle Rechtskraft eines Urteils erst mit der Rechtskraft der Verwerfungsentscheidung eintrete. Er hat deshalb dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS) die Frage vorgelegt:

Tritt die Rechtskraft eines Urteils i.S. des § 705 ZPO, wenn das an sich statthafte und rechtzeitig eingelegte Rechtsmittel als unzulässig verworfen wird, mit dem Ablauf der Rechtsmittelfrist oder erst mit der Rechtskraft der Verwerfungsentscheidung ein?

Der GmS hat Stellungnahmen der obersten Gerichtshöfe des Bundes, des Generalbundesanwalts beim BGH (GBA), des Oberbundesanwalts beim Bundesverwaltungsgericht –BVerwG– (OBA), des Bundesdisziplinaranwalts und des Bundeswehrdisziplinaranwalts erbeten und den Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und das BVerwG haben mitgeteilt, daß sie über die streitige Rechtsfrage bisher nicht entschieden hätten und daß damit zusammenhängende Rechtsfragen nicht zur Entscheidung anstünden. Die anderen obersten Gerichtshöfe haben auf ihre bisherige Rechtsprechung verwiesen; der IV. Senat des BFH hat zusätzlich mitgeteilt, daß ihm die streitige Rechtsfrage noch nicht zur Entscheidung vorgelegen habe, er aber die Ansicht des I. Senats des BFH teile. Der GBA hält die Ansicht des BSG für zutreffend. Der OBA, der Bundesdisziplinaranwalt und der Bundeswehrdisziplinaranwalt haben Äußerungen zur Sache nicht abgegeben. Die Klägerin und die Beklagte haben auf ihr Vorbringen im Ausgangsverfahren verwiesen und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Vorlage ist nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG) in der sich aus dem Entscheidungssatz ergebenden Fassung zulässig.

Der Zulässigkeit der Vortrage steht nicht entgegen, daß der I. Senat des BFH über die Wirksamkeit einer Klagerücknahme nach § 72 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zu entscheiden hatte, während es bei der vom 11. Senat des BSG zu treffenden Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen des § 41 AVG erfüllt sind, darauf ankommt, wann ein mit der Revision angefoch...

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