Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine unverschuldete Fristversäumnis wegen Änderung der Bestimmungen über die Einlegung der Revision

 

Leitsatz (NV)

Die Versäumnis der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht deshalb entschuldbar, weil das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, wonach die Revision, abweichend von § 115 Abs. 1 FGO, nur noch stattfindet, wenn sie vom FG oder aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH zugelassen wurde, zwischen der mündlichen Verhandlung des FG und der Zustellung des Urteils in Kraft getreten ist.

 

Normenkette

FGO § 56

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Bei den Gewinnfeststellungen 1973 bis 1977 für die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, verweigerte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Feststellung einer Steuerermäßigung nach § 14 Abs. 3 des Dritten Vermögensbildungsgesetzes (3. VermBG). Das FA vertrat die Auffassung, die geltend gemachten vermögenswirksamen Leistungen könnten nicht anerkannt werden, weil die Klägerin mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftige, denn die 150 Zeitungsausträger der Klägerin seien Arbeitnehmer.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) aufgrund einer mündlichen Verhandlung am 30. April 1985, in der das FG beschlossen hatte, die Entscheidung den Beteiligten zuzustellen, ab. Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 26. August 1985 zugestellt. Die Revision hat das FG in dem Urteil nicht zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils ist darauf hingewiesen, daß die Revision an den Bundesfinanzhof (BFH) nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat, es sei denn, es werden wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. des § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gerügt. Auch auf die Möglichkeit einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist in der Rechtsmittelbelehrung in ordnungsgemäßer Weise hingewiesen.

Gegen das Urteil des FG legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. September 1985 Revision ein. Mit Verfügung vom 9. Oktober 1985 machte die Geschäftsstelle des erkennenden Senats unter Bezugnahme auf Art. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I, 1274, BStBl I 1985, 496) und die Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils die Klägerin darauf aufmerksam, daß mangels Zulassung der Revision im Urteil des FG die eingelegte Revision nur dann zulässig sein werde, wenn die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision i. S. von § 116 FGO gegeben sein sollten. Daraufhin bat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. November 1985, das mit Schriftsatz vom 25. September 1985 eingelegte Rechtsmittel als Nichtzulassungsbeschwerde zu behandeln und an das FG zurückzugeben. In dem Schriftsatz heißt es wörtlich, zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde werde auf § 115 Abs. 2 FGO Bezug genommen. ,,Die im FG-Urteil im einzelnen aufgeführten Entscheidungen des BAG und des BFH, die teilweise zu einander widersprechenden Ergebnissen gelangen, lassen es dringend angeraten erscheinen, diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung einer Klärung zuzuführen."

Auf Veranlassung des Vorsitzenden des erkennenden Senats leitete die Geschäftsstelle diesen Schriftsatz dem FG zur Prüfung zu, ob Abhilfe gewährt werde.

Das FG beschloß, der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin nicht abzuhelfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.

Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO). In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des BFH, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Der innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils, nämlich am 25. September 1985, eingegangene Schriftsatz der Klägerin enthält keine Nichtzulassungsbeschwerde, sondern eine Revision. Der Senat verweist insoweit auf seinen Beschluß vom heutigen Tag IV R 173/85.

2. Im Hinblick auf die auf Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde gerichteten Ausführungen im Schriftsatz vom 13. November 1985 geht der Senat davon aus, daß dieser Schriftsatz selbst als Nichtzulassungsbeschwerde anzusehen ist. Diese Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch schon deshalb unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO eingelegt worden ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Klägerin nicht gewährt werden. Die Fristversäumnis ist verschuldet. Die gesetzliche Regelung, insbesondere die Übergangsvorschrift des Art. 3 des Gesetzes vom 4. Juli 1985 ist rechtlich eindeutig. Aus der Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils war klar ersichtlich, daß die Revision nur bei Zulassung durch das FG statthaft ist und daß die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden kann. Einen ausdrücklichen Hinweis auf die im Streitfall gerade in der Zeit zwischen der mündlichen Verhandlung und der Zustellung des Urteils eingetretene Rechtsänderung verlangt das Gesetz nicht; das Gesetz geht vielmehr davon aus, daß die Rechtsmittelbelehrung gelesen und beachtet wird, unabhängig davon, daß dies tatsächlich in vielen Fällen aus Gründen der vermeintlichen Beherrschung einer Routineangelegenheit nicht geschieht. Unter diesen Umständen kann der Senat offenlassen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde auch deshalb unzulässig ist, weil sie nicht den Erfordernissen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht (vgl. dazu z. B. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 29

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