Entscheidungsstichwort (Thema)

Mißbräuchliches Ablehnungsgesuch gegen Richter

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Richterablehnung kann nicht auf Gründe gestützt werden, die lediglich eine Gruppenzugehörigkeit eines Richters (z. B. Angehöriger des öffentlichen Dienstes, der seinen Lebensunterhalt hauptsächlich aus dienstlichen Einkünften bestreitet) betreffen.

2. Da ein solches Ablehnungsgesuch mißbräuchlich und daher offensichtlich unzulässig ist, können an der Entscheidung darüber mit derartigen Gründen abgelehnte Richter mitwirken.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben wegen der Einkommensteuer für die Jahre 1981 bis 1983 und wegen der Einkommensteuer für das Jahr 1987 Klagen mit der Begründung, daß die Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) über den Grundfreibetrag und über den Kinderfreibetrag und für 1981 bis 1983 auch die Regelung über den Vorwegabzug von Vorsorgeaufwendungen bei den Sonderausgaben verfassungswidrig seien.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß vom 12. Juni 1990 1 BvL 72/86 (BStBl II 1990, 664) entschieden hatte, daß die einkommensteuerrechtliche Regelung über die Kinderfreibeträge für die Jahre 1983 bis 1985 verfassungswidrig ist, setzte das Finanzgericht (FG) sowohl das Klageverfahren wegen der Einkommensteuer 1981 bis 1983 als auch das Klageverfahren wegen der Einkommensteuer 1987 aus, ,,bis Klarheit über die zu erwartenden gesetzlichen Neuregelungen besteht". Zur Begründung führte das FG aus: Der Beschluß des BVerfG betreffe zwar nur die Kinderfreibeträge für die Jahre 1983 bis 1985. Gleichwohl werde aber aus dem Beschluß des BVerfG gefolgert, daß das völlige Fehlen von Kinderfreibeträgen für die Streitjahre 1981 bis 1982 und die Kinderfreibeträge ab 1986 verfassungwidrig seien. Ebenso seien aufgrund des Beschlusses des BVerfG hinsichtlich der Höhe der Grundfreibeträge mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig. Es müsse daher abgewartet werden, welche Folgerungen der Gesetzgeber aus dem Beschluß des BVerfG ziehe.

Gegen die Aussetzungsbeschlüsse des FG legten die Kläger Beschwerden ein. Die beiden Beschwerden sind unter den Az. III B 24/91 und III B 25/91 beim erkennenden Senat anhängig.

Die Kläger lehnen in diesen beiden Beschwerdeverfahren alle zur Entscheidung berufenen Richter des Bundesfinanzhofs (BFH), die neben ihren Einkünften aus der richterlichen Tätigkeit ,,nicht über ausreichendes anderweitiges Einkommen oder Vermögen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verfügen", wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie begründen die Ablehnungsgesuche damit, daß ihre in den Hauptverfahren gestellten Klageanträge hinsichtlich der Grundfreibeträge und der Kinderfreibeträge im Falle des Erfolgs wegen der Vielzahl der gleichgelagerten Fälle zu einem Steuerausfall von 20 v. H. des Gesamtaufkommens an Lohn- und Einkommensteuer (10 v. H. des Gesamtsteueraufkommens) führen würden. Diese Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte seien so gewaltig, daß zum Ausgleich auch mit erheblichen Einsparungen von Ausgaben im öffentlichen Dienst zu rechnen sei. Dies müsse zu erheblichen Einkommenseinbußen der öffentlichen Bediensteten einschließlich der Richter und Staatsanwälte führen. Die Entscheidung über die anstehenden Beschwerdeverfahren sei für die Richter des BFH daher eine Entscheidung in eigener Sache. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die Richter ihren Lebensunterhalt ausschließlich oder überwiegend aus den Einkünften aus ihrer Richtertätigkeit bestritten. Nur wenn die zur Entscheidung berufenen Richter über ausreichende anderweitige Einkünfte oder Vermögen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts verfügten, sei eine Besorgnis der Befangenheit nicht gegeben.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hält die Ablehnungsgesuche für unzulässig.

Der Senat hält es für zweckmäßig, die beiden Ablehnungsgesuche zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden (§ 73 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

 

Entscheidungsgründe

Die Ablehnungsgesuche sind unzulässig. Sie stellen einen Mißbrauch des Ablehnungsrechts dar.

1. Dafür spricht schon, daß der geltend gemachte Ablehnungsgrund offensichtlich abwegig ist (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Rdnr. 27; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO Rdnr. 11, jeweils m. w. N.). Es ist nicht ersichtlich, warum es bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge und Kinderfreibeträge nur für diejenigen Richter um eine Entscheidung in eigener Sache geht, die für ihren Lebensunterhalt im wesentlichen auf die Einkünfte aus der richterlichen Tätigkeit angewiesen sind. Auch die anderen Richter, die über ein ausreichendes anderweitiges Einkommen oder Vermögen verfügen, würden durch Einbußen bei ihren Bezügen aus der richterlichen Tätigkeit betroffen. Wenn eine solche allgemeine Betroffenheit für eine Richterablehnung ausreichen würde, könnte überhaupt kein Gericht mehr - auch nicht das BVerfG - über die Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge und der Kinderfreibeträge entscheiden.

2. Die Unzulässigkeit ergibt sich im übrigen auch daraus, daß nach § 51 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nur eine Individualablehnung von Richtern möglich ist. Es müssen folglich individuelle, auf bestimmte oder ohne weiteres namentlich bestimmbare Richter bezogene Gründe für eine Besorgnis der Befangenheit geltend gemacht werden. Deshalb ist ein Umstand dann kein Grund für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, wenn er individuell nicht begrenzt, sondern so allgemeiner Natur ist, daß er seine Besonderheit und Eigenart für den einzelnen verloren hat. Gründe, die lediglich eine Gruppenzugehörigkeit (wie z. B. Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer Konfession oder zu einer politischen Partei) betreffen, können daher wegen ihrer Allgemeinheit grundsätzlich kein Ablehnungsgesuch stützen (Beschluß des BFH vom 21. Juli 1967 III B 37/67, BFHE 90, 160, BStBl II 1968, 12; vgl. auch Gräber / Koch, a. a. O., § 51 Rdnr. 27 m. w. N.).

Um solche allgemeinen Gründe, die lediglich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe betreffen, geht es bei den Ablehnungsgesuchen der Kläger. Sie begründen die Ablehnungsgesuche nur damit, daß die abgelehnten Richter zu der (wohl ganz überwiegenden) Gruppe von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gehören, die für ihren Lebensunterhalt auf die Bezüge aus ihrem Dienstverhältnis angewiesen sind. Irgendwelche Umstände, die sich über diese allgemeine Gruppenzugehörigkeit hinaus in der Person einzelner bestimmter Richter zu individuellen Gründen für eine Besorgnis der Befangenheit verdichten, tragen die Kläger nicht vor. Bei ihren Ablehnungsgesuchen handelt es sich daher lediglich um eine unzulässige pauschale Ablehnung einer Mehrzahl von Richtern des BFH (vgl. Urteil des BFH vom 2. Juni 1978 III R 48/77, BFHE 125, 243, BStBl II 1978, 475; Beschluß des BFH vom 1. Oktober 1990 X B 119/90, BFH/NV 1991, 331).

3. Da die vorliegenden Ablehnungsgesuche mißbräuchlich und daher offensichtlich unzulässig sind, konnte der erkennende Senat darüber in geschäftsplanmäßiger Besetzung entscheiden. Auf die Frage, ob die mitwirkenden Richter ihren Lebensunterhalt ausschließlich oder überwiegend aus ihren Einkünften aus der Richtertätigkeit bestreiten, kam es dabei nicht an (vgl. u. a. BFH-Entscheidungen vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638; vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627; Gräber / Koch, a. a. O., § 51 Rdnr. 55 m. w. N.).

4. Aus denselben Gründen ist eine dienstliche Äußerung der Richter des BFH gemäß § 51 FGO i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO nicht erforderlich (vgl. Beschluß des BVerfG vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, 3).

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 673

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