Leitsatz (amtlich)

1. Die Zustellung gemäß § 5 Abs. 2 VwZG wird in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen.

2. Auf die Wirksamkeit der Zustellung hat es keinen Einfluß, wenn das Empfangsbekenntnis später ausgestellt wird; in diesem Falle wirkt es auf den Zeitpunkt zurück, in dem der Aussteller das Schriftstück als zugestellt entgegengenommen hat.

2. Der auf dem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelltag ist nicht maßgebend, wenn er nachgewiesenermaßen unrichtig ist.

 

Normenkette

VwZG § 5 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin - eine GmbH - ist aufgrund § 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 (RGBl I, 914) - Löschungsgesetz - am 2. November 1970 im Handelsregister gelöscht worden. Das über ihr Vermögen am 25. April 1967 eröffnete Konkursverfahren war am 11. September 1970 nach Abhaltung eines Schlußtermins aufgehoben worden. Das FG hat durch den angefochtenen Beschluß vom 6. Oktober 1970 das Verfahren über eine bei ihm anhängige Klage der Beschwerdeführerin eingestellt.

Ausweislich eines Vermerks der Geschäftsstelle des FG vom 13. Oktober 1970 ist der Beschluß an den Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 13. Oktober 1970 gegen Empfangsbekenntnis unter Beifügung eines Freiumschlages abgesandt worden. Da der Prozeßbevollmächtigte, ein Rechtsanwalt, ein Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt hat, erinnerte die Geschäftsstelle an die Rücksendung. Unter Hinweis auf die Kosten einer andernfalls erforderlich werdenden Zustellung gemäß § 3 VwZG bat die Geschäftsstelle mit Schreiben vom 11. November 1970 nochmals, das dem Einstellungsbeschluß beigefügte Empfangsbekenntnis zurückzusenden. Mit Schriftsatz vom 16. November 1970 teilte der Prozeßbevollmächtigte mit, der ihm übermittelten Ausfertigung des Beschlusses vom 6. Oktober 1970 habe ein Empfangsbekenntnis nicht beigelegen. Er bitte, ihm ein neues Empfangsbekenntnis zu übersenden; dieses werde er unterzeichnet zurückgeben. Den ihm hierauf von der Geschäftsstelle des FG durch Schreiben vom 19. November 1970 übersandten Vordruck eines Empfangsbekenntnisses sandte der Prozeßbevollmächtigte an das FG zurück; er erklärte darin, den Beschluß des FG am 21. November 1970 erhalten zu haben.

Auf die am 7. Dezember 1970 eingegangene Beschwerde wies die Geschäftsstelle des FG den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß die Ausfertigung des Einstellungsbeschlusses nicht erst am 21. November 1970 - wie auf dem Empfangsbekenntnis angegeben - zugegangen sein könne. Der Prozeßbevollmächtigte habe durch den Hinweis im Schreiben vom 16. November 1970, der Ausfertigung des Beschlusses habe ein Empfangsbekenntnis nicht beigelegen, selbst zum Ausdruck gebracht, daß er den Beschluß spätestens seit dem 16. November 1970 in Händen gehabt habe. Auf die zweimalige Bitte, den Widerspruch aufzuklären und anzugeben, wann ihm die Ausfertigung des Beschlusses tatsächlich zugegangen sei, hat sich der Prozeßbevollmächtigte nicht geäußert.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Sie ist unzulässig.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I.

Der Beschluß des FG ist zu einem Zeitpunkt ergangen und zugestellt worden, als das Konkursverfahren aufgehoben war. Ob die Löschung im Handelsregister aufgrund § 2 des Löschungsgesetzes vor Zustellung des angefochtenen Beschlusses bewirkt worden ist, kann dahingestellt bleiben. Da die Beschwerdeführerin durch einen Rechtsanwalt - dessen Vollmacht sich auch auf die Einlegung von Rechtsmitteln erstreckte - vertreten ist, ist das Verfahren durch die Löschung im Handelsregister am 2. November 1970 nicht unterbrochen worden (vgl. Urteil des BFH I R 144-145/66 vom 18. Oktober 1967, BFH 90, 336, BStBl II 1968, 95).

II.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 129 FGO eingelegt. Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

1. Die Frist zur Einlegung der Beschwerde war am 7. Dezember 1970, dem Tag, an dem die Beschwerdeschrift ausweislich des Eingangsstempels beim FG eingegangen ist, verstrichen. Der angefochtene Beschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin vor dem 21. November 1970 zugestellt worden.

Für die von der Geschäftsstelle des FG gewählte Zustellung gemäß § 5 Abs. 2 VwZG ist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen (Urteil des BFH VI R 247/66 vom 26. September 1969, BFH 97, 57, BStBl II 1970, 31; vgl. auch Urteil des BGH IV ZR 84/59 vom 25. September 1959, BGHZ 30, 335 zu § 212a ZPO). Dem Nachweis der Zustellung dient das Empfangsbekenntnis, auf dem vom Empfänger der Tag der Zustellung zu vermerken ist (§ 5 Abs. 2, Halbsatz 2 VwZG).

Die Beschwerdeführerin meint unter Berufung auf das Urteil des RG III 70/38 vom 20. Dezember 1938 (RGZ 159, 83) und auf Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., § 56 Rdnr. 11, da die Zustellung erst mit der Aushändigung des Empfangsbekenntnisses vollendet sei, habe die Beschwerdefrist frühestens am 21. November 1970 zu laufen begonnen; das Empfangsbekenntnis sei erst mit Schreiben vom 19. November 1970 übersandt worden. Diese Ansicht ist rechtsirrig. Die von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommene Äußerung im Urteil des RG III 70/38, a. a. O., bezieht sich auf die Vollendung, d. h. die Wirksamkeit der Zustellung (vgl. Urteile des BGH VIII ZR 111/58 vom 7. Juli 1959, BGHZ 30, 299 [304], und IV ZR 56/61 vom 14. Juni 1961, BGHZ 35, 236 [237], vgl. aber auch BGH-Urteil II ZR 245/62 vom 14. Mai 1964, BGHZ 41, 337). Die Wirksamkeit der Zustellung ist nicht davon abhängig, daß das Empfangs bekenntnis gleichzeitig mit dem zuzustellenden Schriftstück übersandt wird. Auf die Wirksamkeit hat es keinen Einfluß, wenn das Empfangsbekenntnis später ausgestellt wird; in diesem Falle wirkt es auf den Zeitpunkt zurück, in dem der Aussteller das Schriftstück als zugestellt entgegengenommen hat (Urteil des RG IV 290/35 vom 19. März 1936, RGZ 150, 392 [396]; BGH-Urteil IV ZR 56/61, a. a. O., BGHZ 35, 239). Der auf dem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelltag ist nicht maßgebend, wenn er nachgewiesenermaßen unrichtig ist (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - 9 RV 334/63 vom 23. März 1966, NJW 1966, 1382; Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz 2 A 16/65 vom 12. Januar 1966, NJW 1966, 1675 - jeweils zu § 5 Abs. 2 VwZG -; Urteil des BGH IV ZR 56/61, a. a. O., BGHZ 35, 238, und Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts BW Reg 4a St 35/66 vom 18. April 1967, NJW 1967, 1976 - zu § 212a ZPO -).

2. Die Erklärung des Prozeßbevollmächtigten auf dem ihm nachträglich übersandten Empfangsbekenntnis, er habe die Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses am 21. November 1970 empfangen, ist unrichtig. An diesem Tage hat er den ihm mit Schreiben der Geschäftsstelle des FG vom 19. November 1970 übersandten Vordruck für ein Empfangsbekenntnis, nicht aber die Ausfertigung des Beschlusses erhalten. Die Ausfertigung des Beschlusses hat der Prozeßbevollmächtigte zu einem aufgrund der bisher bekannten Tatsachen nicht feststellbaren Tag in der Zeit zwischen dem 13. Oktober 1970 und dem 16. November 1970 empfangen. Am 13. Oktober 1970 ist die für die Beschwerdeführerin bestimmte Ausfertigung des Beschlusses zur Post gegeben worden; dafür spricht der Erledigungsvermerk auf der Verfügung des Urkundsbeamten vom 7. Oktober 1970. Am 16. November 1970 befand sich die Ausfertigung in den Händen des Prozeßbevollmächtigten. Dies beweist sein Schriftsatz von diesem Tage, in dem er erklärt hat, der Ausfertigung des Beschlusses habe ein Vordruck für das Empfangsbekenntnis nicht beigelegen. Der Wille, den Beschluß entgegenzunehmen und zu behalten, ergibt sich aus der Äußerung in seinem Schriftsatz vom 16. November 1970, das FG möge ihm ein neues Empfangsbekenntnis schicken, das er unterzeichnet zurücksenden werde.

Für die Entscheidung über die Beschwerde kann dahingestellt bleiben, ob die Erklärung des Prozeßbevollmächtigten im Schriftsatz vom 16. November 1970, dem Beschluß habe ein Empfangsbekenntnis nicht beigelegen, der Wahrheit entsprach, und ob dieses Schriftstück als Empfangsbekenntnis qualifiziert werden kann. Es reicht aus, daß der Prozeßbevollmächtigte ein Empfangsbekenntnis abgegeben hat, nachdem ihm die Geschäftsstelle des FG mit Schreiben vom 19. November 1970 ein Formular übersandt hat, und daß die Erklärung über den Tag der Zustellung in diesem Empfangsbekenntnis erwiesenermaßen unrichtig ist. Geht man zugunsten der Beschwerdeführerin davon aus, daß der angefochtene Beschluß spätestens am 16. November 1970 zugestellt worden ist, so wäre die Frist zur Einlegung der Beschwerde (§§ 54, 128 FGO) mit Ablauf des 30. November 1970 verstrichen, die am 7. Dezember 1970 beim FG eingegangene Beschwerde mithin verspätet eingelegt.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 723

BFHE 1971, 457

NJW 1972, 552

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