Leitsatz (amtlich)

Für die Zustellung nach VwZG § 5 Abs 2 ist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Empfangsbekenntnis liefert, sofern der nach SGG § 118 Abs 1 iVm ZPO § 418 Abs 2 zulässige Gegenbeweis nichts anderes ergibt, vollen Beweis für die Richtigkeit des Datums. Bei unrichtigem Datum gilt das als richtig erwiesen. Die Gültigkeit des Zustellungsaktes wird von der unrichtigen Beurkundung nicht berührt.

 

Normenkette

VwZG § 5 Abs. 2 Fassung: 1952-07-03; SGG § 118 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 418 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Februar 1963 aufgehoben, soweit die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen wurde. Die Sache wird in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der 1960 gestellte Antrag des Klägers auf Witwerrente wurde durch Bescheid vom 27. Februar 1961 abgelehnt, weil der Kläger in der Lage gewesen sei, für sich selbst zu sorgen und seine Ehefrau ihn nicht überwiegend unterhalten habe. Auch der Antrag, Witwerversorgung im Wege des Härteausgleichs zu gewähren, blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) verurteilte unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide den Beklagten mit Urteil vom 1. Dezember 1961, dem Kläger ab 1. Juni 1960 Witwerrente nach § 43 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu gewähren.

Das Urteil des SG wurde dem Beklagten nach § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt. Auf dem Empfangsbekenntnis, das die 9. Kammer des SG Freiburg Zweigstelle Lörrach mit Begleitschreiben dem Landesversorgungsamt Baden-Württemberg, Rechtsmittelabteilung Freiburg i. Br., am 19. Dezember 1961 übersandte, sind die Urteilsausfertigung, eine Sitzungsniederschrift und drei Hefte Verwaltungsakten angegeben. Der Beklagte setzte auf dem Empfangsbekenntnis als Zeitpunkt des Eingangs den 29. Dezember 1961 ein. Der Kläger und der Beklagte legten gegen das Urteil Berufung ein, der Beklagte mit einem am 23. Januar 1962 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Schriftsatz. Das LSG wies durch Schreiben vom 4. Juli 1962 den Beklagten auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung hin, weil das am 19. Dezember 1961 abgesandte Urteil nach dem Empfangsbekenntnis erst am 29. Dezember 1961 zugegangen sein solle. Es erhob über den Zeitpunkt der Zustellung Beweis durch Vernehmung der Angestellten K des SG Freiburg und Einholung einer dienstlichen Äußerung des Amtmanns P, der als Urkundsbeamter der 9. Kammer des SG Freiburg tätig gewesen war. Durch Anfrage beim SG Freiburg wurde festgestellt, daß der Inhalt der Sendung vom 19. Dezember 1961 (Paket Nr. 7661) nicht festgehalten wurde. Ferner ergaben die Ermittlungen, daß mit Erlaß des Arbeitsministers des Landes Baden-Württemberg vom 8. Dezember 1961 die Auflösung mehrerer Rechtsmittelabteilungen des Landesversorgungsamts, darunter auch in Freiburg, mit Wirkung vom 31. Dezember 1961 verfügt und dieser Erlaß dem LSG mit Schreiben vom 14. Dezember 1961 mit der Bitte bekanntgegeben worden war, die Sozialgerichte anzuweisen, den mit den Rechtsmittelabteilungen seither gehabten Schriftwechsel ab sofort direkt mit dem Landesversorgungsamt in S zu führen. Diesen Erlaß hat das LSG mit Schreiben vom 21. Dezember 1961 den Sozialgerichten bekanntgegeben. Mit Verfügung vom 12. Dezember 1961 hatte der Beklagte den in Betracht kommenden Rechtsmittelabteilungen mitgeteilt, daß die für die Zentralisierung der Rechtsmittelabteilungen in die Wege geleitete Aktenübernahme am 18. Dezember 1961 beginne, und sie angewiesen, die Akten nach Aktenfällen, bei denen das Landesversorgungsamt tätig werden müsse und anderen Aktenfällen zu ordnen; aus der Verfügung ergibt sich weiter, daß die Akten der Rechtsmittelabteilung F am 21. Dezember 1961 abgeholt werden sollten und daß die danach eingehenden Schriftsätze sofort an das Landesversorgungsamt weiterzuleiten seien.

Der Beklagte beantragte mit einem am 16. November 1962 eingegangenen Schriftsatz gegen eine etwaige Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das LSG verwarf mit Urteil vom 22. Februar 1963 die Berufungen des Klägers und des Beklagten. Es ließ die Revision zu. Die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG sei mit dem Eingang des mit Datum und Unterschrift versehenen Empfangsbekenntnisses bei der zustellenden Dienststelle bewirkt, und zwar rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger. Das Empfangsbekenntnis des Beklagten vom 29. Dezember 1961 sei unrichtig, der Beweis der Unrichtigkeit zulässig. Das angefochtene Urteil sei nach den glaubhaften Angaben des Amtmanns P und der Angestellten K zusammen mit anderen Akten am 19. Dezember 1961 mittels Postpaket Nr. 7661 an das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg, Rechtsmittelabteilung F, abgesandt und lt. Bescheinigung des Postamts F dem Empfänger am 20. Dezember 1961 ausgehändigt worden. Der Einwand des Beklagten, die Angaben der Angestellten K reichten zum Nachweis für die Übersendung des Urteils nicht aus, weil das SG keine schriftlichen Aufzeichnungen über den Inhalt des Pakets habe, könne die Bekundung der als gewissenhaft bekannten Zeugin nicht entkräften. Es könne nicht unberücksichtigt bleiben, daß am 19. Dezember 1961 auch die Urteilsausfertigungen an den Kläger abgesandt und die Unterhaltshilfeakten an das Landratsamt Säckingen zurückgegeben wurden. Daher sei anzunehmen, daß sämtliche aus der Ausführungsverfügung vom 18. Dezember 1961 sich ergebenden Maßnahmen in einem Arbeitsgang am 19. Dezember 1961 erledigt wurden. Die Berufungsfrist sei daher am 20. Januar 1962 abgelaufen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Beklagte die Antragsfrist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses (§ 67 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) überschritten habe. Mit Schreiben vom 4. Juli 1962 sei er darauf hingewiesen worden, daß das Urteil am 20. Dezember 1961 zugegangen sein müsse. Erst mit einem am 16. November 1962 eingegangenen Schriftsatz habe er Wiedereinsetzung beantragt. Der Antrag müsse auch dann erfolglos bleiben, wenn man davon ausgehe, daß der Beklagte den Sachverhalt erst zu einem späteren Zeitpunkt genügend beurteilen konnte. Der Beklagte habe in der Verfügung vom 12. Dezember 1961 keine besondere Regelung bezüglich der Bearbeitung von Schriftstücken, die bis zur Überführung der Akten am 21. Dezember 1961 eingingen, getroffen. Er habe nur angeordnet, daß die nach der Abberufung der Akten noch eingehenden Schriftstücke sofort an das Landesversorgungsamt weiterzuleiten seien. Von der Auflösung der Rechtsmittelabteilungen hätten die Sozialgerichte erst nach dem 21. Dezember 1961 durch das LSG Kenntnis erlangt. Der Beklagte hätte eine angemessene Zeit in Rechnung stellen müssen, bis die Sozialgerichte von der Auflösung Kenntnis erhielten; er hätte sicherstellen müssen, daß die bei ihm noch eingehenden Schriftsätze auf Fristsachen überprüft würden. Dabei hätte es genügt, wenn auf der Fristsache der Tag des Eingangs bei der Rechtsmittelabteilung vermerkt wurde und die weitere Bearbeitung durch die Dienststelle in S erfolgt wäre. Da dies unterblieben sei, könne der Beklagte sich nicht darauf berufen, daß ihm das Urteil erst am 29. Dezember 1961 zugegangen sei.

Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung der §§ 128, 67 SGG und des § 5 Abs. 2 VwZG. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, daß das am 19. Dezember 1961 aufgegebene Paket auch die Versorgungsakten des Klägers und die Urteilsausfertigung enthalten habe. Aufgrund der Bekundung der Angestellten K hätte nur festgestellt werden können, daß die Postsendungen an das Landratsamt S, den Kläger und den Beklagten (Rechtsmittelabteilung F) gleichzeitig versandfertig gemacht wurden und daß die Postsendungen in der Regel die Verwaltungsakten und Urteile mehrerer Fälle enthielten. Da feststehe, daß der Inhalt des am 20. Dezember 1961 zugegangenen Pakets im einzelnen nicht festgestellt wurde, habe das LSG mit seiner Feststellung, die am 20. Dezember 1961 zugegangene Sendung habe die Urteilsausfertigung enthalten, das Recht der freien Beweiswürdigung überschritten. Bei einer Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG müsse im übrigen für den Zustellungsempfänger erkennbar sein, daß eine Zustellung nach dieser Vorschrift vorgenommen werden solle. Das Anschreiben des SG Freiburg vom 19. Dezember 1961, mit dem die Urteilsausfertigung und der Vordruck des Empfangsbekenntnisses übersandt wurden, lasse entgegen der Verwaltungsvorschrift Nr. 7 zu § 5 VwZG jeden Hinweis darüber vermissen, daß es sich um eine zustellungsbedürftige Übermittlung von Schriftstücken handele. Eine solche Kennzeichnung sei um so weniger entbehrlich, als für die Bewirkung der Zustellung die Bereitschaft und der Wille wesentlich seien, ein bestimmtes Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Bei einem entsprechenden Hinweis wäre wahrscheinlich eine beschleunigte Weiterleitung an das Landesversorgungsamt in S erfolgt. Die Einlegung der Berufung erst am 23. Januar 1962 sei auf diese fehlerhafte Zustellung zurückzuführen. Die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG sei erst dann bewirkt, wenn der Empfänger von dem Zugang des Schriftstücks Kenntnis erlange und sich entschlossen habe, die Zustellung anzunehmen. Nachdem die Funktionen der früheren Rechtsmittelabteilung F Mitte Dezember 1961 beendet waren, habe die nach § 5 Abs. 2 VwZG für die Kenntnis von dem Eingang des Urteils und die Bereitschaft, es als zugestellt anzunehmen, zuständige Amtsstelle nur das Landesversorgungsamt in S sein können. Da dieser Behörde, wie der Eingangsstempel ausweise, die Urteilsausfertigung erst am 29. Dezember 1961 zur Kenntnis gelangt sei und sie sich daher erst an diesem Tage entschließen konnte, die Zustellung anzunehmen, sei der Zeitpunkt der Zustellung in dem Empfangsbekenntnis zutreffend angegeben. Das LSG hätte auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht verweigern dürfen. Die Berufung sei innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses am 23. Januar 1962 eingelegt worden; deshalb hätte die Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG auch ohne Antrag gewährt werden können. Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur sachlichen Entscheidung an das LSG Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die durch Zulassung statthafte Revision des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Sie ist auch sachlich begründet.

Das LSG hat die am 23. Januar 1962 eingegangene Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen, weil das Urteil des SG dem Beklagten nach § 5 Abs. 2 VwZG am 20. Dezember 1961 zugestellt worden sei. Es hat als erwiesen angesehen, daß die Paketsendung des SG Freiburg am 19. Dezember 1961 an die Rechtsmittelabteilung des Beklagten in F abgesandt und am 20. Dezember 1961 dem Empfänger ausgehändigt wurde und diese Sendung die Ausfertigung des zuzustellenden Urteils enthalten habe. Die Berufungsfrist sei daher nicht gewahrt. Das von der Dienststelle des Beklagten in S mit dem Datum vom 29. Dezember 1961 versehene Empfangsbekenntnis sei unrichtig, der Nachweis der Unrichtigkeit zulässig. Diese Ausführungen, mit denen das LSG die Unzulässigkeit der Berufung begründet hat, sind nicht frei von Rechtsirrtum. Durch sie ist § 5 Abs. 2 VwZG verletzt.

§ 5 Abs. 2 VwZG läßt die Zustellung an Behörden und die dort bezeichneten Personen in der Form zu, daß das zuzustellende Schriftstück auch auf andere Weise als durch die nach § 5 Abs. 1 VwZG vorgeschriebene Aushändigung an den Empfänger übermittelt wird. Als Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis, das an die Behörde zurückzusenden ist. Diese Vorschrift setzt in die Personen und Stellen, an die die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG erfolgen kann, ein besonderes Vertrauen (Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb., 3. Aufl., Anm. zu § 5 VwZG bei § 63 SGG S. 186/63), daß das Empfangsbekenntnis ordnungsgemäß und mit richtigen Angaben vollzogen wird (vgl. auch BAG AP Nr. 1 zu § 212 a Zivilprozeßordnung - ZPO -). Von diesen Zustellungsvoraussetzungen und dieser Eigenart des § 5 Abs. 2 VwZG ist bei der Prüfung der Frage auszugehen, welcher Zeitpunkt in das Empfangsbekenntnis einzusetzen ist. Die Fassung dieser Vorschrift ist in enger Anlehnung an § 198 ZPO gewählt, der die Zustellung von Anwalt zu Anwalt regelt. Hier wie dort hat das Vertrauen, das bestimmten Stellen und einem abgegrenzten Kreis von Personen entgegengebracht wird, zu einer besonderen Zustellungsart geführt, die nach § 212 a ZPO in bestimmten Fällen auch bei der Amtszustellung zulässig ist. Darum ist auch bei der Anwendung des § 5 Abs. 2 VwZG von den Auslegungsgrundsätzen auszugehen, die Rechtsprechung und Lehre zu den §§ 198, 212 a ZPO entwickelt haben, soweit nicht den Vorschriften des VwZG etwas anderes zu entnehmen ist. Hiernach erfordert auch die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG, daß der Adressat von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und aufgrund dieser Kenntnisnahme den Willen bekundet, die Zustellung entgegenzunehmen (RG 8, 333; 109, 343, 344; 159, 84). Dabei ist die Kenntnisnahme von dem Inhalt des Schriftstücks nicht erforderlich; die Kenntnis von dem Zugang muß sich aber auf eine bestimmte eingehende Urkunde beziehen (RG 159, 84; BGH 14, 345; Rosenberg, Lehrb. d. Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 71 II 1 a, Baumbach/Lauterbach, ZPO, 26. Aufl., § 198 Anm. 1 B). Die Zustellung ist somit nur zulässig mit dem Willen des Adressaten, nicht ohne seinen Willen wie bei der Ersatzzustellung (§ 11 VwZG) oder gegen seinen Willen wie im Falle von § 186 ZPO oder § 13 VwZG (vgl. RG 98, 243; 109, 343; Rosenberg aaO § 71 II 1 a S. 329). Darum bedeutet der Eingang der Sendung bei dem Adressaten noch keine Zustellung (vgl. RG 109, 343); erst mit dessen erkennbarem Entschluß, das Schriftstück zu behalten, ist zugestellt (Baumbach/Lauterbach aaO § 198 Anm. 1 B). Die Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt nicht. Deshalb ist als Tag der Zustellung der Tag anzugeben, an dem der Adressat von dem Zugang des Schriftstücks Kenntnis erlangt und sich entschließt, die Zustellung anzunehmen (RG 156, 387; 159, 84). Das Empfangsbekenntnis liefert, sofern der nach § 118 Abs. 1 SGG i. V. m. § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis nichts anderes ergibt, vollen Beweis für die Richtigkeit des Datums (BSG in SozR Nr. 29 zu § 103 SGG). Bei unrichtigem Datum gilt das als richtig erwiesene (BGH LM § 198 ZPO Nr. 3, Baumbach/Lauterbach aaO § 198 ZPO Anm. 2 B; Stein/Jonas/Schönke, Komm. zur ZPO, 18. Aufl., § 198 II 5). Die Gültigkeit des Zustellungsaktes wird von der unrichtigen Beurkundung nicht berührt (RG 51, 164; Stein/Jonas/Schönke aaO, § 198 II 5 mit weiteren Nachweisen in Note 22 b und 26).

Nach diesen Grundsätzen hätte das LSG nicht zu dem Ergebnis kommen dürfen, daß die Urteilsausfertigung dem Beklagten am 20. Dezember 1961 zugestellt wurde, weil das Paket, das die Ausfertigung enthalten habe, der Rechtsmittelabteilung des Beklagten in F am 20. Dezember 1961 ausgehändigt worden war. Der Zeitpunkt des Zugehens der Postsendung und der für die Zustellung maßgeblichen Kenntnisnahme durch den zur Ausstellung des Empfangsbekenntnisses befugten Bediensteten mögen im allgemeinen nahe beieinander liegen, fallen aber nicht zusammen. Darüber hinaus durfte das LSG dem Eingang der Postsendung bei der Rechtsmittelabteilung des Beklagten in F aber auch deshalb keine entscheidende Bedeutung beilegen, weil diese Dienststelle gemäß Erlaß des Arbeitsministers des Landes Baden-Württemberg vom 8. Dezember 1961 zwar erst mit Wirkung zum 31. Dezember 1961 aufgelöst wurde, dieser Erlaß dem LSG aber bereits mit Schreiben vom 14. Dezember 1961 mit der Bitte bekanntgegeben worden war, die Sozialgerichte anzuweisen, den mit den Rechtsmittelabteilungen seither gehabten Schriftwechsel ab sofort mit dem Landesversorgungsamt in S zu führen. Daraus ergab sich im Interesse einer reibungslosen Abwicklung der F Dienststelle - die Akten dieser Dienststelle sollten bereits am 21. Dezember 1961 nach Stuttgart geschafft werden -, daß für die Bearbeitung der Streitfälle in Zukunft nur noch die Dienststelle in S zuständig sein sollte. Außerdem war in der Verfügung vom 12. Dezember 1961 bestimmt, daß die nach der Abberufung der Akten noch eingehenden Schriftsätze wie auch sonstige Post sofort an das Landesversorgungsamt weiterzuleiten seien. Der Beklagte hatte damit ausreichend zu erkennen gegeben, daß die Rechtsmittelabteilung in F ab sofort auch nicht mehr bereit sein würde, die Zustellung von Urteilen entgegenzunehmen und zu beurkunden. Die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden der 2. Kammer des SG Freiburg ergibt zwar, daß die Rechtsmittelabteilung des Beklagten in F bis vor Weihnachten 1961 noch Empfangsbekenntnisse ausgestellt hat. Das ändert aber nichts daran, daß ein solches Empfangsbekenntnis dieser Dienststelle hier nicht vorliegt und es deshalb nach der in dem Schreiben des Beklagten enthaltenen allgemeinen Richtlinie nur auf das von der Dienststelle in Stuttgart ausgestellte Empfangsbekenntnis ankommen kann. Unerheblich ist, daß das SG Freiburg von dem Schreiben des Beklagten vom 14. Dezember 1961 erst Kenntnis erlangt hat, nachdem die Urteilsausfertigung an den Beklagten abgesandt worden war. Daraus können für den Beklagten nachteilige Folgerungen schon deswegen nicht gezogen werden, weil sich aus § 5 Abs. 2 VwZG keine prozeßrechtliche Verpflichtung zur Annahme von Urkunden zur Zustellung herleiten läßt; dies ist für § 198 ZPO allgemein anerkannt (vgl. EGH 30, 305; Baumbach/Lauterbach aaO § 198 Anm. 1 B; Steir /Jonas/Schönke aaO § 198 II 3; Peters/Sautter/Wolff aaO Anm. zu § 5 VwZG bei § 63 SGG S. 186/64).

Bei dieser Rechtslage kann dahingestellt bleiben, ob das LSG die Grenzen des freien Beweiswürdigungsrechts mit seiner Feststellung überschritten hat, daß die hier in Betracht kommende Urteilsausfertigung in dem am 19. Dezember 1961 abgesandten Paket enthalten war, obgleich der Inhalt dieses Pakets im einzelnen nicht aufgezeichnet wurde und die Ausführungen des LSG auch nicht zweifelsfrei erkennen lassen, ob am 19. Dezember 1961 nur eine Paketsendung aufgegeben wurde. Denn auf die Feststellung, wann das Paket in F dem Empfänger ausgehändigt wurde, kommt es nicht an. Nicht begründet ist die weitere Rüge des Beklagten, daß die Zustellung des Urteils deswegen an einem wesentlichen Mangel leide, weil das Begleitschreiben, das der Urteilsausfertigung und dem Formular des Empfangsbekenntnisses beilag, den Willen zur Zustellung nur unzureichend zum Ausdruck bringe. Das Begleitschreiben verweist mit der Bitte, "das beigefügte Empfangsbekenntnis ... zu unterschreiben und alsbald zurückzusenden", auf die angeschlossene Urteilsausfertigung. Damit war die zum Zwecke der Zustellung bewirkte Übermittlung der Ausfertigung hinreichend zum Ausdruck gekommen.

Da die Feststellungen des LSG die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung nicht tragen, war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache war nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2253207

NJW 1966, 1382

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