Leitsatz (amtlich)

Für eine GmbH, die sich nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 in Liquidation befindet, sind die Liquidatoren auch dann auf Antrag eines Beteiligten vom Gericht zu ernennen, wenn schon vor der Löschung eine Liquidation stattgefunden hat (Abweichung von dem BGH-Urteil VIII ZR 68/56 vom 4. Juni 1957, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 74 GmbHG, Nr. 1).

 

Normenkette

FGO §§ 58, 155; ZPO §§ 241, 246

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin (Stpfl.), eine GmbH, befaßte sich mit dem Erwerb, der Bebauung und der Veräußerung von Grundstücken. Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die sie geriet, wurde sie in der Zeit vom 1. Januar 1960 bis 31. Dezember 1964 durch die alleinige Geschäftsführerin liquidiert und am 4. Oktober 1965 im Handelsregister von Amts wegen wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.

Die Stpfl. hatte im Streitjahr 1960 keine Buchführung. Der Revisionsbeklagte (FA) schätzte daher den Gewinn zunächst im Wege eines Vermögensvergleichs auf 30 000 DM und legte diesen Gewinn dem Körperschaftsteuerbescheid und dem einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheid für das Streitjahr, beide vom 17. April 1962, zugrunde. Auf den Einspruch hin ermittelte das FA den Gewinn durch eine Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, die zu einer Erhöhung der Körperschaftsteuer von 13 200 DM auf 16 980 DM und zu einer Erhöhung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags von 1 540 DM auf 1 890 DM führte.

Die dagegen erhobene Klage vom 27. April 1965 wies das FG ab.

In der Begründung hat das FG zunächst die Parteifähigkeit der Stpfl. bejaht. Die Löschung der Stpfl. im Handelsregister habe keine konstitutive, sondern nur eine deklaratorische bedeutung gehabt. Die Stpfl. habe rechtlich weiterbestanden, da sich aus ihren Behauptungen im gegenwärtigen Rechtsstreit, wenn sie wahr wären, ergäbe, daß sie noch Vermögen besitze, nämlich den Anspruch auf Herabsetzung der Steuern. Die Stpfl. sei auch prozeßfähig, da sie durch ihre Geschäftsführerin nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten werde. Da sie schon vor Eintragung der Löschung im Handelsregister liquidiert worden sei, bedürfe es zur Fortsetzung des Rechtsstreits nach Eintragung der Löschung nicht der Erneuerung neuer Liquidatoren (Urteil des BGH VIII ZR 68/56 vom 4. Juni 1957, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 74 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -, Nr. 1). In der Sache selbst hat das FG die Schätzung des Gewinns für das Streitjahr gebilligt.

Mit der Revision rügt die Stpfl., bei der Schätzung des Gewinns seien nicht alle erheblichen Umstände berücksichtigt worden. Ihr restliches Vermögen sei unrichtig bewertet worden.

Die Stpfl. beantragt, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Verfahren I R 144/66 wegen Gewerbesteuermeßbetrags 1960 und I R 145/66 wegen Körperschaftsteuer 1960 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 73 FGO).

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das Verfahren vor dem FG wurde unterbrochen, da die Stpfl., deren Fähigkeit, Beteiligte zu sein (§ 57 FGO), das FG im Ergebnis zutreffend bejaht hat, durch die Löschung im Handelsregister am 4. Oktober 1965 ihre Prozeßfähigkeit verlor und nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war (§§ 241, 246 ZPO, § 155 FGO; Beschluß des BFH I 58/59 U vom 31. Januar 1961, BFH 72, 468, BStBl III 1961, 171). Für juristische Personen handeln nach § 58 Abs. 2 FGO im Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit die nach dem bürgerlichen Recht dazu befugten Personen. Die Löschung der Stpfl. wegen Vermögenslosigkeit hatte zur Folge, daß die Vertretungsmacht der bisherigen Geschäftsführerin endete. Da die Stpfl. aber trotz der Löschung weiterlebt, soweit sie im gegenwärtigen Verfahren die gegen sie ergangenen Steuerbescheide angreift, befindet sie sich nunmehr in Liquidation (§ 2 Abs. 3 1. Halbsatz des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 - LöschG-, RGBl I 1934, 914) und bedarf zu ihrer Vertretung eines Liquidators. Dieser ist nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (§ 2 Abs. 3 2. Halbsatz LöschG) auf Antrag eines Beteiligten durch das Gericht zu ernennen. Der BGH hat dagegen durch Urteil VIII ZR 68/56, a. a. O., entschieden, daß es der Ernennung von Liquidatoren nicht bedarf, wenn vor der Löschung eine Liquidation eingeleitet und ein Rechtsstreit durch die bisherigen Liquidatoren begonnen war. Es kann auf sich beruhen, ob das nur bei bereits eingeleiteter Abwicklung nach den Vorschriften des Gesetzes oder auch im Falle einer bereits durchgeführten tatsächlichen Liquidation gilt (vgl. unten 2). Denn der Senat folgt der Auffassung des BGH nicht, da sie dem Wortlaut des Gesetzes widerspricht und für eine einschränkende Auslegung der angeführten Vorschrift kein ausreichender Grund vorhanden ist. Ebenso wie im Aktienrecht (§ 273 Abs. 4 AktG 1965) dient es auch hier der Rechtssicherheit, wenn Liquidatoren nicht ohne weiteres, sondern erst nach Bestellung durch das Gericht ihre Tätigkeit fortsetzen. Die Abweichung von dem angeführten Urteil des BGH erscheint dem Senat um so weniger bedenklich, als der BGH die Frage der Vertretungsbefugnis der bisherigen Liquidatoren gar nicht abschließend zu beantworten brauchte, da, wie er selbst ausgeführt hat, eine Unterbrechung des Verfahrens im damaligen Fall schon deshalb nicht eintrat, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Löschung durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war.

Der Senat hat den Mangel der Prozeßfähigkeit von Amts wegen zu prüfen (§ 56 Abs. 1 ZPO, § 155 FGO). Im Streit über die Frage der Prozeßfähigkeit ist ein Beteiligter prozeßfähig (Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., S. 189). Die Stpfl. konnte daher wirksam Revision einlegen. Die Unterbrechung des Verfahrens hatte zur Folge, daß die angefochtenen Urteile nicht mehr ergehen durften. Das folgt aus § 249 Abs. 3 ZPO, § 155 FGO. Sie sind zwar nicht nichtig, müssen aber wegen des Rechtsfehlers aufgehoben werden (Rosenberg, a. a. O., S. 602).

2. Für den Fall, daß ein vom Gericht bestellter Liquidator das Verfahren wieder aufnimmt (§ 241 ZPO, § 155 FGO), wird das FG folgendes zu beachten haben:

Das Urteil des FG enthält in sich widerspruchsvolle Feststellungen zu der Frage, ob die Stpfl. vor ihrer Löschung im Handelsregister die Auflösung beschlossen hat und daraufhin abgewickelt wurde (§§ 60 ff. GmbHG). Das FG hat ausgeführt, über Beginn und Ende der Liquidation der Stpfl. lägen keine ordnungsmäßigen Gesellschafterbeschlüsse vor. Die Stpfl. sei aber tatsächlich in der Zeit von 1960 bis 1964 durch die Geschäftsführerin liquidiert worden. Die Gesellschafter hätten der Liquidation schlüssig zugestimmt. Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, ob nun die Stpfl. durch Beschluß der Gesellschafter, der auch formlos gefaßt werden kann und auch ohne die vorgeschriebene Eintragung in das Handelsregister (§ 65 GmbHG) wirksam ist (Schmidt in Hachenburg, Kommentar zum GmbHG, 6. Aufl., § 60, Anm. 15, 16), aufgelöst und dann im Gesetzlichen Sinn abgewickelt wurde oder nicht. Die Frage ist aber für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. Wurde die Stpfl. nach §§ 60 ff. GmbHG aufgelöst und abgewickelt, dann kann die Schätzung des FA, die das FG gebilligt hat, nicht aufrechterhalten werden, da nach § 14 KStG der im Zeitraum der Abwicklung erzielte Gewinn und nicht - wie geschehen - der Gewinn des Streitjahres 1960 der Besteuerung zugrunde zu legen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412807

BStBl II 1968, 95

BFHE 1968, 336

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