Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten der im Handelsregister gelöschten GmbH gegen einen entsprechend § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO erlassenen Einstellungsbeschluß

 

Leitsatz (NV)

1. Die Löschung einer GmbH im Handelsregister führt nicht zum Wegfall der Fähigkeit, Beteiligte im finanzgerichtlichen Verfahren zu sein.

2. Die Löschung führt zwar zur Prozeßunfähigkeit, läßt aber die Vollmacht des Prozeßbevollmächtigten nicht erlöschen.

3. Die Beschwerde ist statthaft, wenn das FG in entsprechender Anwendung des § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO die Verfahrenseinstellung beschlossen hat, ohne daß die Klagerücknahme erklärt worden ist.

4. Eine entsprechende Anwendung des § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ist nicht im Hinblick darauf gerechtfertigt, daß damit gerechnet werden kann, das Verfahren werde nicht weiterbetrieben.

5. Wird das Verfahren länger als sechs Monate vom Rechtsmittelführer nicht betrieben, so kann es in den Registern gelöscht werden.

 

Normenkette

FGO § 72 Abs. 2 S. 2, § 128 ff., § 155; ZPO §§ 86, 241, 246 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klin.), eine inzwischen im Handelsregister gelöschte GmbH, erhob wegen der Umsatzsteuerfestsetzung für die Streitjahre (1982 und 1983) Klage, wobei sie durch ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten vertreten wurde (Eingang der Klage beim FG: 10. Januar 1986). Sodann teilte der Beklagte und Beschwerdegegner (das FA) dem FG mit, die Klin. sei am 26. Mai 1986 im Handelsregister gelöscht worden und es, das FA, beabsichtige nicht, einen Antrag auf Nachtragsliquidation zu stellen. Das FG fragte daraufhin beim Prozeßbevollmächtigten der Klin. an, ob er die Bestellung eines Nachtragsliquidators betreiben wolle. Der Prozeßbevollmächtigte hat hierauf lediglich um Fristverlängerung für die Beantwortung der Anfrage nachgesucht.

Daraufhin entschied das FG mit Beschluß vom 13. August 1986 VI 13/86, das Verfahren werde entsprechend § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO eingestellt, weil die Klin. im Handelsregister gelöscht worden sei und die Beteiligten mitgeteilt hätten, daß ein Nachtragsliquidator nicht bestellt werden solle.

Gegen diesen Beschluß hat der Prozeßbevollmächtigte namens der Klin. Beschwerde eingelegt, der vom FG nicht abgeholfen worden ist. Die Beschwerde ist bisher nicht begründet worden.

Das FA hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Beschwerde der Klin. wird der angefochtene Beschluß aufgehoben. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Weder fehlt der Klin. die Beteiligtenfähigkeit, noch ist die Vollmacht des Prozeßbevollmächtigten erloschen. Das Verfahren ist auch nicht unterbrochen. Außerdem ist die Beschwerde statthaft.

a) Die Löschung einer GmbH im Handelsregister führt nicht zum Wegfall der Fähigkeit, Beteiligte im finanzgerichtlichen Verfahren zu sein. Nach der Rechtsprechung des BFH wird eine gelöschte GmbH steuerrechtlich als fortbestehend angesehen, solange sie steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat. Sie büßt auch nicht ihre Beteiligtenfähigkeit ein (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Januar 1985 I B 36/83, BFH/NV 1986, 341; BFH-Urteil vom 14. Januar 1986 VII R 111/79, BFH/NV 1986, 384, unter 2., jeweils m.w.N.).

b) Die Löschung einer GmbH im Handelsregister hat zwar den Verlust der Geschäftsführungsbefugnis des bisherigen Geschäftsführers zur Folge, so daß die GmbH mangels eines vertretungsberechtigten Organs prozeßunfähig wird. Hierdurch ist jedoch gemäß § 155 FGO i.V.m. § 86 ZPO die Vollmacht des Prozeßbevollmächtigten nicht erloschen (vgl. Beschluß in BFH/NV 1986, 341). Mithin war der Prozeßbevollmächtigte zur Beschwerdeeinlegung befugt.

c) Das Verfahren vor dem FG wurde durch den Verlust der Prozeßfähigkeit der Klin. nicht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 241 ZPO mit der Folge unterbrochen, daß nach außen wirkende Handlungen des Gerichts unzulässig wären; denn aufgrund der Vertretung durch einen Prozeßbevollmächtigten ist nach § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO eine Unterbrechung nicht eingetreten (vgl. Beschluß in BFH/NV 1986, 341, und Urteil in BFH/NV 1986, 385 unter 2.).

d) Die Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluß ist schließlich statthaft. Wie der Senat in seinem Beschluß vom 21. Februar 1985 V B 75/84 (BFH/NV 1986, 99, m.w.N.) entschieden hat, kann ein Einstellungsbeschluß, der sich auf die - direkte - Anwendung des § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO stützt, mit der Beschwerde angefochten werden, wenn die Wirksamkeit der Klagerücknahmeerklärung angegriffen wird. Hinsichtlich der Statthaftigkeit der Beschwerde kann nichts anderes für den Fall gelten, daß das FG in entsprechender Anwendung des § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO die Verfahrenseinstellung beschlossen hat, ohne daß eine Klagerücknahmeerklärung abgegeben worden wäre.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO sieht den Erlaß eines Beschlusses, durch den das Verfahren eingestellt wird, ausschließlich für den Fall vor, daß die Klage zurückgenommen worden ist. Die entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Fälle, in denen zwar damit gerechnet werden kann, daß das Verfahren nicht weiterbetrieben wird, in denen aber die Klage nicht zurückgenommen worden ist, scheitert am Fehlen einer für die Analogie erforderlichen Gesetzeslücke (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 4 Rdnr. 113 ff.). Wird das Verfahren länger als sechs Monate vom Rechtsmittelführer nicht betrieben, so bedarf es für die Herbeiführung der praktischen Verfahrensbeendigung nicht des Erlasses eines Einstellungsbeschlusses. Vielmehr kann das Verfahren unter solchen Umständen auch ohne Einstellungsbeschluß in den Registern gelöscht werden (vgl. BFH-Beschluß vom 30. April 1985 II R 89/82, BFH/NV 1986, 12).

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 648

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