Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Steuerbescheids durch einfachen Brief

 

Leitsatz (NV)

Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang eines mit einfachem Brief übermittelten Schriftstücks überhaupt, sondern behauptet er lediglich, es nicht innerhalb der Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr.1 AO 1977 erhalten zu haben, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren. Das FG hat den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Steuerpflichtigen aufzuklären und die festgestellten und unstreitigen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung gegeneinander abzuwägen.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 96 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) wurde im Anschluß an Ermittlungen des Finanzamts (FA) für Fahndung und Strafsachen durch Haftungsbescheid für Lohnsteuer in Höhe von X DM in Anspruch genommen. Das FA ging entsprechend den Feststellungen der Steuerfahndung davon aus, daß die Antragstellerin im Rahmen ihres Unternehmens Arbeitnehmer beschäftigt hatte, ohne Lohnsteuer anzumelden. Nach dem Absendevermerk in den Akten des FA wurde der Haftungsbescheid am 12. Dezember 1990 zur Post gegeben. Die Antragstellerin legte am 17. Januar 1991 Einspruch ein. Das FA wies die Antragstellerin darauf hin, daß der Einspruch seiner Auffassung nach verspätet sei. Die Antragstellerin machte geltend, der Haftungsbescheid sie ihr zusammen mit dem Umsatzsteuerbescheid vom 4. Januar 1991 in einem Briefumschlag Anfang Januar 1991 zugegangen.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig und führte aus: Der Haftungsbescheid sei ausweislich des Aktenvermerks am 12. Dezember 1990 von der Bearbeiterin der Lohnsteuer-Arbeitgeberstelle zur Post gegeben worden. Demgegenüber sei der Umsatzsteuerbescheid erst am 4. Januar 1991 von einem Bearbeiter aus dem Veranlagungsbereich abgesandt worden. Dieser Veranlagungsbereich sei sowohl räumlich als auch organisatorisch von der Lohnsteuerabteilung getrennt. Außerdem liege die Besonderheit vor, daß der vom Rechenzentrum ausgedruckte Umsatzsteuerbescheid erstmals am 17. Dezember 1990 abgesandt worden sei. Dieser Bescheid sei wegen eines Schreibfehlers von der Post nicht zugestellt, sondern zurückgeschickt worden und am 28. Dezember 1990 wieder beim FA eingegangen. Er sei auf den 4. Januar 1991 umdatiert und am gleichen Tage erneut zur Post gegeben worden.

Die Antragstellerin beantragte innerhalb der Klagefrist Prozeßkostenhilfe (PKH) für die von ihr beabsichtigte Klage gegen den Haftungsbescheid. Sie lebt nach ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse von der Sozialhilfe. Das Finanzgericht (FG) wies den Antrag als unbegründet zrück. Es vertrat die Ansicht, es bestehe keine begründete Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Klage. Das FA habe den Einspruch bei summarischer Prüfung zu Recht als unzulässig verworfen. Der Einspruch sei verspätet. Es sei nicht wahrscheinlich, daß der Bescheid vom 12. Dezember 1990 der Klägerin erst am 4. Januar 1991 zugegangen sei. Die Darstellung der Antragstellerin sei nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit des Aktenvermerks über die Aufgabe zur Post zu wecken. Die Antragstellerin behaupte zwei vom typischen Arbeitsablauf abweichende Ereignisse: Einerseits müsse das FA trotz gegenteiliger Vermerke den Haftungsbescheid am 12. Dezember 1990 nicht abgesandt, sondern bis zum 4. Januar 1991 liegen lassen haben; andererseits müßten Haftungs- und Umsatzsteuerbescheid in der Poststelle trotz entgegenstehender Dienstanweisung umkuvertiert worden sein. Beide Geschehensabläufe seien unwahrscheinlich.

Mit ihrer Beschwerde hält die Antragstellerin an ihrem Begehren auf Bewilligung der PKH fest und trägt vor: Durch den Beschluß werde ihr im Klartext vorgeworfen, sie habe gelogen. Für diesen Vorhalt sei kein hinreichender Anhaltspunkt gegeben. Ein Abweichen von der Regel in zweierlei Hinsicht reiche dafür nicht aus.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den Antrag auf Bewilligung der PKH zu Recht abgelehnt.

Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist PKH zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolguung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Eine Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. März 1986 III B 5-6/86, BFHE 146, 223, BStBl II 1986, 526).

Der Senat teilt bei summarischer Prüfung und Würdigung der wesentlichen Tatumstände die Einschätzung des FG, daß die von der Antragstellerin beabsichtigte Klage wahrscheinlich keinen Erfolg haben wird. Denn die Klage hätte nur dann Erfolg, wenn die Antragstellerin die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) des mit einfachem Brief zur Post gegebenen Haftungsbescheids entkräften könnte. Dies ist nicht wahrscheinlich.

Die Antragstellerin bestreitet nicht, den Bescheid überhaupt erhalten zu haben. Sie macht vielmehr geltend, ihn später als innerhalb von drei Tagen nach Aufgabe zur Post erhalten zu haben. Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern behauptet er lediglich, es nicht innerhalb der Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr.1 AO 1977 erhalten zu haben, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel gegen die Dreitagevermutung zu begründen. Das FG hat den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Vorbringens des Steuerpflichtigen über den Zugang des Bescheids aufzuklären (vgl. BFH-Urteil vom 6. September 1989 II R 233/85, BFHE 158, 297, BStBl II 1990, 108) und die festgestellten oder unstreitigen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO (vgl. dazu BFH-Urteil vom14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534) gegeneinander abzuwägen.

Im Streitfall ist es nicht zu beanstanden, daß das FG das Vorbringen der Antragstellerin über die Art und den Zeitpunkt des Zugangs des Haftungsbescheids vom 12. Dezember 1990 nicht für glaubhaft und mithin für unwahrscheinlich gehalten hat, daß es der Antragstellerin im beabsichtigten Klageverfahren gelingen wird, die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr.1 AO 1977 zu erschüttern. Die von der Antragstellerin behauptete gemeinsame Versendung des Haftungsbescheides mit dem Umsatzsteuerbescheid kann nach den unstreitigen organisatorischen und örtlichen Verhältnissen des FA unter Einbeziehung der ursprünglich fehlerhaften Adressierung des Umsatzsteuerbescheides solange als ausgeschlossen angesehen werden, wie nicht Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die das außergewöhnliche Vorgehen einer gemeinsamen Versendung der beiden Bescheide als zumindest entfernt denkbar erscheinen lassen. Derartige Gesichtspunkte sind aus den Akten aber nicht erkennbar und von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen. Insbesondere ist auch kein Motiv für das von der Antragstellerin behauptete außergewöhnliche Vorgehen der Finanzbeamten ersichtlich.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 75

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