Entscheidungsstichwort (Thema)

Aktivierung von Gewinnansprüchen

 

Leitsatz (NV)

Die Frage, wann der Anspruch auf den Gewinn einer Kapitalgesellschaft bei der Muttergesellschaft zu aktivieren ist, ist derzeit ungeklärt. Ist sie entscheidungserheblich, so ist Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

 

Normenkette

FGO § 69; EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat dem Antrag der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) gegen den Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) wegen Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 1993 durch Beschluß vom 26. Oktober 1995 entsprochen und die Beschwerde zugelassen. Der Beschluß wurde dem FA am 10. November 1995 zugestellt. Es legte am 20. November 1995 beim FG Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat und der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Die Antragstellerin wurde am ... April 1993 gegründet. Am 3. Mai 1993 erwarb sie mit Wirkung zum 1. Juni 1993 durch Kaufvertrag mit der A-KG die Anteile an der B- GmbH. In dem Vertrag verpflichteten sich die Vertragschließenden, bei der B-GmbH ein Rumpfwirtschaftsjahr für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 1993 zu bilden.

Am 28. Mai 1993 beschloß eine Gesellschafterversammlung der B-GmbH, für das Kalenderjahr 1993 zwei Rumpfwirtschaftsjahre vom 1. Januar bis zum 31. Mai 1993 sowie vom 1. Juni 1993 bis zum 31. Dezember 1993 zu bilden. Dieser Beschluß wurde mit Schreiben vom 28. Mai 1993 zur Eintragung beim Handelsregister angemeldet. Wegen handelsrechtlicher Bedenken, die sich auf andere Vorgänge bezogen, wurde der Beschluß erst am 6. April 1994 eingetragen.

Am 19. Juli 1994 stellte die Gesellschafterversammlung der B-GmbH den Jahresabschluß für das Rumpfwirtschaftsjahr 1. Juni 1993 bis 31. Dezember 1993 fest und beschloß, den Gewinn in Höhe von ... DM (brutto) an die Antragstellerin auszuschütten.

Die B-GmbH reichte für den Veranlagungszeitraum 1993 zwei Körperschaftsteuererklärungen ein, und zwar eine für jedes Rumpfwirtschaftsjahr. Ein besonderer Antrag, der Umstellung des Wirtschaftsjahres zuzustimmen, wurde seitens der B-GmbH nicht gestellt. Das FA hielt die Umstellung des Wirtschaftsjahres für unwirksam. Im Körperschaftsteuerbescheid 1993 rechnete es die Ergebnisse der beiden Rumpfwirtschaftsjahre der B-GmbH zusammen.

Der Jahresabschluß 1993 wurde für die Antragstellerin am 30. August 1994 aufgestellt. Darin wies die Antragstellerin Beteiligungserträge in Höhe von ... DM aus. Sie erklärte ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von ./. ... DM und machte unter Vorlage einer entsprechenden Steuerbescheinigung anrechenbare Körperschaftsteuer in Höhe von ... DM und Kapitalertragsteuer in Höhe von ... DM geltend.

Das FA folgte dem nicht. Bei der Körperschaftsteuerveranlagung 1993 der Antragstellerin ließ es die Beteiligungserträge außer Ansatz. Mit Bescheiden vom 2. Mai 1995 setzte es die Körperschaftsteuer 1993 auf 0 DM, stellte das zu versteuernde Einkommen auf ./. ... DM fest und versagte die Anrechnung der Körperschaft- und Kapitalertragsteuer.

Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 2. Juni 1995 Einspruch ein, über den -- soweit bekannt -- noch nicht entschieden ist. Außerdem beantragte sie beim FA die Aussetzung der Vollziehung. Den Antrag lehnte das FA mit Schreiben vom 10. Juli 1995 ab. Die Antragstellerin stellte deshalb ihren Antrag beim FG. Dieses gab dem Antrag statt. Sein Beschluß ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 75 veröffentlicht.

Das FA legte Beschwerde ein.

Es beantragt, unter Änderung des Beschlusses des FG vom 26. Oktober 1995 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides vom 2. Mai 1995 abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.

1. Ansprüche auf den Gewinnanteil aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft sind in der Bilanz des Gesellschafters grundsätzlich erst dann zu bilanzieren, wenn die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft einen Gewinnverteilungsbeschluß gefaßt haben (Urteil des Reichsgerichts vom 16. April 1920 II 396/19, RGZ 98, 318; Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 24. Januar 1957 II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, 154; Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. Oktober 1973 I R 67/72, BFHE 111, 72, BStBl II 1974, 234, und vom 21. Mai 1986 I R 190/81, BFHE 147, 27, BStBl II 1986, 815). Erst in diesem Augenblick spaltet sich der Anspruch auf den Gewinnanteil von dem Mitgliedschaftsrecht ab. Erst in diesem Augenblick entsteht der Anspruch auf den Gewinnanteil als selbständiges und damit bilanzierungsfähiges Wirtschaftsgut.

2. Von dem o. g. Grundsatz hat der BGH in seinem Urteil vom 3. November 1975 II ZR 67/73 (BGHZ 65, 230) eine Ausnahme für den Fall zugelassen, daß eine Konzernaktiengesellschaft mit Mehrheit an einer anderen Aktiengesellschaft desselben Konzerns mit gleichem Wirtschaftsjahr beteiligt ist. In diesem Fall soll der Muttergesellschaft das Wahlrecht zustehen, den zur Ausschüttung vorgesehenen Gewinn der Tochtergesellschaft zeitgleich als Anspruch auf den Gewinnanteil im eigenen Jahresabschluß zu aktivieren, wenn der Jahresabschluß der Tochtergesellschaft noch vor Abschluß der Prüfung der Muttergesellschaft festgestellt worden ist und ein entsprechender Gewinnverwendungsvorschlag vorliegt. Der BFH ist dieser Rechtsprechung des BGH nicht nur gefolgt, sondern hat sie einerseits auf alle Kapitalgesellschaften und andererseits auch auf nichtkonzernverbundene Kapitalgesellschaften ausgedehnt (vgl. BFH-Urteile vom 2. April 1980 I R 75/76, BFHE 131, 196, BStBl II 1980, 702, und vom 3. Dezember 1980 I R 125/77, BFHE 132, 80, BStBl II 1981, 184). Gleichzeitig hat er das vom BGH angenommene handelsrechtliche Aktivierungswahlrecht als ein nur steuerlich wirkendes Aktivierungsverbot verstanden. Der erkennende Senat hat jedoch durch Urteile in BFHE 147, 27, BStBl II 1986, 815, vom 21. Mai 1986 I R 362/83 (BFHE 147, 37) und I R 199/84 (BFHE 147, 44, BStBl II 1986, 794) entschieden, daß die beim Erwerb eines Anteils an einer GmbH anfallenden Anschaffungskosten solange nicht auch auf ein neben der Beteiligung bestehendes Wirtschaftsgut "Gewinnanteil" entfallen, als im Zeitpunkt der Anschaffung ein Gewinnverteilungsbeschluß noch nicht gefaßt ist. In BFHE 147, 44, BStBl II 1986, 794 hat er einschränkend zusätzlich gefordert, daß das Beherrschungsverhältnis während des ganzen Jahres bestanden haben müsse. An dieser Entscheidung ist allerdings Kritik geübt worden (vgl. Knobbe- Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 82, Fn. 100; Köster, Der Betrieb 1993, 696; Hönle, Betriebs-Berater -- BB -- 1993, 252; Neu, BB 1995, 399). Dagegen ist der X. Senat in seinem Urteil vom 8. März 1989 X R 9/86 (BFHE 156, 443, BStBl II 1989, 714) über die frühere Rechtsprechung insoweit hinausgegangen, als er sie auf Gesellschaften ausgedehnt hat, die nicht Kapitalgesellschaften sind. Außerdem hat er auf die vorherige Bilanzfeststellung bei der beherrschten Gesellschaft verzichtet. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 7. November 1990 I R 68/88 (BFHE 162, 337, BStBl II 1991, 177) ausdrücklich offengelassen, ob er sich dieser Auffassung anschließt. Der Steuergesetzgeber hat im Standortsicherungsgesetz vom 13. September 1993 (BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774) § 20 Abs. 2 a in das Einkommensteuergesetz eingefügt. Nach der Vorschrift sind Gewinnanteile dem Anteilseigner im Zeitpunkt der Fassung des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen. Es steht die Frage im Raum, welchen Einfluß die Gesetzesänderung auf das Bilanzsteuerrecht hat. Demgegenüber ist der BGH in seinem Vorlagebeschluß vom 21. Juli 1994 II ZR 82/93 (Internationales Steuerrecht -- IStR -- 1994, 454) für eine weitere Rechtsfortentwicklung seiner Rechtsprechung in BGHZ 65, 230 eingetreten. Nunmehr soll auch handelsrechtlich eine Pflicht zur phasengleichen Aktivierung bestehen, wenn zum Stichtag der Muttergesellschaft aufgrund eines von der abhängigen GmbH zu erstellenden Jahresabschlusses feststeht, daß diese einen Gewinn erzielt hat. Dieser Auffassung ist der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Urteil vom 27. Juni 1996 Rs C-234/94 (IStR 1996, 352) nur mit gewissen Einschränkungen gefolgt. Er hat die Entscheidung, ob eine Verpflichtung, ein Wahlrecht oder ein Verbot zur bzw. der phasengleichen Aktivierung besteht, den nationalen Gerichten zugewiesen. Die Annahme einer Aktivierungspflicht hat er nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen.

3. Sollte es auf die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen ankommen, so ist nach den tatsächlichen Feststellung des FG für den Streitfall davon auszugehen, daß der Jahresabschluß der B-GmbH vor Abschluß der Prüfung des Jahresabschlusses der Antragstellerin festgestellt wurde. Bei der B-GmbH wurde der Gewinnverteilungsbeschluß für 1993 am 19. Juli 1994 gefaßt. Damals war der Jahresabschluß der Antragstellerin noch nicht aufgestellt. Insoweit sind die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Unklar ist jedoch, ob die Antragstellerin und die B-GmbH einen Konzern bildeten und ob der Jahresabschluß zum 31. Dezember 1993 der B-GmbH die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage zutreffend wiedergibt. Unklar ist ferner, ob über die vom EuGH ausdrücklich genannten Voraussetzungen hinaus zu fordern ist, daß die konzernmäßige Beteiligung während des gesamten Geschäftsjahres oder nur zum Bilanzstichtag bestehen muß. Es ist Sache des BGH und des BFH, in dieser Frage eine Klärung herbeizuführen. Solange eine Klärung nicht herbeigeführt ist, können ernstliche Zweifel i. S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides nicht verneint werden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 283

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