Leitsatz (amtlich)

1. Das Hess. GrEStG 1965 unterscheidet zwischen den Begriffen „Eigenheim” und „Familienheim” im Sinne des II. WoBauG.

2. Für den gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b des Hess. GrEStG 1965 von der Besteuerung ausgenommenen ersten Erwerb eines grundsteuerbegünstigten Familienheims kommt eine nachträgliche Steuerfestsetzung nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 des Hess. GrEStG 1965 in Betracht. Eine ausdehnende Anwendung des § 4 Abs. 2 des Hess. GrEStG 1965 auf Fälle dieser Art scheidet aus.

 

Normenkette

Hess. GrEStG i.d.F. vom 31. Mai 1965 (GVBl S. 110) § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c; Hess. GrEStG i.d.F. vom 31. Mai 1965 (GVBl S. 110) § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b; Hess. GrEStG i.d.F. vom 31. Mai 1965 (GVBl S. 110) § 4 Abs. 2; Hess. GrEStG i.d.F. vom 31. Mai 1965 (GVBl S. 110) § 4 Abs. 3 Nr. 2

 

Tatbestand

I.

Die Kläger und Beschwerdegegner erwarben durch Vertrag von Anfang November 1969 von einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft ein Einfamilienhaus, das sie bereits ab Mitte September 1965 gemietet hatten. Das Finanzamt – FA – (Beklagter und Beschwerdeführer) stellte den Grundstückerwerb gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c des Hessischen Grunderwerbsteuergesetzes (Hess. GrEStG) in der Fassung vom 31. Mai 1965 Gesetz- und Verordnungsblatt S. 110 – GVBl, 110) von der Grunderwerbsteuer frei. Die Beschwerdegegner veräußerten das Grundstück durch Vertrag von Mitte Februar 1970 weiter; im Ergänzungsvertrag von Ende April 1970 wurde der Übergabetermin auf den 1. Oktober 1970 verlegt.

Der Beschwerdeführer setzte daraufhin für den Erwerbsvorgang vom November 1969 wegen Nichterfüllung des steuerbegünstigten Zwecks eine Grunderwerbsteuer fest.

Der Einspruch war erfolglos.

Mit den Klagen, über die noch nicht entschieden ist, machen die Beschwerdegegner geltend, der Grundstückserwerb sei nicht nur nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Hess. GrEStG, sondern auch nach § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG steuerbefreit, so daß eine Steuernacherhebung weder nach § 4 Abs. 2 Hess. GrEStG noch nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 Hess. GrEStG in Betracht komme, weil sie das Eigentum an dem Grundstück innerhalb von fünf Jahren nach Bezugsfertigkeit erworben hätten.

Den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Anträgen der Beschwerdegegner, die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide auszusetzen, hat das Finanzgericht (FG) entsprochen.

Mit der Beschwerde trägt der Beschwerdeführer vor, der nur gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Hess. GrEStG begünstigte Erwerb unterliege nach § 4 Abs. 2 Hess. GrEStG der Steuer, da der steuerbegünstigte Zweck durch Weiterveräußerung des Grundstücks innerhalb der Fünfjahresfrist aufgegeben worden sei.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide nach dem aufgrund des vorliegenden Prozeßstoffes erkennbaren, vom Beschwerdeführer selbst als unstreitig bezeichneten, in diesem Aussetzungsverfahren maßgebenden Sachverhalt (Beschluß des Senats II B 17/68 vom 23. Juli 1968, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 92 S. 440 – BFH 92, 440 –, BStBl II 1968, 589) ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO bestehen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, 450, 451, BStBl III 1967 182; III B 21/66 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 92, 98, BStBl III 1967, 533).

Für dieses Verfahren ist – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – davon auszugehen, daß im Streitfall nicht nur die Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Hess. GrEStG für Eigenheime i. S. des § 9 Abs. 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG), sondern die unter Umständen günstigere Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG für Familienheime i. S. des § 7 des II. WoBauG in Betracht kommen kann.

Wenn auch der Ausdruck „Familienheim” in § 2 Abs. 2 Buchst. a des II. WoBauG als eine Art Sammelausdruck verwendet wird, so unterscheidet doch das II. WoBauG grundsätzlich zwischen den Begriffen „Familienheim” (§ 7 des II. WoBauG) und „Eigenheim” (§ 9 des II. WoBauG). Der Begriff des Familienheims ist insofern enger als der des Eigenheims, als es nur für letzteres gleichgültig ist, ob der Eigentümer oder sein Angehöriger einen Familienhaushalt führt oder eine alleinstehende Person ist (vgl. im einzelnen die Kommentare zum II. WoBauG von Ehrenforth, § 7 Anm. 2, § 9 Anm. 1; Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, § 7 Anm. 1, 6, § 9 Anm. 1). Auch das Hess. GrEStG 1965 unterscheidet, nachdem das Zweite Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (II. GrEStWoG) 1958 (GVBl, 74) in § 1 Abs. 1 Nr. 2 zunächst den durch das II. WoBauG neu eingeführten Begriff „Familienheim i. S. der §§ 7 bis 10” des II. WoBauG verwendet hatte, ausdrücklich zwischen den Begriffen „Eigenheim i. S. des § 9 Abs. 1 des II. WoBauG” (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c – also abweichend von der Fassung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c des Grunderwerbsteuergesetzes – GrEStG – 1940) und „Familienheim i. S. des § 7 des II. WoBauG” (§ 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b).

Der Beschwerdeführer hat, soweit aus den Akten ersichtlich, ohne weitere Sachverhaltsaufklärung lediglich die Tatsache der Weiterveräußerung des Grundstücks im Jahre 1970 als Aufgabe des durch § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Hess. GrEStG begünstigten Zwecks i. S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 Hess. GrEStG behandelt. Obwohl die Beschwerdegegner bereits mit der Einspruchsbegründung Steuerbefreiung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG beanspruchten, verblieb der Beschwerdeführer – wiederum ohne weitere Aufklärung – in der Einspruchsentscheidung bei seiner Auffassung. Unbeschadet der in solchen Fällen gebotenen Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen (vgl. für einen anders gelagerten Sachverhalt Beschluß des Senats II B 17/66 vom 27. Juni 1968, BFH 93, 188, BStBl II 1968, 753) hat die Finanzverwaltungsbehörde im Rahmen ihrer amtlichen Feststellungslast für den Steueranspruch begründende Tatsachen (Urteil des Senats II 25/61 vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129, 135, BStBl II 1969, 550, 552, r. Sp. zu 2 d bb) die Angaben des Steuerpflichtigen auch zu dessen Gunsten zu prüfen (§ 204 Abs. 1 Satz 2 der Reichsabgabenordnung – AO). Der Hinweis auf § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG in der Einspruchsbegründung ist als Antrag gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 Hess. GrEStG zu werten (vgl. auch Oberfinanzdirektion – OFD – Frankfurt/M. vom 20. Oktober 1958, S 4504 A-9-St III 10, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1959 S. 75 – DVR 1959, 75 –), der bis zur Rechtskraft (Unanfechtbarkeit) des Grunderwerbsteuerbescheids gestellt werden kann (§ 4 Abs. 6 Satz 2 Hess. GrEStG). Entsprechend müssen auch der Nachweis der gewährten Grundsteuervergünstigung (§ 4 Abs. 8 Unterabs. 1 Satz 1 Hess. GrEStG), die Versicherung über die steuerbegünstigte Verwendung und die Bescheinigung des Bauträgers über den Zeitpunkt des Bezugs des Gebäudes (§ 4 Abs. 11 Unterabs. 1 Satz 1, Unterabs. 3 Hess. GrEStG) bis zu diesem Zeitpunkt eingereicht werden können. Es hätte also – soweit bisher erkennbar – nahegelegen, vor Erlaß einer ablehnenden Einspruchsentscheidung (vgl. den Rechtsgedanken des § 205 Abs. 3 AO) von den Beschwerdegegnern entsprechende Unterlagen zum Nachweis der von ihnen beanspruchten Steuerbefreiung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Abs. 2 Hess. GrEStG anzufordern. Wie schon vom FG zutreffend bemerkt, sind bisher – auch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in dieser Instanz – keine Tatsachen ersichtlich, die gegen die Qualifizierung (eine besondere „Anerkennung” als „Familienheim” als solches ist nicht vorgesehen; vgl. Ehrenforth, a. a. O., § 7 Anm. 5 a, b, § 9 Anm. 1; Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, a. a. O., § 7 Anm. 6 S. 13, Anm. 10 S. 20) des erworbenen Grundstücks als Familienheim sprechen.

Sollten die dem Hauptsacheverfahren vorzubehaltenden weiteren Ermittlungen ergeben, daß das Grundstück für die Beschwerdegegner als Familienheim einzuordnen war, so käme eine nachträgliche Steuerfestsetzung nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 Hess. GrEStG in Betracht. § 4 Abs. 2 Satz 1 Hess. GrEStG gilt nur für die dort abschließend bezeichneten Tatbestände, u. a. bezüglich des § 4 Abs. 1 Nr. 8 nur für die Buchst. e und g; § 4 Abs. 2 Satz 2 Hess. GrEStG gilt nur für die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 4 Hess. GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge. Eine ausdehnende Anwendung des § 4 Abs. 2 Hess. GrEStG auch auf die Fälle des § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG gegen den eindeutig abgrenzenden Wortlaut des Gesetzes und den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers zu Lasten des Steuerpflichtigen scheidet aus. § 4 Abs. 3 Nr. 2 Hess. GrEStG sieht aber eine Steuerfestsetzung nur vor, wenn nicht innerhalb von fünf Jahren nach Bezugsfertigkeit das Eigentum (Wohnungseigentum) auf den Erwerber übergegangen ist. Nach dem bisher erkennbaren und – wie gesagt – auch vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen. Sachverhalt treffen diese Voraussetzungen nicht zu, da die Beschwerdegegner offenbar an dem Grundstück innerhalb der Fünfjahresfrist seit Bezugsfertigkeit und vor Weiterveräußerung Eigentum erworben hatten. Der Beschwerdeführer führt zwar unter Bezugnahme auf die Urteile des Senats II 114/64 vom 18. Mai 1966 (BFH 86, 262, 264, BStBl III 1966, 399) und II 147/64 vom 19. Dezember 1967 (BFH 91, 382, 383, BStBl II 1968, 358) richtig aus, daß ein Erwerbsvorgang, der unter bestimmten Voraussetzungen der Nachversteuerung unterliegt, im allgemeinen nur dann steuerbegünstigt bleibt, wenn der steuerbegünstigte Zweck innerhalb der im Gesetz bestimmten Frist erfüllt bzw. aufrechterhalten wird (vgl. noch Urteil des Senats II R 184/66 vom 26. Mai 1970, BFH 99, 410, 411, BStBl II 1970, 673). Das kann aber nur gelten; wenn das Gesetz dies ausdrücklich fordert, wie z. B. in den Fällen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 4 Buchst. a, Nr. 7 und Nr. 8 Buchst. e und g in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Satz 1, des § 4 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Satz 2 und des § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a bzw. i im Verbindung mit § 4 Abs. 3 Nrn. 1 und 3 Hess. GrEStG.

Der Beschwerdeführer meint, einer besonderen Vorschrift über die „Nacherhebung” der Grunderwerbsteuer für Erwerbsvorgänge i. S. des § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG bei Aufgabe des begünstigten Zwecks habe es nicht bedurft, da sich die Nachversteuerung aus § 7 Abs. 2 des II. WoBauG ergebe. Dem kann jedoch entgegengehalten werden: Richtig ist, daß ein Familienheim nach dieser Vorschrift seine Eigenschaft verliert, wenn es „für die Dauer” nicht seiner Bestimmung entsprechend genutzt wird. Daraus kann in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG für die Grunderwerbsteuer gefolgert werden, daß der Erwerber das Familienheim im Zeitpunkt des Erwerbs zwar nicht sofort bestimmungsgemäß (für sich bzw. seine Angehörigen) verwenden muß, daß aber schon zu diesem Zeitpunkt feststehen muß, daß er das Heim in absehbarer Zeit seiner vorgeschriebenen Bestimmung zuführen wird. Die entsprechende feste (ernste) Absicht kann, da die Frage, ob es sich um ein Familienheim handelt, nicht nur nach dessen objektiver Gestaltung, sondern auch nach der subjektiven Zweckbestimmung des Erwerbers (eine Art „Widmung”) zu beurteilen ist, durch Erklärungen (Versicherungen: § 4 Abs. 11 Unterabs. 1 Satz 1 Hess. GrEStG) des Erwerbers bekundet werden, die allerdings mit dem objektiven Tatbestand in Einklang stehen müssen (vgl. Ehrenforth, a. a. O., § 7 Anm. 2 a, b, Anm. 4 a; Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, a. a. O., § 7 Anm. 6, 10). Maßgebend sind letztlich die gesamten Umstände des Einzelfalles (vgl. im einzelnen auch hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung von Eigen- und Fremdnutzung BFH-Urteil II 156/63 vom 1. August 1967, BFH 89, 540, 543, BStBl III 1967, 706). Dabei können die Weiterveräußerung und die Zeitspanne zwischen Erwerb und Weiterveräußerung allenfalls Anhaltspunkte (Indizien) bieten. – Liegen aber die Voraussetzungen eines Familienheims im Zeitpunkt des Erwerbs vor, so ist die Steuervergünstigung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG zu gewähren, ohne daß in diesem Gesetz – von den Fällen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 abgesehen – eine Möglichkeit der nachträglichen Steuerfestsetzung vorgesehen ist. Liegen die Voraussetzungen des Familienheims zu diesem Zeitpunkt nicht vor, so ergibt sich die Steuerpflicht nicht aus § 4 Abs. 2 mit oder ohne Verbindung mit § 7 Abs. 2 des II. WoBauG, sondern unmittelbar aus § 1 Hess. GrEStG, da die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Hess. GrEStG nicht vorliegen (vgl. § 4 Abs. 11 Hess. GrEStG).

Der Entscheidung auch der vorstehend erörterten Rechtsfragen kann in diesem Aussetzungsverfahren nicht vorgegriffen werden. Der bisher erkennbare Sachverhalt läßt auch im Tatsächlichen keine Rückschlüsse darauf zu, daß die Beschwerdegegner bereits im Zeitpunkt des Erwerbs nicht (mehr) die Absicht der dauernden Eigennutzung i S. des § 7 des II. WoBauG hatten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514546

BFHE 1971, 549

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