Leitsatz (amtlich)

1. In einem nicht in der Form des § 313 BGB abgeschlossenen "Bewerbervertrag", nach dem der Bewerber beabsichtigt, eines der geplanten Kaufeigenheime zu erwerben und in dem die Vertragschließenden sich verpflichten, zu gegebener Zeit auf Verlangen des Wohnungsunternehmens einen Kaufvertrag abzuschließen, kann noch kein der Grunderwerbsteuer unterliegender Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erblickt werden, sondern erst in dem späteren (endgültigen) Kaufvertrag.

2. Eine Befreiungsvorschrift kann nicht früher eingreifen als der Steuertatbestand, von dem sie Befreiung gewährt; muß der zur Befreiung führende Tatbestand über eine bestimmte Zeit aufrechterhalten werden, so muß die Frist, falls das Gesetz nichts anderes vorschreibt, von dem Zeitpunkt an berechnet werden, an dem die Steuer mangels Befreiungstatbestandes entstanden wäre.

 

Normenkette

GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5; GrEStG § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, Abs. 2 S. 2; BGB § 313

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte mit einer Wohnungsbaugesellschaft am 6. August 1959 einen privatschriftlichen "Bewerbervertrag" über ein Kaufeigenheim abgeschlossen. Die Klägerin hat das Eigenheim kurz vor dem 1. Oktober 1959 bezogen. Der notarielle Kaufvertrag wurde am 30. November 1960 geschlossen.

Die Klägerin verkaufte das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 6. Juli 1964 weiter. Als Tag der Übergabe und des Übergangs der Nutzungen und Lasten war der 30. September 1964 vereinbart. Die Klägerin ist am 21. August 1964 ausgezogen; die Nacherwerber sind am 16. Oktober 1964 eingezogen.

Das FA (Beklagter) hat eine Grunderwerbsteuer aus dem zunächst gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GrEStG von der Besteuerung ausgenommenen Kaufvertrag vom 30. November 1960 gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2, § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nachgefordert, da der begünstigte Zweck durch die Weiterveräußerung am 6. Juli 1964 aufgegeben worden sei.

Nach erfolglosem Einspruch hob das FG auf die Berufung den Steuerbescheid auf, da nach seiner Auffassung die 5-Jahresfrist des § 4 Abs. 2 Satz 2 GrEStG mit dem Bezug des Eigenheims durch die Klägerin als wirtschaftlicher Eigentümerin am 1. Oktober 1959 begonnen habe, im Zeitpunkt des Bezugs durch die Nacherwerber am 16. Oktober 1964 - als dem Zeitpunkt der Aufgabe des begünstigten Zwecks - also abgelaufen gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die gemäß § 184 Abs. 2 FGO dem Zuständigkeitsbereich des BFH unterliegende Revision des Beklagten führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der als Klage zu behandelnden Berufung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

In den Fällen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GrEStG beginnt die 5-Jahresfrist des § 4 Abs. 2 GrEStG nicht schon mit der tatsächlichen Nutzung, sondern erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Erwerbsvorgang endgültig zustande gekommen ist, im Fall eines Kaufvertrags (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) also mit dem wirksamen Abschluß dieses Vertrags (§ 3 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 5 StAnpG). Diesen im BFH-Urteil II 114/64 vom 18. Mai 1966 (BFH 86, 262, 264, BStBl III 1966, 399) aufgestellten Grundsatz hat der Senat in dem Urteil II R 15/68 vom 20. Juni 1968 (BFH 93, 340, 343, BStBl II 1968, 783) bestätigt und in dem Urteil II 147/64 vom 19. Dezember 1967 (BFH 91, 382, 383, BStBl II 1968, 358) anläßlich eines vergleichbaren Sachverhaltes auch auf die Vorschriften des Art. 1 Nr. 4 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 Satz 2 des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) 1958 angewandt. Eine Befreiungsvorschrift kann nicht früher eingreifen als der Steuertatbestand, von dem sie Befreiung gewährt; muß der zur Befreiung führende Tatbestand über eine bestimmte Zeit aufrechterhalten werden, so muß die Frist - falls das Gesetz nichts anderes vorschreibt - von dem Zeitpunkt an berechnet werden, an dem die Steuer mangels Befreiungstatbestandes entstanden wäre, im Fall eines Kaufs - wie gesagt - also ab dem Zeitpunkt des wirksamen Vertragsabschlussses (vgl. auch BFH-Entscheidungen II 15/62 vom 7. April 1965, HFR 1965, 418, und II 165/64 vom 5. März 1968, BFH 92, 43, BStBl II 1968, 416). Wesentlicher Gesichtspunkt in Fällen der streitigen Art ist dabei unter anderem, daß begünstigter Zweck die endgültig-rechtliche Übernahme eines Eigenheims grundsätzlich zum Bewohnen durch den Erwerber selbst (oder durch seine Angehörigen) als Eigentümer ist (vgl. auch BFH-Urteil II 156/63 vom 1. August 1967, BFH 89, 540, BStBl III 1967, 706). Es erscheint nach Sinn und Zweck des Gesetzes gerechtfertigt, dem Erwerber zuzumuten, daß er das Eigenheim, will er die Steuervergünstigung nicht verlieren, nicht vor Ablauf von fünf Jahren weiterveräußert, gerechnet ab dem Zeitpunkt, da er auf Grund eines endgültigen, wirksamen Erwerbsvorganges seine Eigenheimerstellung abgesichert hat. In dem BFH-Urteil II 147/64 (BFH 91, 384) ist ergänzend dargelegt, daß sich dieser Rechtsstandpunkt, von der Frage des Eintritts der Steuerpflicht allgemein erst zu diesem Zeitpunkt ganz abgesehen, in den Fällen des Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Bayerischen GrESWG, entsprechend also in denen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, Abs. 2 GrEStG auch zugunsten des Erwerbers auswirken kann und daß ein unterschiedlicher Fristbeginn für Fälle solcher Art nicht gerechtfertigt ist.

Dementgegen kann es aus den im BFH-Urteil II 114/64 (BFH 86, 264) dargelegten Gründen (die Zeile 1 des Abs. 3 a. a. O. muß richtig lauten: "Dagegen kommt es im Streitfall für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt ..."; vgl. BStBl III 1966, 399, rechte Spalte, letzter Absatz), auf die im einzelnen verwiesen wird, auf den Erwerb der Verwertungsbefugnis (§ 1 Abs. 2 GrEStG) nicht ankommen. Im Fall eines Kaufs (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) beginnt die 5-Jahresfrist mit dem wirksamen Vertragsabschluß (vgl. § 3 Abs. 1, 5 Nr. 5 StAnpG) auch dann, wenn ihm ein gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG der Besteuerung unterliegender Rechtsvorgang vorausgegangen sein sollte (§ 1 Abs. 5 Satz 1 GrEStG). Die Vorschrift des § 1 Abs. 5 Satz 3 GrEStG führt nicht zu einem anderen Ergebnis, weil der vom FG angenommene Erwerb der Verwertungsbefugnis nicht zur Steuer herangezogen worden ist und auch nicht heranzuziehen gewesen wäre. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Klägerin ab dem Tage des Einzugs auf Grund des Bewerbervertrags die Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG eingeräumt werden konnte (vgl. BFH-Urteil II 60/60 U vom 27. Januar 1965, BFH 82, 51, BStBl III 1965, 265) und eingeräumt worden ist.

Denkt ein Kaufeigenheimanwärter schon vor Erwerb des Grundstücks bereits an die Weiterveräußerung des Eigenheims und will er sich den Beginn der 5-Jahresfrist (§ 4 Abs. 2 Satz 2 GrEStG) "sichern", so muß es ihm überlassen bleiben, mit dem Grundstückseigentümer in geeigneter Form ein Verpflichtungsgeschäft einzugehen, das bereits unmittelbar den Anspruch auf Übereignung begründet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). In dem nicht in der Form des § 313 BGB abgeschlossenen "Bewerbervertrag" hat die Klägerin erklärt, sie "beabsichtige" eines der geplanten Kaufeigenheime zu erwerben. Der Kaufvertrag war zu gegebener Zeit auf Verlangen des Wohnungsunternehmens abzuschließen. Zur Frage, ob bereits ein Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 GrEStG vorliegt, ist aber zu beachten: Weder der nur den Kaufinteressenten bindende Antrag auf Abschluß eines Verpflichtungsgeschäfts (BFH-Urteil II R 134/66 vom 13. Februar 1968, BFH 91, 447), noch das nur den Grundstückseigentümer bindende Ankaufsrecht (BFH-Urteil II 60/60 U vom 27. Januar 1965, BFH 82, 51) sind - von hier nicht zu erörternden Sonderfällen abgesehen, in denen ein beide Teile bindendes Verpflichtungsgeschäft angenommen werden muß (vgl. z. B. BFH-Entscheidung II 175/60 U vom 22. November 1962, BFH 76, 127, BStBl III 1963, 46) - bereits der Grunderwerbsteuer unterliegende Erwerbsvorgänge, vielmehr erst die wirksame Annahme des Kaufantrags durch den Eigentümer bzw. die Ausübung des Ankaufsrechts durch den Berechtigten. Ebenso kann in einem nicht in der Form des § 313 BGB abgeschlossenen Vorvertrag, der unter den oben genannten Umständen und Voraussetzungen zustande gekommen ist, noch nicht der der Grunderwerbsteuer unterliegende und - bei Fehlen einer Befreiungsvorschrift - die Steuerpflicht auslösende Erwerbsvorgang erblickt werden, sondern erst in dem - wie auch hier - noch abzuschließenden (endgültigen) bürgerlich-rechtlich wirksamen Kaufvertrag. Anderes haben auch weder die Klägerin noch das FG angenommen.

Die Nachversteuerungsfrist (§ 4 Abs. 2 Satz 2 GrEStG) begann, da der Kaufvertrag offenbar nicht genehmigungspflichtig war, frühestens am 30. November 1960 und endete frühestens am 30. November 1965. Die Frist endete zwar nicht bereits mit Abschluß des Weiterveräußerungsvertrags am 6. Juli 1964, sondern, wie in dem Urteil II 114/64 (BFH 86, 265) dargelegt, mit Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks, hier mit der tatsächlichen Aufgabe von Besitz und Nutzung als Eigenheim. Das war mit dem Auszug der Klägerin am 21. August 1964, spätestens mit dem Einzug der Nacherwerber am 16. Oktober 1964, also vor Ablauf der 5-Jahresfrist der Fall.

Demgemäß war die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Ob in diesem Fall ein Erlaß der Grunderwerbsteuer wegen persönlicher Billigkeitsgründe kraft Ermessensentscheidung der Finanzverwaltungsbehörden in Betracht kommt, ist in diesem Verfahren, in dem lediglich die vorstehend erörterten Rechtsfragen zu entscheiden waren, der Senat also das Urteil des FG nur auf eine etwaige Verletzung des Grunderwerbsteuerrechts zu überprüfen hatte (vgl. § 118 Abs. 1 FGO), nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 673

BFHE 1970, 410

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