Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Fristwahrung durch eine beim Finanzamt eingereichte Klage

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Abgrenzung zwischen Revision und Nichtzulassungsbeschwerde.

2. Die Behauptung, eine ausschließlich an das FG adressierte und ausschließlich mit dem Eingangsstempel des FG versehene, verspätete Klage sei rechtzeitig beim Finanzamt eingereicht worden, vermag weder einen Verfahrensmangel im Sinne des § 116 Abs. 1 FGO noch einen Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu begründen.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1984 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 1988 und gemeinsam mit seiner mit ihm zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehefrau Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1984 in Gestalt der Einspruchsentscheidung ebenfalls vom 12. Januar 1988. Beide Einspruchsentscheidungen waren dem Kläger bzw. dem Kläger und seiner Ehefrau am 13. Januar 1988 in getrennten Ausfertigungen zugestellt worden. Die Klagen gingen am 17. Februar 1988 beim Finanzgericht (FG) ein. Nachdem der Kläger und seine Ehefrau auf die Verspätung der Klagen hingewiesen worden waren, beantragten sie ohne Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Am Tag der mündlichen Verhandlung über die beiden Klagen bat der Kläger unter Bezugnahme auf ein am Vortag mit der Geschäftsstelle des zuständigen Senats des FG geführtes Telefongespräch telefonisch um Verlegung des Termins, da er sich in B aufhalte und nicht mehr rechtzeitig zur mündlichen Verhandlung erscheinen könne. Die Ehefrau könne zu der mündlichen Verhandlung wegen der Einkommensteuer 1984 ebenfalls nicht erscheinen, da sie zu Hause zwei kleine Kinder zu versorgen habe und deshalb unabkömmlich sei. In den mündlichen Verhandlungen waren der Kläger und seine Ehefrau nicht vertreten.

Das FG wies die Klagen als unzulässig ab. Es begründete die Entscheidungen damit, daß die Klagen verspätet eingegangen seien. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil die Wiedereinsetzungsanträge nicht begründet worden seien und deshalb nicht beurteilt werden könne, ob das Versäumnis der Klagefristen verschuldet oder unverschuldet sei. Es habe auch kein Anlaß bestanden, die Termine zur mündlichen Verhandlung zu verlegen, da der Kläger und seine Ehefrau aufgrund der Ladung ausreichend Zeit gehabt hätten, Vorsorge für eine Vertretung in den mündlichen Verhandlungen zu treffen. Außerdem sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Prozeßstoff zu berücksichtigen gewesen. Danach habe eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumnisse nicht in Betracht kommen können, weil die Wiedereinsetzungsanträge nicht innerhalb von zwei Wochen begründet worden seien. Der Vortrag von Wiedereinsetzungsgründen in der mündlichen Verhandlung hätte daher ohnehin nicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen können. Die Revision ließ das FG in beiden Verfahren nicht zu.

Gegen die beiden Urteile des FG wendet sich der Kläger durch seine Prozeßbevollmächtigte mit einem (einzigen) Schriftsatz, der eingangs als Revision bezeichnet ist. Der Kläger macht geltend, die Klagen seien fristgerecht beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eingereicht worden. Dies reiche laut Rechtsbehelfsbelehrung in den Einspruchsentscheidungen aus. In der Abweisung der Klagen als unzulässig durch das FG, weil das FA die Klagen offenbar erst am 17. Februar 1988 an das FG weitergegeben habe, liege daher ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Der Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers endet mit dem Antrag, ,,die Revision zuzulassen".

Das FG sah den Schriftsatz jeweils als Nichtzulassungsbeschwerde an und half diesen Beschwerden nicht ab.

 

Entscheidungsgründe

Der erkennende Senat wertet den Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Unterschied zum FG als Revisionen. Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen sind unzulässig.

1. Der Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers ist als Prozeßhandlung mit dem Ziel auszulegen, den wirklichen Willen des Klägers zu erforschen. Dabei ist zwar davon auszugehen, der Rechtsmittelführer habe das Rechtsmittel einlegen wollen, das zu dem erkennbar von ihm erstrebten Erfolg führt (vgl. u. a. BFH-Beschluß vom 23. November 1978 I R 56/76, BFHE 126, 366, BStBl I 1979, 173). Die Auslegung findet aber eine Grenze an dem in dem Schriftstück verkörperten objektiven Erklärungswert der Willensbekundung (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 65 Tz. 14). Eine Prozeßhandlung kann deshalb nicht in einem Sinne ausgelegt werden, der dem in dem Schriftsatz verkörperten objektiven Erklärungswert widerspricht. Nach diesen Gesichtspunkten scheidet aber eine Auslegung des Schriftsatzes als Nichtzulassungsbeschwerden aus, obwohl der Antrag am Schluß des Schriftsatzes auf eine solche Auslegung hindeuten könnte. Der objektive Erklärungswert des Schriftsatzes der Prozeßbevollmächtigten des Klägers richtet sich vielmehr auf Revisionen. Dabei ist weniger entscheidend, daß der Schriftsatz eingangs als Revision bezeichnet ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß in dem Schriftsatz (an zwei Stellen) zur Begründung auf § 116 FGO Bezug genommen wird. Dies kann nur so verstanden werden, daß zulassungsfreie Revisionen eingelegt werden sollten. Demgegenüber kann dem Antrag am Schluß des Schriftsatzes kein ausschlaggebender Auslegungswert beigemessen werden. Hierbei kann es sich auch um eine mißverständliche Formulierung des Antrags handeln, den Revisionen stattzugeben.

2. Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274, BStBl I 1985, 496) und des Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 3. Dezember 1987 (BGBl I 1987, 2442, BStBl I 1987, 800) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Diese Voraussetzugen sind im Streitfall nicht erfüllt; das FG hat die Revisionen nicht zugelassen.

Auch die Erfordernisse von zulassungsfreien Revisionen nach § 116 Abs. 1 FGO sind in den Streitsachen nicht gegeben. Der Kläger beruft sich zur Begründug seiner Revisionen zwar auf diese Vorschrift. Er trägt aber keine Gründe vor, die schlüssig einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO begründen. Bei der vorgetragenen Auffassung, die Klagen seien rechtzeitig eingereicht und daher vom FG zu Unrecht als unzulässig abgewiesen worden, geht es nicht um einen der in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführten Verfahrensmängel. Die Revisionen waren demnach als unzulässig zu verwerfen.

3. Im übrigen könnte der Kläger auch dann keinen Erfolg haben, wenn der Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten nicht als Revisionen, sondern als Nichtzulassungsbeschwerden aufgefaßt würde.

Die von seiner Prozeßbevollmächtigten vorgetragenen Gründe begründen nämlich ebenfalls keinen Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist eine ausschließlich an das FG adressierte, tatsächlich aber an das beklagte FA gelangte Klage nicht als beim FA angebracht anzusehen. Die fristwahrende Wirkung tritt erst mit dem Zugang beim FG ein (vgl. u. a. Urteil des BFH vom 3. August 1978 VI R 171/75, BFHE 125, 493, BStBl II 1978, 667; Gräber/von Groll, a.a.O., § 47 Tz. 21, m.w.N.). So war der Sachverhalt offenbar auch im Streitfall. Die Klagen waren nur an das FG adressiert. Sie tragen lediglich den Eingangsstempel des FG. Sie waren folglich auch dann verspätet beim FG eingegangen, wenn sie rechtzeitig beim FA eingereicht worden wären. Für einen Geschehensablauf, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, trägt der Kläger nichts vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416156

BFH/NV 1989, 525

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