Entscheidungsstichwort (Thema)

Statthafte Revision gegen verkündetes, aber noch nicht zugestelltes Urteil; Vertretungszwang

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Revision kann gegen verkündete Urteile auch bereits vor deren Zustellung eingelegt werden.

2. Wird dem gesetzlich normierten Vertretungszwang für die Einlegung der Revision nicht genügt, ist das Rechtsmittel wegen Fehlens der Prozeßhandlungsvoraussetzung der Postulationsfähigkeit des Rechtsmittelklägers nicht wirksam erhoben worden. Dieser Mangel kann durch eine nachträgliche Einlegung der Revision nach Ablauf der Revisionsfrist nicht mehr geheilt werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt regelmäßig nicht in Betracht, weil den Rechtsmittelkläger im Hinblick auf die dem angefochtenen Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung ein Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelfrist trifft.

 

Normenkette

BFHEntlG Art. 1 Nr. 1 S. 1, Nr. 5; FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1, § 120 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Kommanditistin der Firma Y-GmbH & Co. KG. Mit Vertrag vom 20. Februar 1985 übertrug sie mit Wirkung vom 1. Januar 1985 ihren Kommanditanteil auf ihre Tochter. Der Gewinn der KG für 1984 wurde mit Bescheid vom 26. Juni 1989 einheitlich und gesondert festgestellt. Den dagegen von der Klägerin eingelegten Einspruch wies der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) mit Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 1990 als unbegründet zurück.

Auf den gegen den Gewinnfeststellungsbescheid für 1985 der Firma Y-GmbH & Co. KG vom 29. Juni 1990 eingelegten Einspruch hob das FA den Bescheid mit der Begründung auf, die Klägerin sei nach der Veräußerung ihres Kommanditanteils im Jahr 1985 nicht mehr an der KG beteiligt gewesen.

Gegen beide Feststellungsbescheide legte die Klägerin erneut mit Schreiben vom 8. Dezember 1994 Einsprüche ein, die das FA mit Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 1995 als unzulässig verwarf.

Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) hinsichtlich des Streitjahres 1985 als unzulässig ab, da die Klägerin durch ihr Vorbringen nicht beschwert sei. Bezüglich des Feststellungsbescheides für 1984 wies das FG die Klage als unbegründet ab, da dieser bestandskräftig geworden sei.

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 30. Mai 1997 vorsorglich Revision und kündigte eine Begründung durch den von ihr bevollmächtigten Anwalt an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig und war deshalb durch Beschluß gemäß §§124 Abs. 1, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu verwerfen.

a) Eine Revision kann bei verkündeten Urteilen auch bereits vor deren Zustellung eingelegt werden (vgl. Ruban/Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §120 Rz. 12 m. w. N.). Im Streitfall hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Mai 1997 gegen das am 27. Mai 1997 verkündete Urteil des FG Revision eingelegt.

b) Das Rechtsmittel der Revision ist jedoch deshalb unzulässig, weil die Klägerin sich entgegen der dem angefochtenen Urteil des FG beigefügten Rechtsmittelbelehrung nicht ordnungsgemäß hat vertreten lassen.

Nach Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) muß sich vor dem Bundesfinanzhof (BFH) jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Wird dem gesetzlich normierten Vertretungszwang nicht genügt, so fehlt dem Beteiligten die Postulationsfähigkeit. Mangels dieser Prozeßhandlungsvoraussetzung konnte die Klägerin mithin nicht wirksam das Rechtsmittel der Revision einlegen.

Dieser Mangel könnte weder durch die nachträgliche Einlegung der Revision nach Ablauf der Revisionsfrist (vgl. §120 Abs. 1 Satz 1 FGO) geheilt werden, noch käme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, da die Klägerin im Hinblick auf die Rechtsmittelbelehrung die Frist nicht unverschuldet versäumt hat (vgl. §56 Abs. 1 FGO; BFH-Beschlüsse vom 29. August 1995 IX B 15/95, BFH/NV 1996, 430; vom 17. Februar 1995 VIII R 9/95, BFH/NV 1995, 1085).

c) Darüber hinaus ist die Revision auch deswegen unzulässig, weil sie weder das FG noch auf Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision der BFH zugelassen hat und die Klägerin auch keine wesentlichen Verfahrensmängel i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO schlüssig gerügt hat, die ausnahmsweise eine zulassungsfreie Revision eröffnen würden.

d) Nach Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG findet abweichend von §115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat.

Enthält die Entscheidung des FG -- wie hier -- keinen Ausspruch über die Zulassung, so ist sie versagt (BFH-Beschluß in BFH/NV 1995, 1085, m. w. N.).

Eine unzulässige Revision kann auch nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde umgedeutet werden (Beschluß in BFH/NV 1995, 1085; BFH-Beschluß vom 10. November 1994 XI B 35/94, BFH/NV 1995, 622, m. w. N.).Ü

berdies besteht auch für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde der unter b) dargestellte Vertretungszwang.

Eine zulassungsfreie Revision ist ausschließlich unter den in §116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO genannten Zulassungsgründen statthaft. Die darin enumerativ aufgeführten schwerwiegenden Verfahrensmängel enthalten eine abschließende Aufzählung (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1995, 1085; vom 11. Janaur 1996 VII R 100/95, BFH/NV 1996, 489).

Die von der Klägerin begehrte "Gewährung ihrer grundgesetzlichen Rechte", die sie nicht näher dargelegt hat, lassen keinen Bezug zu den Zulassungsgründen in §116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO erkennen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 73

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