Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete Niederlegung der Urteilsformel und Übergabe des Urteils innerhalb von fünf Monaten grundsätzlich kein Verfahrensverstoß

 

Leitsatz (NV)

  1. Eine verspätete Niederlegung der Urteilsformel in der Geschäftsstelle (§ 104 Abs. 2 i.V.m. 105 Abs. 4 Satz 2 FGO) führt nicht zur Zulassung der Revision (BFH-Beschluss vom 28. April 1999 V B 90/98, BFH/NV 1999, 1362).
  2. Das FG kann die vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes aufgestellte Fünf-Monats-Frist (Beschluss vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92, HFR 1993, 674) zur Übergabe des Urteils an die Geschäftsstelle bis zum letzten Tag ausnutzen (BFH-Urteil vom 18. April 1996 V R 25/95, BFHE 180, 512, BStBl II 1996, 578).
  3. Hat das FG die Fünf-Monats-Frist eingehalten, kann die Revision zugelassen werden, wenn dargetan oder sonst erkennbar ist, dass die Urteilsformel bei fristgemäßer Niederlegung anders als im zugestellten Urteil gelautet hätte (BFH-Beschluss vom 7. Juli 1999 VIII R 81/98, BFH/NV 1999, 1626).
 

Normenkette

FGO § 104 Abs. 2, § 105 Abs. 4 S. 2, § 119 Nr. 6

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Urteil vom 28.11.2002; Aktenzeichen VII 115/1999)

 

Gründe

Die Beschwerde ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet, so dass sie insgesamt als unbegründet zurückzuweisen ist.

1. Es liegen keine Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor.

a) Wird bei Zustellung des Urteils an Verkündung statt gemäß § 104 Abs. 2 i.V.m. § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO die Urteilsformel nicht binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung bei der Geschäftsstelle niedergelegt, stellt dies zwar einen Verfahrensmangel dar. Dieser allein führt aber als Verstoß gegen eine bloße Ordnungsvorschrift nicht zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 28. April 1999 V B 90/98, BFH/NV 1999, 1362; vom 7. Oktober 1998 II B 43/98, BFH/NV 1999, 935).

b) Das Urteil ist auch mit Gründen versehen (vgl. § 119 Nr. 6 FGO).

Ein Urteil ist nicht mit Gründen versehen, wenn es nach Verkündung nicht "alsbald" der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat den Rechtsbegriff "alsbald" unter Rückgriff auf § 552 der Zivilprozeßordnung (ZPO) a.F. dahin ausgelegt, dass eine Frist von fünf Monaten seit Verkündung die äußerste Grenze darstelle (Beschluss vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92, BVerwGE 92, 367, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1993, 674). Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für den hier zu entscheidenden Fall der Zustellung des Urteils anstelle einer Verkündung mit der Maßgabe, dass die Frist nicht mit der Verkündung, sondern mit der tatsächlichen Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel, spätestens aber mit Ablauf des Tages beginnt, an dem die unterschriebene Urteilsformel der Geschäftsstelle gemäß § 104 Abs. 2 2. Halbsatz FGO zu übergeben gewesen wäre (BFH-Beschluss vom 7. Juli 1999 VIII R 81/98, BFH/NV 1999, 1626, m.w.N.). Die Fünf-Monats-Frist wurde im Streitfall ―unstreitig― nicht überschritten (vgl. zu 4 1/2 Monaten z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 935). Es handelt sich insoweit nicht um eine ungefähre, sondern um eine genau bestimmte Frist (BFH-Urteil vom 18. April 1996 V R 25/95, BFHE 180, 512, BStBl II 1996, 578).

c) Ist vom Finanzgericht (FG) die Fünf-Monats-Frist eingehalten worden, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn dargetan oder sonst erkennbar ist, dass die Urteilsformel bei fristgemäßer Niederlegung anders als im zugestellten Urteil gelautet hätte (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 935). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

Zwar lassen die Kläger vortragen, das Urteil wäre anders ausgefallen, wenn die Entscheidung, insbesondere der Tenor der Geschäftsstelle innerhalb der Frist des § 104 Abs. 2 FGO übergeben worden wäre. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Zum einen hat das FG ausweislich des Rubrums des Urteils über die Sache im Anschluss an die mündliche Verhandlung am 28. November 2002 beraten und entschieden (vgl. auch z.B. BFH-Beschluss vom 30. April 2001 VII B 28/01, BFH/NV 2001, 1287). Damit ist die Vermutung der Kläger entkräftet, die von ihnen in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente seien aufgrund des Zeitablaufs nicht hinreichend berücksichtigt worden. Unbegründet ist auch ihre Befürchtung, ihre in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente hätten aufgrund des nachlassenden Erinnerungsvermögens der Richter nicht hinreichend in der erst im Laufe von vier Monaten angefertigten Urteilsbegründung berücksichtigt werden können. Die Kläger haben im Anschluss an die mündliche Verhandlung ihre Argumente nochmals schriftlich nachgereicht. Sie lagen bei Abfassung der Entscheidungsgründe damit schriftlich vor.

d) Soweit die Kläger Verletzung des § 76 FGO rügen, entspricht ihre Beschwerdebegründung nicht den vom Gesetz gestellten Anforderungen.

Da es sich bei der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes um einen verzichtbaren Mangel handelt, muss in der Beschwerdebegründung u.a. vorgetragen werden, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts oder einer Beweiserhebung ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Rdnr. 70). Wird wie im Streitfall die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens gerügt, so ist insbesondere darzulegen, aus welchen Gründen das FG nicht aufgrund eigener Sachkunde habe entscheiden können.

Daran fehlt es. Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen das FG § 44 Abs. 3 Nr. 3 der Zweiten Berechnungsverordnung (II.BV) nicht ohne Sachverständigen auslegen konnte. Entsprechendes gilt für das Fehlen einer Augenscheinseinvernahme. Dem FG lagen Pläne und Berechnungen der Wohn- und Nutzflächen vor.

e) Die Kläger haben auch keinen Verfahrensfehler i.S. des § 119 Nr. 1 FGO dargelegt (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Ihre Rüge, der Vorsitzende Richter des Senats des FG sei gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO befangen gewesen, ist unzulässig.

Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Die Kläger tragen selbst vor, dass ihnen die Möglichkeit einer Befangenheit des Vorsitzenden Richters in der mündlichen Verhandlung bewusst geworden sei. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 28. November 2002 haben sie den Ablehnungsgrund vor dem FG nicht geltend gemacht.

2. Die Revision ist auch nicht wegen Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erforderlich.

Eine Divergenz haben die Kläger nicht dargelegt (vgl. hierzu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rdnr. 42, m.w.N.). Soweit die Kläger rügen, das FG habe entgegen dem Vortrag der Kläger, bei der privat genutzten Wohnfläche keinen 10 %-igen Abschlag von der ermittelten Gesamtgrundfläche vorgenommen, rügen sie die Rechtswidrigkeit der Vorentscheidung, die als solche nicht zur Revisionszulassung führen kann (vgl. den abschließenden Katalog der Zulassungsgründe in § 115 Abs. 2 FGO).

Dass die Kläger die Auslegung des § 44 Abs. 3 Nr. 3 II.BV für "unvertretbar" halten, eröffnet ebenfalls nicht die Revision. Weder liegt ein offensichtlicher Fehler vor, noch erscheint das Urteil des FG willkürlich (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2002 X B 99/02, BFH/NV 2003, 496; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rdnr. 45).

Die Entscheidung ergeht mit Kurzbegründung (§ 116 Abs. 5 FGO).

 

Fundstellen

BFH/NV 2004, 527

AO-StB 2004, 121

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