Agile Zusammenarbeit: Modebegriff oder Lösung?

Agilität kursiert derzeit in aller Munde und wird als großer Heilsbringer für die Probleme im Unternehmen verstanden. Wann agile Zusammenarbeit angewendet werden soll und wie eine erfolgreiche Integration ins Unternehmen gelingen kann, ist aber nur wenigen bekannt. 

Zwar wurde bereits oft ein allgemeines Grundverständnis für die Methodik innerhalb des Unternehmens geschaffen, doch eine "agile Zusammenarbeit" scheitert häufig an der richtigen Umsetzung. Nur wenn es zu Ziel und Zielerreichungsweg schon erste Ideen und Ansätze aber noch keine hundertprozentige Sicherheit gibt, ist die Unternehmensagilität das Mittel zum Erfolg. Sie ist das Mittel, um Projektziel und Lösungsweg im Rahmen von Projekten in kurzen Abständen immer weiter zu konkretisieren und immer wieder zu hinterfragen. Was tatsächlich dahinter steckt, welche Voraussetzungen geschaffen sein müssen, für welche Unternehmensprojekte sich die Methodik überhaupt eignet und welche Stolpersteine es bei einer erfolgreichen Umsetzung gibt, berichtet der Unternehmensentwickler und Coach Oliver Kirchhof.

Agile Zusammenarbeit ist ungewohnt

Zum Auftakt des Vortrags beginnt Oliver Kirchhof mit einer einfachen Übung, bei der er die Teilnehmer auffordert, den eigenen Tischnachbarn mit einem Händedruck der linken Hand zu begrüßen. Auf Rückfrage beschreiben die Teilnehmer das persönliche Befinden während der Übung mit den Worten "ungewohnt" und "befremdlich". Durch dieses einfache praktische Beispiel verdeutlicht Oliver Kirchhof allen Teilnehmern das Gefühl beim Erlernen neuer Arbeitsweisen. Etwas Ungewohntes bedeutet das Verlassen der persönlichen Komfortzone. Es braucht Zeit sich neue Arbeitsweisen anzugewöhnen und anzutrainieren. Auch bei der agilen Zusammenarbeit ist der Verständnisaufbau leichter als die tatsächliche Umsetzung.

Unternehmensagilität definieren

Obwohl jedem das Wort Agilität bekannt ist, verstehen viele nicht was es im Unternehmenszusammenhang bedeutet. Der erste Teil des Vortrags fokussiert sich auf die Begriffsdefinition der Unternehmensagilität, damit sich ein gemeinsames Verständnis bei allen Teilnehmern entwickeln kann. Was macht die Agilität eines Unternehmens aus?

  • Es bedeutet die Fähigkeit eines Unternehmens auf veränderte äußere Bedingungen zu reagieren und Ziele und Umsetzungswege an die veränderten Bedingungen zu adaptieren (Adaption).
  • Es beinhaltet nicht nur die klare Definition von Zielen, sondern auch deren konsequente Nachverfolgung (Goal).
  • Es ist der Anspruch immer Ergebnisse zu erzeugen, die auch direkt produktiv genutzt und integriert werden können (Integration).
  • Auch umfasst agile Zusammenarbeit die Selbstverpflichtung jedes einzelnen, sich verbindlich an grundlegende Strukturen und Werten zu halten (Latency).

Vier Grundsätze zur Ausübung agilen Verhaltens

Grundvoraussetzung für die Realisierung dieser Unternehmensfähigkeiten ist eine neue Priorisierung von Werten innerhalb des Unternehmens. Dies bedeutet nicht, dass bisher hervorgehobene Werte weniger bedeutsam werden, sondern, dass durch eine Neuorientierung eine besondere Unternehmenshaltung geschaffen wird. Vier Grundsätze während der Projektarbeit bieten einen Anhaltspunkt für die Ausübung agiler Verhaltensweisen.

  1. Im Vordergrund stehen die Menschen und deren Interaktionen, die über vordefinierten Prozessen und Werkezeugen stehen.
  2. Auch bei der Interaktion mit dem Kunden liegt der Fokus auf einer funktionierenden Zusammenarbeit und nicht auf einer erfolgreichen Vertragsverhandlung.
  3. Zwischenmenschliche Beziehungen und eine funktionierende Kommunikation sind die Stärken einer erfolgreichen Projektbearbeitung.
  4. Agile Teams zeichnen sich weiterhin durch das Reagieren auf äußere Veränderungen aus und halten nicht zwingend an der Befolgung des ursprünglichen Projektplanes fest, ohne allerdings die Zielsetzung aus dem Auge zu verlieren.

Agile Methoden einsetzen

Das Zusammenspiel dieser Werte bildet die Grundlage für eine agile Haltung, um auch bei unbeständigen Rahmenbedingungen proaktiv und flexibel zu handeln und sichtbare Arbeitsfortschritte zu realisieren.  In nach agilen Prinzipien arbeitenden Organisationen wird agiles Verhalten durch den Einsatz von unterschiedlichen agilen Methoden weiter gestützt. Methoden, wie SCRUM, Design Thinking, oder auch Kanban fungieren als Wegbereiter, um bei unbeständigen Rahmenbedingungen schnell und selbstorganisiert reagieren zu können.

Während Oliver Kirchhof agile Methoden erklärt, verweist er auf die Analogie zum Rugby. Jeder neue Anpfiff bedarf einer Neuaufstellung (Scrum) zur Findung einer geeigneten Startposition.

Der Umgang mit Fehlern als Voraussetzung für agile Zusammenarbeit

Damit die Teilnehmer nicht nur von theoretischem Verständnis profitieren, wendet sich Oliver Kirchhof im zweiten Teil des Vortrages konkreten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung zu. Eine Grundvoraussetzung bildet die Offenheit innerhalb des Unternehmens im Umgang mit Fehlern. Wie oben bereits erwähnt, gehen agile Teams unbekannte Wege um neue Lösungen zu entwickeln. Diese unbekannte Komponente erhöht das Fehlerpotenzial. Eine Atmosphäre, die Fehlermachen nicht nur schlecht assoziiert sondern sogar im Rahmen von Lernprozessen aktiv fordert und fördert und diese frei kommuniziert, ermöglicht es auch anderen Mitarbeitern aus diesen zu lernen. Beispielsweise institutionalisiert Google die Freiheit des Fehlermachens durch den Pinguin Award. Er wird regelmäßig an einen Mitarbeiter verliehen, der mutig  genug war riskante und unbekannte Wege auszuprobieren.

Neue Rollen definieren im Team

Die interne Offenheit zum Fehlermachen wird komplementiert durch neu definierte Rollen innerhalb des Teams. Die Führungsrolle steuert das Team, um das gewünschte Projekt zu realisieren. Dabei gibt er jedoch nicht den Weg, sondern nur das Ziel vor und räumt den Teammitgliedern mehr Selbst-Verantwortung und Bearbeitungsfreiheit ein. Er fungiert als Coach und Enabler, der seine Mitglieder durch das Beheben von Hindernissen unterstützt. Mehr Freiheit bedeutet aber auch, die Bereitschaft der Mitarbeiter aktiv Verantwortung zu übernehmen, klare Regeln der Zusammenarbeit zu befolgen und durch proaktives Feedbackeinfordern schnelle Ergebnisse zu liefern. Ausdrucksformen dieses neu definierten Rollenverständnisses sind

  • Verbindlichkeit gegenüber Vereinbarungen,
  • entsprechende Vorbereitung zu Meetings und
  • schnelle und effektive Lösungsansätze beim Auftreten von Problemen.

Besonders die aktive Einforderung von Feedback ist Grundvoraussetzung für eine funktionierende, agile Arbeitsweise. Verdeutlicht wird dieser Grundsatz den Teilnehmern im Zusammenhang mit der agilen Methode SCRUM. Hier erfolgt die Einhaltung des zeitlichen Projektrahmens durch sogenannte Sprints. Wie lange braucht ein Team um etwas Vorzeigbares zu erstellen? Wie lange kann eine Führungsperson die Mitglieder frei walten lassen, ohne untragbaren wirtschaftlichen Schaden anzurichten? Die Antwort lautet: zwei bis vier Wochen. Nach Ablauf der Zeit kommt es zur Vorstellung von lieferfähigen Ergebnissen sowie zur Bewertung der Sprint-Phase durch Selbstreflektion und offenes Feedback. Komplementiert werden die zwei bis vier Wochen durch ein Daily Scrum Ritual, bei der die Mitglieder die Möglichkeiten haben Hindernisse (Impediments) anzusprechen und Hilfe für die Problembehebung einfordern können. Feedback in regelmäßigen Abständen unterstützt die frühe Erkennung und Beseitigung von Störfeldern während der Projektarbeit.

Wann eignet sich agile Zusammenarbeit?

Macht dieser aufwendige und freiheitsgewährende Prozess der agilen Zusammenarbeit diese Methode zum Heilsbringer aller Unternehmensherausforderungen? Die Antwort lautet: nein. Agiles Management mit permanenten Feedbackschleifen eignet sich bei komplexen Herausforderungen mit hoher Unsicherheit. Als komplex gilt, wenn die Aufgabenerledigung mehr unbekannt als bekannt ist und sich die Rahmenbedingungen stetig ändern. Hierbei sprechen wir vor allem von Wissens- und Entwicklungsaufgaben. Ein Kernproblem in der Praxis liegt somit in dem unrichtigen Einsatz von agilen Teams.

"Just do it!" - mit diesen Worten motiviert Oliver Kirchhof die Teilnehmer agile Zusammenarbeit in der Zukunft trotz der Umsetzungsherausforderung zu nutzen. Wie durch die Übung zu Beginn des Vortrages demonstriert, braucht es Zeit sich neue Arbeitsweisen anzueignen. Nur durch kontinuierliches experimentieren und anwenden kann die Arbeitsweise routiniert und verinnerlicht werden. Durch konkrete Praxisempfehlungen, wie die Einführung von unternehmensinternen "Fuck-Up Nights" oder das Anbieten von internen Teambuilding-Workshops auf Basis von Scrum, profitieren alle Teilnehmer von dem Vortrag.