Inwieweit werden strategische Unternehmensentscheidungen durch gedankliche Vereinfachungen beeinflusst? Welche Rolle spielen kognitive Restriktionen und selektive Wahrnehmung dabei? Diese verhaltensorientierte Sicht auf das Controlling lenkt den Blick auf diese Entscheidungsfaktoren - und offenbart interessante Lösungsansätze.

Verhaltensorientierung im Fokus des Controllings

Die Zukunftsstudie 2014 des WHU Controller Panels hat gezeigt: Verhaltensorientiertes Controlling gehört zu den Top 10-Zukunftsthemen des Controllings. Aus der Psychologie kommend gewinnt die verhaltensorientierte Perspektive in der BWL zunehmend an Bedeutung. Danach, so Prof. Jürgen Weber, sind Manager als begrenzt rationale Akteure zu verstehen, weshalb das Thema gerade für das Controlling wichtig ist. Der verhaltensorientierten Sicht nach haben Manager keine objektive, sondern eine selektive, teilweise verzerrte Wahrnehmung der Realität. Daraus entstehen häufig falsche Entscheidungen. Zudem sind Manager leicht durch zu viele Informationen und zu komplexe Probleme überfordert. Hier ist es Aufgabe des Controllers, das verzerrte Bild des Managers geradezurücken, falschen Entscheidungen entgegenzuwirken und Manager bei der Verarbeitung von Informationen zu unterstützen.

Entscheidungsqualität verbessern mit gezielten Strategien

Ein außergewöhnliches Praxisbeispiel, wie strategische Entscheidungsprozesse im Unternehmen mithilfe von Techniken der Verhaltensforschung optimiert werden können, stellt Dr. Peter Scherpereel, Senior Manager Group Controlling bei RWE, vor. Gemeinsam mit einem Projektteam und intensiv unterstützt vom CFO des Unternehmens hat Herr Scherpereel als Projektleiter die Rolle von sogenannten Biases auf fehlgeschlagene Investitionsentscheidungen im Unternehmen untersucht und darauf aufbauend Techniken zur Verbesserung von Entscheidungsprozessen entwickelt. Für dieses Konzept hat der Energieversorger den Controller Preis 2015 des Internationalen Controller Vereins (ICV) gewonnen.

Biases wurden in dem Projekt als Abkürzungen im Denken oder als „blinde Flecken“ identifiziert, denen jeder Manager meist unbewusst unterliegt, die aber die Entscheidungsfindung beeinflussen. Hierzu zählen beispielsweise Muster wie der Bestätigungsfehler, aber auch handlungsorientierte Biases, wie ein übertriebener Optimismus oder Selbstüberschätzung sowie soziale Biases wie Gruppendenken und Sunflower Management.

Mit "Advokat des Teufels" und Pre-Mortem-Sitzungen Fehler erkennen

Daran anknüpfend entwickelte das Projektteam um Peter Scherpereel eine Reihe von Debiasing-Techniken, mit deren konkreter Anwendung in Entscheidungsprozessen falsche Maßnahmen möglichst reduziert werden sollen. Aktuell arbeitet man bei RWE an der Implementierung wesentlicher Debiasing-Techniken in den Prozess der Entscheidungsfindung.

  • Bereits bewährt hat sich der „Advokat des Teufels“, der zu einem bestimmten Zeitpunkt im Prozess gezielt und bewusst Gegenargumente für einen Vorschlag vertritt und so dessen Schwächen aufdecken soll.
  • Eine weitere Technik ist die Pre-Mortem-Sitzung, bei der fiktiv vom Scheitern einer anstehenden Entscheidung ausgegangen und nach Ursachen für dieses Scheitern gesucht wird.
  • Auch unabhängige Gutachten oder die Arbeit von zwei unabhängigen Teams an der gleichen Aufgabenstellung können trotz hohem Aufwand in Einzelfällen sinnvoll sein.

Bewusstsein für das Thema Verhaltensorientierung schaffen

Abschließend stellt Dr. Scherpereel aus seiner Projekterfahrung einige wesentliche Grundbedingungen für den Erfolg seines Ansatzes heraus. Wesentlich ist zunächst die Schaffung eines gemeinsamen Problembewusstseins im Unternehmen. Um die neue Denkweise im Unternehmen zu verankern, geht das Projektteam von RWE vielfältige Wege und nutzt dabei alle Kanäle der internen Kommunikation:

  • Spezielle Workshops machen die Mitarbeiter mit dem Thema Biases vertraut,
  • Informationsmaterial hält die wesentlichen Punkte des Konzepts fest und
  • speziell benannte Multiplikatoren aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen tragen die Idee in die Organisation.

Dies soll im Ergebnis die Entwicklung der Unternehmenskultur hin zu einer „Speak-up-Mentalität“ vorantreiben. Unverzichtbar ist an dieser Stelle, so Herr Scherpereel, die aktive Unterstützung des Top-Managements.

Im Einvernehmen ziehen Prof. Weber und Dr. Scherpereel das Fazit: Verhaltensorientiertes Controlling bietet einen vielversprechenden Ansatz für die Weiterentwicklung des Controllings. Die Entwicklung muss jedoch aktiv vorangetrieben werden, damit sie sich langfristig niederschlägt.

Hier geht's zur Bilderserie "Verhaltensorientiertes Controlling auf dem Campus for Controlling 2015"

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