Gerade bei etablierten Unternehmen zeigen sich Fortschritte bei der Digitalisierung nur langsam. Prof. Julian Kawohl erläutert, weshalb diese Probleme häufig hausgemacht sind, was etablierte Firmen von Start-ups lernen können und warum digitale Ökosysteme das Geschäftsmodell der Zukunft sind.

Die digitale Transformation ist eine Daueraufgabe, keine Sommergrippe

„Wann, glauben Sie, ist die digitale Transformation in Ihrem Unternehmen abgeschlossen?“. Diese Frage zitierte Prof. Dr. Julian Kawohl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin zum Einstieg seines Vortrags. Noch mehr als die eigentliche Frage überraschte ihn jedoch die Antwort: Laut einer aktuellen bitkom-Studie zeigten sich die befragten Unternehmen zuversichtlich mit dem Thema im Jahr 2025 fertig zu sein. Tatsächlich, so der Professor, sei bereits die Frage falsch gestellt, denn die digitale Transformation könne man nicht wie ein Projekt final abschließen. Sie sei vielmehr eine fortwährende Herausforderung für Unternehmen: „Transformation hört nie auf!“.

Deutschen Firmen fehlt häufig die entsprechende Erfahrung

Die Welt wird sich weiter verändern, alles wird digital“, ist sich der in der Berliner Start-up-Szene gut vernetzte Strategieexperte sicher. Egal ob Banking, Industrie, Bildung oder Politik - die Welt wird 4.0. Dabei ist ein Wandel im Denkmodell etablierter Unternehmen unumgänglich. Diese müssen sich fragen was zu tun ist, um nicht „geKODAKt“ zu werden, sondern rechtzeitig die Weichen für die Herausforderungen der Zukunft zu stellen.

5 Erfolgsfaktoren für den Transformationsprozess

Eine Analyse der Geschäftsberichte von DAX-30 Unternehmen offenbare allerdings nur spärliche Fortschritte. Als wesentliche Stolpersteine sieht Kawohl einerseits ein blockierendes mittleres Management. Zudem verfügen deutsche Vorstände selten über Digital- oder Entrepreneurship-Erfahrung. Auch der Chief Digital Officer ist noch nicht flächendeckend in großen Unternehmen vorhanden. Mit Macht und Ressourcen ausgestattet könne der CDO in der Lage sein, wichtige Digitalisierungsthemen zu ordnen. Generell sei jedoch wichtig, dass der Transformationsprozess alle zentralen Bereiche des Unternehmens umfasse. Prof. Kawohl nannte deren fünf (s. Abb.1 in der Bilderserie):

  • Geschäftsmodell, Plattform und Ökosystem,
  • Mindset, Kultur und Organisation,
  • Prozesse und Methoden,
  • Vermarktung sowie
  • Produkte und Services.

Diese gesamtheitliche Betrachtung sei dabei entscheidend, denn „jeder Punkt für sich ist nur Aktionismus“.

Plattformanbieter auf der Überholspur

Ein wesentlicher Trend sei die Entwicklung von der „Pipe“, also einem Unternehmen, das Produkte entwickelt, herstellt und vermarktet, zum Plattformanbieter: „Die Frage wird nicht sein „Wer baut das beste Auto?“, sondern „Wer baut die beste Plattform?“. Amerikanische Akteure wie Apple, Google und Facebook machen es im großen Stil vor und demonstrieren wie sich Wettbewerbsvorteile in der Ökosystem-Ökonomie verändern. Was diese Firmen deutschen Unternehmen häufig voraus hätten, sei eine höhere Nutzerzentriertheit. Also weg von der ingenieursgetriebenen Denkweise der Leistungsfähigkeit und Funktionalität hin zu Angeboten, die vernetzt, smart und erlebnisreich sind. Als positives deutsches Beispiel nannte Kawohl dabei u.a. Flixbus. Die Firma fungiere nicht als Anbieter von Reisebussen, sondern stelle eine Plattform zur Verfügung, bei der der Kunde und das Reiseerlebnis im Fokus stünden.

Start-ups liefern Anhaltspunkte für neue Arbeitsweisen

Die Start-up-Szene liefert noch weitere Impulse, denn die jungen Unternehmen bringen eine Kultur und Organisation mit, in der der Netzwerkgedanke vor Hierarchien steht und Ergebnisorientierung über Prozesse geht. Die Teams nutzen andere Prozesse und Methoden. Durch Rapid Prototyping und Minimal Viable Products können Hypothesen früh getestet und mit dem Lernen schnell begonnen werden. Neue Produkte werden im aktiven Dialog mit dem Kunden entwickelt, um so eine größtmögliche Nutzerzentriertheit zu gewährleisten. Auch ist es auffallend, dass andere Mitarbeiter in jungen Unternehmen arbeiten. Besonders dem Entrepreneur in Residence, also einem Angestellten, der Gründer-Know-how sammelt, um dann die eigene Firma gründen zu können, wird zukünftig große Bedeutung zukommen, ist sich Prof. Kawohl sicher. Learnings aus der Start-up-Szene bieten für Unternehmensstrategen Anhaltspunkte, um die digitale Transformation und Corporate Innovation voranzutreiben.

Wie sieht denn nun das Unternehmen der Zukunft aus?

Prof. Kawohl nutzt das Bild eines Baumes, um zu verdeutlichen was es braucht die digitale Transformation voranzutreiben und sich gegenüber neuen Angreifern zu wappnen (Abb. 2). Eine starke Marke, ein großer Kundenstamm, die Nutzung von Erfahrung und Skaleneffekten sowie Qualität und Stabilität bilden dabei die starke Wurzel und sind selbstverständlich auch weiterhin notwendig. Um aber auch zukünftig erfolgreich am Markt zu sein, ist es notwendig sich neue Äste und Blatter, wie schlankes Arbeiten, Nutzerzentrierung sowie Netzwerkorientierung wachsen zu lassen und Innovation, Digitales und Agilität zu forcieren. „Es gilt beides miteinander zu verheiraten“, so Kawohl, denn „Unternehmen der Zukunft sind eine Mischung aus Corporate und Start-up - sie verbinden die Stärken aus beiden Welten.“

Hier geht's zur Bilderserie "Digital ist phänomenal"

Niklas Pies