Gibt es ein Recht auf Nichterreichbarkeit im Urlaub?
Weihnachten steht vor der Tür. Viele Beschäftigte in Deutschland freuen sich auf ein paar arbeitsfreie Tage, um sie entspannt mit Freunden oder der Familie zu verbringen. Nicht immer gelingt das. Schuld ist das Gefühl, ständig für den Arbeitgeber erreichbar sein zu müssen.
Eine Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom hat ergeben, dass viele Berufstätige (71 Prozent) in der Weihnachtszeit Urlaub nehmen, aber dennoch 43 Prozent von ihnen an den freien Tagen dienstlich erreichbar sind. Und das vor allem schriftlich: 42 Prozent der Beschäftigten lesen danach im Weihnachtsurlaub Kurznachrichten wie SMS oder Whatsapp.
40 Prozent checken ihre dienstlichen Mails. Ans Telefon gehen 38 Prozent trotz Urlaub. Über Videotelefonate (14 Prozent) und Nachrichten in Kollaborationstools wie Teams oder Slack (12 Prozent) sind hingegen nur die wenigsten ansprechbar. Für die Studie wurden insgesamt 1.002 Personen ab 16 Jahren in Deutschland befragt, darunter 532 Berufstätige.
Der Regelfall: in der Freizeit Erholung statt Erreichbarkeit
Wie ist dies rechtlich geregelt? Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind Beschäftigte in Deutschland grundsätzlich nur zu einer Erreichbarkeit im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeit verpflichtet. Arbeitsfreie Zeit soll der Erholung dienen. Im Normalfall dürfen Diensthandy oder Laptop also abends, im Urlaub, an Feiertagen oder am Wochenende ausgeschaltet bleiben. Mögliche dienstliche Anrufe müssen nicht beantwortet werden. Das gleiche gilt für E-Mails oder Kurznachrichten – auch diese dürfen grundsätzlich ignoriert werden.
Etwas anderes kann gelten, wenn eine Betriebsvereinbarung vorsieht, dass Dienste kurzfristig konkretisiert werden können. In diesem Fall müssten Beschäftigte in der Freizeit auf eine SMS reagieren, entschied das BAG.
Ganz anders ist die Situation der Erreichbarkeit selbstverständlich auch bei Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst. Hier müssen die Mitarbeitenden permanent erreichbar sein.
Was gilt für Führungskräfte?
Für Führungskräfte gilt rechtlich grundsätzlich nichts anderes. Auch für sie ist Freizeit zunächst arbeitsfreie Zeit. Eine Pflicht, permanent erreichbar zu sein, besteht nicht. Allerdings sind viele Führungskräfte freiwillig in Absprache mit dem Unternehmen für dringende Notfälle erreichbar, da es noch mehr als bei Arbeitnehmenden in ihrem eigenen Interesse ist, dass die Geschäfte auch während ihrer Abwesenheit gut laufen.
Erreichbarkeit rund um die Uhr: Blick in den Arbeitsvertrag hilft
Wann kann eine Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeiten Pflicht sein? Gerade in höheren Positionen finden sich im Arbeitsvertrag häufig Regelungen zur Erreichbarkeit. In diesen Klauseln wird beispielsweise vereinbart, dass der Mitarbeitende gewährleisten muss, auch an freien Tagen innerhalb bestimmter Zeiten erreichbar zu sein oder einmal täglich seine Arbeitsmails abzurufen. Eine Betriebsvereinbarung, nach der "unkonkret zugeteilte Springerdienste für Tag- und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden können" und Beschäftigte diesen dann einmalig abrufen müssen, hielt das BAG für zulässig.
Allerdings gilt: Nicht jede Regelung im Arbeitsvertrag, die eine Erreichbarkeit auch am Wochenende, an Feiertagen oder im Urlaub vorsieht, ist rechtlich zulässig. Grundsätzlich sind hier die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zu beachten. Pausen, Ruhezeiten oder der Urlaub dienen der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit letztendlich dem Gesundheitsschutz. Hier muss allerdings zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und den Urlaubstagen, die der Arbeitgeber freiwillig gewährt, unterschieden werden. Nur für diese vertraglich vereinbarten Urlaubstage kann auch für die Erreichbarkeit etwas anderes gelten.
Kündigung wegen mangelnder Erreichbarkeit ist zweifelhaft
Mitarbeitende, die Anrufe vom Chef in ihrer Freizeit verweigern, müssen auch nicht mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber rechnen. Anders als beispielsweise in Australien gibt es in Deutschland kein Recht auf Nichterreichbarkeit, doch während des gesetzlichen Erholungsurlaubs oder gesetzlich vorgegebener Ruhezeiten haben Beschäftigte keine Pflicht zu arbeiten. Eine Kündigung wegen mangelnder Erreichbarkeit wäre also unwirksam. Eine solche Kündigung könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gegen eine Pflicht zur Erreichbarkeit verstoßen hat, die zulässig im Arbeitsvertrag vereinbart war. Eine solche Pflicht kann sich aus einer Betriebsvereinbarung ergeben, stellte das BAG im oben genannten Fall fest.
Jedoch wäre wohl auch hier eine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung unwirksam. Dem Arbeitnehmenden müsste zunächst ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen werden, verbunden mit dem Hinweis, dass im Wiederholungsfall mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen ist.
EU-Richtlinie zu Erreichbarkeit: Verzicht auf Telefonate oder E-Mails in Urlaub und Freizeit
Bislang gibt es in Deutschland keine rechtliche Vorschrift zu einer Nichterreichbarkeit. Bereits 2021 hat das EU-Parlament aber mit großer Mehrheit entschieden, ein Recht auf Nichterreichbarkeit für Arbeitnehmende auf den Weg zu bringen, wozu es bisher jedoch nicht gekommen ist.
Durch digitale Tools, KI und Remote Work verschärft sich die Gefahr einer "Always on"-Kultur für Beschäftigte jedoch immer weiter. Da unter dem Druck ständiger Erreichbarkeit sowie durch übermäßig lange Arbeitszeiten die Gesundheit leidet, sind klare Regelungen nach Ansicht der EU-Kommission dringend erforderlich.
In ihrer "Quality Jobs Roadmap" vom 4. Dezember 2025 hat die EU daher auch das "Right of disconnect" , auf Abschalten nach Feierabend wieder aufgegriffen und die Konsultation zum “Quality Jobs Act” hinsichtlich fairer Telearbeit und einem verbindlichen Recht auf Nichterreichbarkeit gestartet: Bis 29. Januar 2026 können die Sozialpartner Stellung nehmen.
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