Strategisches CSR-Marketing

An Unternehmen werden oft Forderungen herangetragen, sich über die Gewinninteressen hinaus auch um die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf Gesellschaft und Umwelt zu kümmern. Oft bleibt es dann jedoch bei Lippenbekenntnissen beziehungsweise halbherzigem Greenwashing. Das ist schade, denn richtig umgesetzt kann CSR ein Innovationstreiber sein, mit dem ein besseres Verständnis von Markt- und Gesellschaftsbedürfnissen möglich wird.

Ein wesentliches Element bei der Hervorbringung von Innovationen ist das grundlegende Verständnis von Bedürfnissen potenzieller Kundengruppen. Dabei stehen Unternehmen vor dem Problem, die Bedürfnissprache, die auf der Nachfrageseite gesprochen wird, in eine technische Lösung, das heißt ein Produkt oder eine Dienstleistung, zu übersetzen. Sie müssen sich als Dolmetscher betätigen, wenn sie innovativ und damit erfolgreich sein wollen.

Probleme der Bedürfniserfassung für Innovationen

Die Sprache, in der sich die verschiedenen Gruppen im Kernmarkt und anderen Marktsegmenten artikulieren, ist sehr unterschiedlich und bedarf einer differenzierten Übersetzungsmethodik. So werden manche Bedürfnisse von bestimmten Gruppen relativ nah an der Technik, das heißt mit einem direkten Bezug zu vorhandenen Produkten geäußert. Aus ihnen lassen sich daher mit geringem Aufwand Impulse für Produktverbesserungen gewinnen. Um dagegen Hinweise auf radikale und disruptive Innovationen zu erhalten, ist eine viel aufwändigere Übersetzungsarbeit nötig, da nur wenige in der Lage sind, die Bedürfnisse, aus denen zukünftige Problemlösungen entstehen können, in einem irgendwie nachvollziehbaren Bezug zur Technologie zu artikulieren. Eine differenzierte Bedürfniserfassung wird also nur möglich, wenn Unternehmen eine differenzierte Herangehensweise wählen.

Techniknähe von Bedürfnissen

Gleichzeitig ist für innovative Unternehmen eine fortwährende Verbesserung des Technologieverständnisses nötig. Dies ist über Grundlagenforschung möglich, die zunächst losgelöst von einem konkreten Marktbezug geschieht. Man muss sich mit Kernfragen der Technologie auseinandersetzen, wodurch man an die Wurzeln von Bedürfnisfragen gelangt, ohne diese aus den aktuellen Äußerungen von potenziellen Kundengruppen abzuleiten. Damit sind verschiedene und scheinbar entgegengesetzte Suchrichtungen einzuschlagen, mit denen sich Innovationsimpulse aufspüren lassen und die nur lose miteinander gekoppelt sind.

Bedürfniserfassung mit klassischem Marketing

Das klassische Marketing bietet eine große Auswahl an Methoden, mit denen Bedürfnisse erfasst werden können. Zu den einfachsten zählen beispielsweise Befragungen und Zufriedenheitsstudien, mit denen sich ermitteln lässt, was an den bereits vorhandenen Produkten verbessert werden könnte. Für den gegenwärtigen Unternehmenserfolg sind die so entstehenden inkrementellen Impulse wichtig. Sie sichern, zum Beispiel in Form von Designänderungen, wie Facelifts bei Autos oder andere technischen Verbesserungen, das Tagesgeschäft.

Im Gegensatz zu diesen durchsichtigeren Methoden sind solche wie das Empathische Design, Conjoint- oder Means-End-Analysen dazu geeignet, nicht artikulierte, das heißt latente Bedürfnisse zu ermitteln. Hierdurch können Impulse für radikale Innovationen entstehen, da die hier aufgedeckten Bedürfnisse sich auf Problemlösungen beziehen, die fernab der etablierten Technik angesiedelt sind.

Was kann CSR bei der Suche nach Innovationen leisten?

Je anspruchsvoller die Suche nach Innovationsimpulsen wird, desto mehr entfernen sich Technik- und Bedürfnissprache voneinander. Um die Übersetzung von Bedürfnisinformationen effizient zu gestalten, bietet es sich daher an, die Suche auch auf solche Bereiche auszudehnen, die außerhalb des Stammkundenmarktes, und möglicherweise auch außerhalb von angrenzenden Märkten liegen. Hier stößt man auf Gesellschaftsgruppen, die sich in ihrem Nachfrageverhalten deutlich von der Stammkundschaft unterscheiden, und die den etablierten Produkten somit auch kritischer gegenüberstehen. Diese Gruppen sind in Bezug auf neue Problemlösungen offener und können das, was in Zukunft wichtig wird, besser und techniknäher artikulieren. Zudem sind sie oft kompetenter, so dass sie die für Innovationen notwendige Übersetzungsarbeit von der Bedürfnis- in die Technologiesprache unterstützen können. 

Für eine gezielte Ausdehnung innovativer Suchstrategien ist soziale Verantwortung (CSR) daher eine ideale Ergänzung zum Marketing. CSR erweitert sowohl Suchbereich als auch Suchtiefe der Bedürfniserfassung und hilft so, entferntere Gesellschaftsbedürfnisse in eine adäquate Produktsprache zu übersetzen. Gleichzeitig holt sie durch die Einbeziehung von gesellschaftlichen Gruppen, die CSR und Nachhaltigkeit bereits in ihrem Alltag anwenden, Lead-User-Wissen ins Unternehmen. Auf diese Weise wird CSR zu einem echten Innovationstreiber, der auch außermarktliche Bereiche nach zukünftigen Bedürfnissen absucht.

CSR und Bedürfniserfassung

Konflikte der innovationsstrategischen Kombination von Marketing und CSR

Allerdings setzt eine mit Marketing und CSR simultan durchgeführte Innovationsstrategie Unternehmen unter erheblichen Stress. So ist es ohnehin mit großen Schwierigkeiten verbunden, inkrementelle Produktverbesserungen und radikale Innovationen unter einem strategischen Dach zu vereinen. Die zusätzliche Einbindung von CSR ist jedoch eine noch größere Herausforderung. Während nämlich die ökonomische Verwertbarkeit marketingstrategisch gewonnener Bedürfnisinformationen meist diesseits eines vertretbaren Zeithorizontes liegt, können sich die aus CSR-Maßnahmen generierten Informationen weit jenseits davon befinden. Für Unternehmen, die markt- und gewinnorientiert sind, stellt die Ausrichtung auf außerökonomische Bereiche daher eine große Zumutung dar.

Insgesamt lassen sich drei Konfliktfelder ausmachen, die sich im Zusammenhang mit der simultanen Umsetzung von Marketing und sozialer Verantwortung ergeben.  

  1. Strukturelle und kulturelle Konflikte im Unternehmen
    Ein erstes Konfliktfeld besteht in der parallelen Umsetzung von Marketing- und CSR-Maßnahmen, und in ihrer Berücksichtigung in Organisationskultur und -struktur. Die lose gekoppelten Vorgänge innovationsstrategischer Übersetzung müssen in Aufbau und Prozesse gebracht werden, die Raum für kreative, voneinander unabhängige Suchvorgänge geben. Eine solche Ambidextrie der Organisation, in der zugleich inkrementelle Verbesserungen und radikale Innovationen möglich werden, wird durch die Einbeziehung von außerökonomischen CSR-Impulsen noch gesteigert. Das Unternehmen steht vor dem Problem, die innovativen CSR-Einheiten der Organisation mit denen, die inkrementelle Verbesserungen und einen starken Marktbezug haben, zu synchronisieren. Inwieweit dies auf einer hierarchisch hoch angesiedelten Ebene, also in Form strikt getrennter Abteilungen mit separatem Management geschehen sollte, oder auf der Ebene individueller operativer Einheiten, in denen dann Innovation und Routine nebeneinander laufen, ist situativ zu entscheiden.
     
  2. Rentabilitätskonflikte durch innovative CSR-Portfolios
    Der zweite Konflikt einer simultanen Umsetzung von Marketing und sozialer Verantwortung liegt darin, dass die Einbeziehung von CSR-Produkten die Rentabilität des Unternehmens zumindest mittelfristig schwächt. Die momentan noch unrentablen, aber hoch innovativen CSR-Produkte müssen mit Hilfe derjenigen subventioniert werden, die schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt Gewinne abwerfen. Eine solche Portfoliostrategie ist einerseits risikomindernd, da das gleichzeitige Engagement in verschiedenen, sehr heterogenen Branchen weniger Abhängigkeiten mit sich bringt, andererseits aber schwer gegen Kapitalgeberinteressen durchzusetzen, bei denen oft eine Schlagseite in Richtung kurzfristiger Gewinnmaximierung besteht.  
     
  3. Konflikte der Glaubwürdigkeit bei heterogenen Marktsegmenten
    Und schließlich tut sich ein dritter Konflikt auf, da sehr heterogene Marktsegmente simultan bedient werden müssen. Dies ist normalerweise in den Griff zu bekommen, sofern durch eine geeignete Markenpolitik die Abgrenzung der Strategischen Geschäftseinheiten untereinander, zum Beispiel durch unterschiedliche Emotionalisierung der Marken etc. erfolgt. Im CSR-Fall ist es jedoch ungleich schwieriger. Nachfragegruppen, die auf CSR und Nachhaltigkeit Wert legen, interessieren sich, stärker als konventionelle, auch für diejenigen Produkte des Unternehmens, die nicht nachhaltig sind. Man hat es im CSR-Fall mit besonders empfindlichen Marktsegmenten zu tun, da der Kauf von nachhaltigen Produkten ethische und altruistische Komponenten hat. Sie verlangen Verantwortung vom gesamten Unternehmen, nicht nur von einzelnen Sparten.

Konfliktäres Dreieck Marketing und CSR

Konfliktmildernde Aspekte

Die Diskrepanz zwischen den Gewinnen „heute“ und denen „morgen“ kann unter verschiedenen Umständen abgemildert werden. Zu ihnen zählen CSR-begünstigende politisch-rechtliche Rahmenbedingungen, sowie ein sich langsam in der Gesellschaft, zumindest in einigen Marktsegmenten, ausbreitendes Bewusstsein für die Bedeutung von nachhaltigen Produkten. Durch diese Entwicklungen ist dann auch die Umsetzung innerhalb der Organisation leichter, da CSR und Marketing keine widersprüchlichen Strategien mehr sind. Ein genaues Verständnis der Vielschichtigkeit und Dynamik von Bedürfnissen hilft Unternehmen, die hier skizzierten Ansätze in einer ganzheitlichen Innovationsstrategie der Bedürfnisübersetzung zu realisieren.

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Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Nachhaltige Innovationsstrategien“, das 2023 bei Schäffer-Poeschel erschienen ist. Hier geht es zum Buch.

Schlagworte zum Thema:  CSR, Marketing