Nachhaltigkeit meets Digitalisierung – Chancen und Konfliktpotenzial
Unternehmerinnen und Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeitende, für die Nachhaltigkeit eine Haltung und nachhaltiges Wirtschaften ein handlungsleitendes Prinzip ist, sollten die sich ihnen bietenden Möglichkeiten der Digitalisierung mit Bedacht auswählen. Denn Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehen nicht immer Hand in Hand.
Was bringt Digitalisierung dem nachhaltigen Wirtschaften?
Auf den ersten Blick erstmal nichts. Das „vermutete“ Potenzial der Digitalisierung aus der Umwandlung analoger Inhalte oder Prozesse in digitale Formen oder Arbeitsweisen ist erst dann ein „wirkungsvolles“ Potenzial für ein nachhaltigeres Wirtschaften, wenn digitale Lösungen beispielsweise dazu beitragen, dass ...
- unsere Luft, unsere Böden, unsere Waldgebiete und unsere Gewässer vor Belastungen durch Schadstoffe oder Emissionen geschützt werden,
- der Klimawandel verlangsamt, der Ressourcen- und Energieverbrauch verringert oder die schrumpfende Biodiversität aufgehalten wird
- mehr erneuerbare Energien genutzt oder vermehrt Rohstoffe im Sinne der Kreislaufwirtschaft bewahrt werden
- der Einsatz effizienterer, umweltfreundlicherer und ressourcensparendere Abbau-, Förder- und Produktionsverfahren gefördert wird,
- nachhaltigere Produkte, Leistungen und Geschäftsmodelle hervorgebracht werden
- soziale „Verwerfungen“ vermieden oder vermindert werden und Armut bekämpft wird
- Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt gewährleistet und Mitbestimmung und der Zugang zu Bildung gerecht möglich ist
Kann Digitalisierung das wirklich alles auch nur ansatzweise leisten? Kann Digitalisierung durch Dematerialisierung, Automatisierung und Robotik, E-Commerce, Smart Home, Smart-Mobility, Smart-Health, Sensorik, Lean Production, Indoor-Navigation, KI-Anwendungen bis hin zu IoT und noch vielem mehr einen spürbaren Beitrag für ein nachhaltigeres Wirtschaften leisten? Und wenn ja, zu welchem Preis?
Die Sonnenseite der Digitalisierung
Die Covid-19-Pandemie hat uns die Erfahrung machen lassen, dass durch Videokonferenzen Reisen substituiert und so Ressourcen, Energien und letztendlich Treibhausgasemissionen reduziert werden können. Auch die Wartung und Reparatur von Maschinen ist remote möglich und erfordert keine Mitarbeitenden mehr vor Ort. Durch die Dematerialisierung von Produkten, Verpackungen, Formularen, CDs und selbst von physischen Bankfilialen sowie ihre Verlagerung in die virtuelle Welt sparen wir wertvolle Ressourcen.
Wenn die Heizung zu Hause mit dem Smartphone verbunden ist und sich immer erst dann einschaltet, wenn die Bewohner sich ihrer Wohnung oder ihrem Haus nähern, wird Energie gespart. Auch der Stromverbrauch einer selbst genutzten Photovoltaik-Anlage kann über eine App das Nutzungsverhalten positiv beeinflussen und damit die eigene Autarkie verbessern. Nicht zuletzt bedeutet Digitalisierung immer auch die Sammlung von Daten in einem großen Pool, auf den bei Bedarf jederzeit zurückgegriffen werden kann – beispielsweise für die Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Aber nicht nur Energie und Ressourcen können eingespart werden. Die Digitalisierung kann auch dazu beitragen, dass Arbeitsplätze und -prozesse sicherer, Menschen frühzeitig vor Gefahren und Risiken gewarnt und die Kommunikation und die kollaborative Zusammenarbeit in Teams verbessert werden.
Neue Geschäftsmodelle braucht das Land
Und nicht zu vergessen: Bei der Gestaltung von Geschäftsmodellen kann Digitalisierung helfen, das Hersteller- und Verbraucherverhalten zu verändern. Beispiele hierfür sind nutzungsabhängige Geschäftsmodelle wie Car-Sharing, die es mittlerweile in jeder Stadt gibt. Aber auch der Gebrauch einer Waschmaschine kann durch die Digitalisierung nutzungsabhängig gestaltet werden: Indem der Verbraucher nur für jeden einzelnen Waschvorgang einen vereinbarten Preis bezahlt und die „smarte“ Waschmaschine weiterhin dem Hersteller gehört. Für ihn zahlt sich das Geschäftsmodell aus, wenn die Maschine so lange wie möglich genutzt wird und einfach repariert werden kann. Er muss also nicht mehr möglichst viele Waschmaschinen verkaufen (Stichwort geplante Obsoleszenz), sondern verdient an jedem Waschvorgang. Der Verbraucher profitiert davon, wenn er schlicht weniger wäscht. Die Abrechnung und die Wartung erfolgen dann über digitalisierte Prozesse in virtuellen Welten.
Die Schattenseite der Digitalisierung
Jede Suchanfrage, jeder Stream, jede Videokonferenz, jede Speicherung von Daten, jeder Bestellvorgang im Internet und jeder einzelne Steuerungsimpuls für Roboter oder Maschinen brauchen Energie und hinterlassen einen mehr oder weniger großen CO2-Fußabdruck. Dieser CO2-Fußabdruck wird größer und größer, wenn der Transport von Waren und Dienstleistungen entlang der gesamten Lieferkette bis hin zur Entsorgung einkalkuliert werden. Aber das ist noch nicht alles. Digitalisierte Lösungen machen es uns leicht, immer mehr von Allem in immer kürzerer Zeit nutzen zu können. Es scheint so, dass durch die Digitalisierung die Grenzen des Unmöglichen immer weiter verschoben werden, zu Lasten unseres Planeten. Auch das bleibt nicht folgenlos für das menschliche Wohlergehen und führt nicht selten zu Überforderung und zu zwanghaftem Verhalten. Der Verlust von Arbeitsplätzen und die Zunahme oftmals schlecht bezahlter Jobs durch die Digitalisierung sind weitere Facetten einer nicht nachhaltigeren Wirtschaft.
Die Digitalisierung ist also nur so lange ein Verbündeter PRO nachhaltigeres Wirtschaften, wenn die durch die Digitalisierung erzielten positiven Wirkungen (u.a. Energie- und Ressourcenverbrauch) nicht durch negative Effekte überkompensiert werden. Wenn wir also viel häufiger als vorher einen digitalisierten Dienst nutzen, mehr und häufiger bestellen, immer schnellere Rechner und größere Datenspeicher brauchen. Wenn Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren oder krank werden, weil sie den Anforderungen nicht gerecht werden können. Aber auch, wenn durch die Digitalisierung Umweltschäden zunehmen.
Stark wachsender Energieverbrauch durch Digitalisierung
Waren es im Jahr 2000 noch 250 Millionen Menschen, die täglich das Internet nutzten, so waren es 2021 laut Statista etwa 4,9 Milliarden. Die Digitalbranche erzeugt laut einer Studie des französischen Thinktanks „The Shift Project“ bereits heute mit knapp vier Prozent des weltweiten Ausstoßes etwa doppelt so hohe CO2-Emissionen wie der gesamte Flugverkehr, Tendenz steigend. Auch Streaming-Plattformen wie Netflix, YouTube und Co. sind echte Stromfresser und verbrauchen etwa so viel Strom, wie alle Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen zusammen. Eine einzelne Google-Suchanfrage verursacht etwa 0,2 Gramm CO2-Emissionen. Google verarbeitet ca. 4 Mio. Suchanfragen pro Minute, was einen CO2-Ausstoß von 800 Kg/ Min. zur Folge hat.
Diese Zahlen verändern sich allerdings, je größer darin der Anteil erneuerbarer Energien eine Rolle spielt. Laut einer Studie des eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. ist demnach davon auszugehen, dass die von Rechenzentren verursachten CO2-Emissionen bis 2030 europaweit um bis zu 30 Prozent gesenkt werden können (vgl. Digitale Infrastrukturen).
Elektroschrott durch Digitalisierung
Die Autoren einer von der Robert-Bosch-Stiftung und dem WWF Deutschland e.V. geförderten Studie konstatieren, dass die Welt Jahr für Jahr über 60 Millionen Tonnen Elektroschrott produzieren. Dieser ist besonders gefährlich, da die Komponenten der Geräte teilweise aus giftigen und ätzenden Materialien bestehen. Der anfallende Elektroschrott wird von westlichen Ländern – teilweise illegal und daher absichtlich falsch deklariert – in Drittweltländer exportiert und vergiftet vor Ort Menschen und Umwelt. Die Existenz dieser Menge an Elektroschrott ist nur durch einen gänzlichen Mangel an Stoffkreisläufen und der häufig kurzen Nutzungsphase von elektrischen und elektronischen Geräten möglich. Und durch den kurzen Lebenszyklus – vor allem bei Smartphones – ist eine beträchtliche Nachfrage nach Rohstoffen vorhanden. Die daraus resultierende Umweltverschmutzung durch Elektroschrott oder giftige Schlammtümpel durch die Gewinnung seltener Erden beeinflusst vor Ort aktuelle und folgende Generationen im höchsten Maße negativ.
Immer mehr Lithium für Speicher
Digitalisierte Prozesse und Arbeitsumgebungen auf mobilen Endgeräten brauchen Akkumulatoren. Normalerweise werden dafür Lithium-Batterien genutzt. Der Abbau von Lithium führt aber zu gravierenden Umweltbelastungen: Durch den Abbau werden große Mengen Wasser gebraucht. Dadurch sinkt das Grundwasser in Regionen, in denen es ohnehin kaum regnet. Ein besonders großes Problem ist beim Lithium-Abbau – beispielsweise in Lateinamerika – die Verschmutzung der Gewässer. Da das Flusswasser als Trinkwasser und zur Bewässerung der Felder verwendet wird, gefährdet eine Kontaminierung durch den Lithium-Abbau die Gesundheit der Menschen und der Tiere in der Region. Hintergrund ist, dass beim Lithium-Abbau viele Chemikalien zum Lösen des Lithiums eingesetzt werden und nicht brauchbare Schwermetalle in die Umwelt gelangen. Beides kontaminiert das Grundwasser und gefährdet die Trinkwassersicherheit der Menschen und Tiere vor Ort.
Manifestation unserer nicht nachhaltigen Art und Weise zu leben
Ein derartig tiefgreifender Wandel verändert nicht nur unser Verhalten, sondern führt in erster Linie auch zu einem erhöhten Energie- und Ressourcenverbrauch für die Herstellung, Nutzung und Entsorgung digitaler Geräte und Infrastrukturen wie Laptops, mobile Endgeräte, Server oder auch Glasfaserkabel. Wir haben uns mittlerweile so an die Annehmlichkeiten der Digitalisierung gewöhnt, dass ein Zurück, ein Weniger oder gar ein Verzicht für viele Menschen unvorstellbar ist. Viele Arbeitsplätze werden durch die Digitalisierung geschaffen, auch wenn sie nicht immer fair entlohnt werden und mit unangenehmen Nebenwirkungen ausgestattet sind.
Wenn Digitalisierung also ein Teil unserer Art und Weise zu leben ist, dann müssen wir lernen, sie behutsam und achtsam einzusetzen. Ein Positiv-Beispiel dafür ist ein Projekt in Frankfurt, bei dem die Abwärme aus einem Rechenzentrum genutzt wird, um ein Wohnquartier zu heizen.
Unternehmer, Führungskräfte, Entscheider und Mitarbeitende müssen Digitalisierung und Nachhaltigkeit immer zusammendenken. Ihre Entscheidungen müssen davon geprägt sein, dass die mit der Digitalisierung einhergehenden Vorteile (u.a. sinkende Kosten und steigende Erlöse) auch auf Nachhaltigkeitsaspekte einzahlen (u.a. weniger Energie-/ Ressourcenverbrauch, mehr erneuerbare Energien, sicherere Arbeitsplätze, weniger Umweltbelastungen).
Das kann im Ergebnis dazu führen, dass Unternehmen nicht weiter nach Wachstum streben, ihre Geschäftsmodelle konsequent auf Nachhaltigkeitsaspekte ausrichten und Betriebe in Organisationen umwandeln, die sich selbst gehören und nicht mehr veräußert werden können. Das alles ist nicht neu und findet statt. Für die Lösung der Jahrhundertaufgabe braucht es aber mehr – mehr Mut, mehr Wollen und vor allem mehr Taten.
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