Das Informationsproblem der gewählten Repräsentanten kann aber auch entschärft werden, wenn man die Bürger direkt abstimmen lässt. Direkte Demokratie bezeichnet eine unmittelbare Sachentscheidung durch das Volk. Direktwahlen und Abberufungen von Amtsinhabern sind Personalentscheidungen und werden darum regelmäßig der repräsentativen Demokratie zugeordnet.[1] Bei Personalentscheidungen werden politische Sachentscheidungen allenfalls mittelbar getroffen. Direkte Demokratie kann allerdings in einer arbeitsteiligen und professionalisierten modernen Gesellschaft immer nur Ergänzung und Ausnahme in einem ansonsten repräsentativen demokratischen System bleiben.[2]

Im Fall einer direktdemokratischen Entscheidung können die Bürger direkt entsprechend ihren Präferenzen entscheiden. Damit wird neben dem Informationsproblem der gewählten Politiker auch deren Motivationsproblem gelöst. Allerdings besteht das Informations- und Motivationsproblem der stimmberechtigten Bürger fort. Die beiden Probleme dürften in ihren Auswirkungen aber deutlich geringer sein als im repräsentativen System. Über die Vor- und Nachteile direkter Demokratie wird gestritten. Eine Gegenüberstellung von Pro und Contra liefert Schiller.[3]

 
Praxis-Beispiel

Schweiz

Erfahrungen aus der Schweiz belegen, dass direkte Demokratie unter bestimmten institutionellen Voraussetzungen (moderater Finanzausgleich, kein Bail-Out, Schuldenbremse) positive Auswirkungen auf die Verschuldung öffentlicher Haushalte hat und zu geringerer Steuerhinterziehung führt.[4]

Auch zeigt die Praxis in der Schweiz, dass direkte Demokratie gut mit einem konsensorientierten präsidentiellen System harmoniert, wie es auch auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg gegeben ist – nicht aber auf der parlamentarisch und konkurrenzdemokratisch verfassten Bundes- und Landesebene.

In präsidialen Systemen regiert die Exekutive mit wechselnden Mehrheiten, in parlamentarischen Systemen regiert die Exekutive mit der Regierungsmehrheit. Direkte Demokratie kann darum dazu führen, dass die Opposition diese benutzt, um der Regierung politisch zu schaden. Da der Fortbestand der Regierung in einem präsidialen System unabhängig von einer Mehrheit im Parlament ist, braucht sie direkte Demokratie nicht zu fürchten. Weiter gibt es im präsidialen System keine Regierungsmehrheit und damit keine Opposition, weshalb direkte Demokratie nicht von Letzterer als politisches Mittel benutzt werden kann.

Direkte Demokratie hat einen strukturkonservativen Effekt. Für die Schweiz konnte beobachtet werden, dass direkte Demokratie die Staatstätigkeit in sachlicher und zeitlicher Hinsicht bremst, gleichwohl auch das Hinauszögern und Ausbleiben von ggf. notwendigen Modernisierungen.[5] Dies liegt darin begründet, dass bei direktdemokratischen Verfahren i. d. R. das Volk erst nach dem Parlament entscheidet und so die Zustimmung zu einer Änderung mindestens 2-mal erreicht werden muss. Lediglich bei einer Initiative, bei welcher "von unten" ein bisher nicht behandeltes Thema in den politischen Prozess eingebracht wird, kann das Volk alleine entscheiden und Innovationen selbst anstoßen. Die Anzahl der progressiven Initiativen ist mit einem Anteil von 10 % in der Schweiz allerdings gering.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass in der direkten Demokratie die Möglichkeit besteht, den staatlichen Mitteleinsatz zielgerichteter an den Präferenzen der Bevölkerung zu orientieren und so unnötige Ausgaben zu vermeiden, ohne dass eine Beeinträchtigung der Funktionsweise der baden-württembergischen Gemeindeordnung zu befürchten ist, da die kommunalpolitischen Strukturen mit denen der Schweiz vergleichbar sind.[6]

[1] Vgl. Schiller, Direkte Demokratie. Eine Einführung, 2002, S. 13.
[2] Vgl. Wehling, Elemente direkter Demokratie: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, in: Pfizer/Wehling (Hrsg.), Kommunalpolitik in Baden-Württemberg, 3., völlig überarb. u. erw. Aufl. 2000, S. 141.
[3] Schiller, Direkte Demokratie. Eine Einführung, 2002, S. 34.
[4] Vgl. Kirchgässner/Feld/Savoiz, Die direkte Demokratie. Modern, erfolgreich, entwicklungs- und exportfähig, 1999, S. 91 f., 97.
[5] Vgl. Schmidt, Lehren der Schweizer Referendumsdemokratie, in: Offe (Hrsg.), Demokratisierung der Demokratie. Diagnosen und Reformvorschläge, 2003, S. 115.
[6] Vgl. Ante, Chancen und Risiken direkter Demokratie, Direktdemokratische Partizipation auf kommunaler Ebene in Deutschland und der Schweiz, 2015, S. 139 ff.

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