Rz. 1

Die mit ESRS S4 geregelte Betrachtung von Verbrauchern und Endnutzern als Teil der Nachhaltigkeitsberichterstattung bedarf einer intensiven Diskussion auch über die eigentlichen Anforderungen der Angabepflichten hinaus. So überrascht zunächst überhaupt die Betrachtung der Auswirkungen des Unternehmenshandelns auf Verbraucher und Endnutzer im Kontext der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Nach der betriebswirtschaftlichen Lehre ist die Kundenorientierung von zentraler Bedeutung für erfolgreiche Unternehmen. In einer Marktwirtschaft i. R. e. freiheitlich demokratischen Grundordnung müssen Unternehmen mit ihren Produkten bzw. Leistungen Nutzenpotenziale für Kunden schaffen, die größer sind als die Nutzenpotenziale der einzelnen Einsatzfaktoren, die im Erstellungsprozess benötigt wurden. D.h., Unternehmen müssen etwas erzeugen, das für einen Dritten (Kunde) eine höhere Bedeutung erlangt und dementsprechend das Weggeben von Geld wert ist. Somit wird der über den eingesetzten Werten geschaffene Nutzen aufgeteilt zwischen dem Unternehmen, wo er als Betrag für investive Aufwendungen, Steuerzahlungen und Gewinn zur Verfügung steht, und dem verbleibenden Mehrwert für den Kunden.[1] Diese reine Lehre kommt aktuell aus mehreren Gründen ins Wanken, was auch eine Berichterstattung im Kontext der Nachhaltigkeitsberichterstattung bei gegebener Relevanz und Wesentlichkeit für nötig und sinnvoll erscheinen lässt:

  1. Angesichts aktueller Krisen, wie der demografischen Entwicklung in Deutschland und anderen westlichen Staaten, den Lieferkettenstörungen, der Energiekrise usw., verschiebt sich das Primat der Absatzorientierung auf andere betriebliche Engpässe. Exemplarisch kann der Fachkräftemangel bestimmte Unternehmen dazu zwingen, die Leistungserstellung in quantitativer und/oder qualitativer Hinsicht ggf. auch zulasten der Ansprüche der Kunden zu reduzieren. So führten im Sommer 2022 das knappe Sicherheitspersonal an deutschen Flughäfen zur Reduktion des Flugangebots insgesamt und lange Wartezeiten zu erheblichen Qualitätseinbußen für die Reisenden.
  2. Moralisch getriebene Diskussionen überlagern zunehmend bestimmte Leistungserstellungsprozesse. Relevante Teile der Bevölkerung bezweifeln das Recht der Privatwirtschaft, sich mit der sog. Grundversorgung zu befassen, wobei diese je nach Sichtweise von Sicherheit oder Gesundheitswesen über Energie- und Wasserversorgung bis zu günstigem Wohnraum und der Personenbeförderung reichen kann. Ausdruck dafür sind etwa Rekommunalisierungsbestrebungen von privatisierten Leistungserstellungen[2] und Volksentscheide für die Enteignung von Immobilieneigentümern.[3] So ergeben sich Fragen des gesellschaftlich "akzeptablen" Gewinns oder Preises, wie ein Mietendeckel oder eine Medikamentenpreisobergrenze belegen. In bestimmten Fällen kommt es auch zur Abwägung zwischen den individuellen Rechten und den Rechten der Solidargemeinschaft – etwa bei extrem teuren Therapien von seltenen Krankheiten, bei denen sich die beteiligten Hersteller auch häufig der Kritik ausgesetzt sehen, aus der Not Profit zu schlagen, ohne dass z. B. das eingegangene Risiko aufgrund der Forschung und Entwicklung gewürdigt werden würde.
  3. Durch von gesellschaftlichen Strömungen getriebene politische Entscheidungen wird die freie Wahl der Nutzung von Leistungen für Individuen eingeschränkt oder ganz unterbunden, was letztlich zur Beendigung von Geschäftsmodellen führt. So gibt es zwar einen über Jahrzehnte belegten Nutzen von Atomkraftwerken,[4] dem aber aus Sicht der Mehrheit der deutschen Bevölkerung ein so hohes Risiko gegenüberstand, dass diese im Frühjahr 2023 abgeschaltet wurden. Ähnlich wird aktuell über die Einschränkung oder das komplette Verbot der Verwendung von sog. Ewigkeits-Chemikalien (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, PFAS) diskutiert,[5] aber auch über die (weitere) Legalisierung von Rauschmitteln, bei der Alkohol und Tabak lediglich altersmäßig beschränkt werden, andere Substanzen verboten sind und Cannabis ggf. in beschränktem Rahmen erlaubt werden soll.[6] Unternehmen reagieren teilw. schon im Vorfeld einer möglichen Regulierung und bieten z. B. gesündere oder klimafreundlichere Alternativen im Fastfoodbereich an. Philip Morris International hat angekündigt, die Weltmarke Marlboro aufzugeben und sich aus der (Tabak-)Zigarettenproduktion zurückzuziehen und stattdessen auf die ggf. weniger schädlichen E-Zigaretten zu setzen.
  4. Die reine Lehre der Nutzenverteilung zwischen Kunden und Unternehmen hat viele Prämissen, die in der Praxis so kaum zutreffen. So ist der Nutzen aus Kundensicht höchst subjektiv und überdies durch die ggf. bestehenden Machtverhältnisse von Unternehmensseite über Marketingmaßnahmen beeinflussbar.
 

Rz. 2

Getrieben von diesen gesellschaftlichen Strömungen ist gerade im Bereich der Verbraucher und Endnutzer bereits eine hohe rechtliche Absicherung der Kunden gegenüber den Unternehmen gegeben, die von Zulassungsregularien für das Anbieten von Produkten und Dienstleistungen, gesetzliche...

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