Regeneratives Wirtschaften: Wieso „nachhaltig“ nicht reicht

Angesichts der Klimakrise ist regeneratives Wirtschaften ein Lösungsansatz. Prof. Dr. Stephan Hankammer fordert: Unternehmen sollten sich nicht bloß auf Schadensreduktion konzentrieren, sondern „naturpositiv“ werden. Dazu braucht es systemisches Denken und eine stärkere Langfristorientierung.

Herr Hankammer, was bedeutet regeneratives Wirtschaften für Sie?

In erster Linie ist Regeneration oder regeneratives Wirtschaften ein Prinzip, das besagt: Man gibt mehr zurück als man nimmt. Das gilt für alle Systeme, seien es ökologische oder soziale. Vor dem Hintergrund der Übernutzung der Ressourcen, der planetaren Grenzen, die an vielen Stellen schon überschritten sind, ist die Idee: Es reicht nicht aus, den Status quo zu erhalten und nicht noch mehr Schaden hinzuzufügen. Sondern es geht darum, zu reparieren. Regeneratives Wirtschaften bedeutet im ersten Schritt die Wiederherstellung eines Systems, das uns erfolgreich leben lässt und sich selbst erhält. Es geht um ein Preservation System, ein Erhaltungssystem.

Es gibt verschiedene Stufen von Nachhaltigkeit. Im Moment befinden sich viele Unternehmen auf der Stufe der Erkenntnis, was sie angerichtet haben, und wollen jetzt ihre Emissionen minimieren. Sie sagen, dass das nicht reicht.

Ich bin mir nicht sicher, dass die meisten Unternehmen im Moment davor erschrecken, was sie angerichtet haben. Die vorherrschende Denkrichtung ist in meinen Augen eher, mehr Effizienz zu erreichen und zum Beispiel mithilfe der Kreislaufwirtschaft den Schaden zu reduzieren.

Der Gedanke der Regeneration und des regenerativen Wirtschaftens geht aber eben von der Idee aus, nicht nur Dinge weniger schlecht zu machen, sondern mindestens und eigentlich darüber hinaus Net Positive zu werden. Auf deutsch: einen positiven Wert zu schaffen, mehr zu geben als zu entnehmen. Das heißt die Wertschöpfung ist größer als die Schadschöpfung. Bei vielen Unternehmen geht es im Moment aber vor allem darum, die Schadschöpfung zu minimieren.

Stephan Hankammer

Regeneratives Wirtschaften und neue Geschäftsmodelle

Regeneration hieße, dass Unternehmen ihre kompletten Geschäftsmodelle umstellen müssen.

Es gibt sicher Beispiele, bei denen es anders geht. Aber in der Regel müssen wir davon ausgehen, dass die allermeisten Geschäftsmodelle fundamental verändert werden. Es geht nicht nur darum, das, was Unternehmen sowieso machen, ein bisschen besser oder ein bisschen weniger schlimm zu machen. Oder ein paar der Anders-Modelle, wie Bio-Ökonomie oder Kreislaufwirtschaft zu forcieren. Sondern es geht darum fundamental zu überprüfen, ob das Geschäftsmodell darauf angelegt ist, Wert zu schöpfen – nicht nur für Kunden und Kundinnen, sondern auch für andere Stakeholder entlang der ganzen Wertschöpfungskette.

Sind Unternehmen für eine derartige Transformation bereit?

Es gibt zahlreiche Unternehmen, die das in Ansätzen schon sehr erfolgreich umsetzen und die sich das als Ziel gesetzt haben. Natürlich sprechen wir hier von Pionieren. Die breite Masse der Unternehmen hängt noch zurück und hat sich wahrscheinlich noch nicht intensiv Gedanken über diese Wertschöpfungsebene gemacht. Bei den allermeisten Unternehmen geht es darum, überhaupt einmal messbar zu machen, wie der CO2-Fußabdruck im Unternehmen aussieht. Und diesen CO2-Fußabdruck schrittweise ein wenig zu reduzieren. Außerdem die ganzen Rechnungslegungspflichten zu erfüllen. Dazu kommen die Lieferkettenherausforderungen, die in den kommenden Jahren auf die Unternehmen zukommen. Da geht es sehr stark um Reaktion.

Regeneration dagegen wäre der große Wurf, gerade für diejenigen Unternehmen, die schon lange existieren und bestehende Geschäftsmodelle haben, die man degenerativ nennen könnte.

Rahmenbedingungen für Regenerativität

Wie kann man Unternehmen dabei helfen, nicht nur erste Schritte zu gehen, sondern den ganzen Weg? Kann die Politik unterstützen?

Viel Unterstützung entsteht dadurch, dass sich Rahmenbedingungen verändern. Aber ganz oft geht es dabei darum, den Standard aller Unternehmen ein bisschen hochzusetzen. Ich denke, dieser Gedanke der Regeneration oder des regenerativen Wirtschaftens muss als Quelle einen aktiven Impuls haben. Das heißt ein Unternehmen muss selbst sagen „Wir sehen die ökologischen und sozialen Schäden, die wir verursachen. Und wir nutzen die Kraft, die wir im Unternehmen haben dafür, diese Probleme zu lösen“. Und dafür finden sie dann Mitstreiter, die sie einbinden.

Sehen Sie irgendwo Unternehmen, die als Vorbilder fungieren können?

Für eine regenerative Landwirtschaft wäre das zum Beispiel das Unternehmen Einhorn, das es geschafft hat, seine Wertschöpfungskette regenerativ umzustellen. Weleda ist es gelungen, an vielen Stellen sein Ressourcen-Sourcing so zu verändern, dass es dem Ziel, naturpositiv zu sein, immer näherkommt. Oder Wildling, das an vielen Stellen aufzeigt, welche Maßnahmen in der Ressourcenbeschaffung anwendbar sind, die aber auch im Umgang mit Mitarbeitenden mehr zurückgeben, als sie nehmen. Ich finde vor allem spannend, dass Wilding erkannt hat und öffentlich bekennt, Teil des Problems zu sein. Patagonia macht das ja auch immer deutlich. Dort ist es Teil der Unternehmensstrategie, aber natürlich auch der Marketingstrategie, dass sie sich so präsentieren.

Regeneratives Wirtschaften als Grundlage für zukünftigen Erfolg

Unternehmen sind nach wie vor ergebnis- und gewinnorientiert. In welchem Verhältnis stehen Resilienz und Aspekte wie die Kreislaufwirtschaft zum Ziel der Gewinnmaximierung und des Wachstums?

In meinem Verständnis ist eine wichtige Quelle der nicht-nachhaltigen Entwicklung der Umstand, dass wir die Erfolgsmessung von und in Unternehmen auf Ertrag und Wachstum reduzieren. Wenn wir sagen, dass ein Unternehmen ausschließlich dann erfolgreich ist, wenn es profitabel ist, oder allein deswegen, weil es profitabel ist, dann denken wir viele Externalisierungen automatisch mit. Will sagen: Wer auf die Profitabilität fokussiert und die Umstände, die dazu führen, ausblendet, übersieht die mögliche Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen. Wenn wir das Prinzip der Regeneration ernstnehmen, müssen wir immer abwägen zwischen Profitabilität und einer bestimmten sinnvollen Maßnahme. Damit will ich nicht sagen, dass das Geldverdienen überhaupt keine Rolle mehr spielt. Aber es muss ergänzt werden. Wer sich um die Frage, welche Kosten die Profitabilität verursacht, nicht kümmert, wird übrigens in naher Zukunft überhaupt kein Geld mehr verdienen. Insofern ist der erweiterte Blick auf Unternehmenserfolg eine Resilienz-Strategie, um überhaupt langfristig erfolgreich wirtschaften zu können.

Wir sprechen also über die Grundlage für zukünftigen Erfolg.

Genau. Wir sprechen im Englischen von Co-Evolution als der höchsten Stufe der Regenerationsstrategie. Das bedeutet, einem Unternehmen geht es dann besser, wenn es dem Ökosystem, in das es integriert ist, besser geht. Je besser die ökologische Basis desto größer der ökonomische Erfolg. Um diese Win-Win-Strategie geht es im Kern.

Kennzahlen für „naturpositive“ Unternehmen

Mit welchen Kennzahlen messen Unternehmen in Zukunft ihren Erfolg?

Gute Frage. Bislang sind es die falschen, weil sie reduktionistisch sind. Die Lösung liegt darin, die Komplexität anzuerkennen. Anzuerkennen, dass es verschiedene Bereiche gibt, in denen Unternehmen erfolgreich sein müssen. Einer dieser Bereiche kann zum Beispiel die Naturpositivität sein. Das wäre ein Indikator, in dem Wasserverbrauch, CO2, die Kosten, die durch den Einsatz von Kunststoff entstehen etc. mitgedacht werden können. Ein Unternehmen, das mehr CO2 einspeichert als emittiert, für sauberes Wasser sorgt und so weiter, kann am Ende naturpositiv sein. Und das könnte ein Indikator dafür sein, wie umfangreich der „Net Positivity“-Bereich des Unternehmens ist. Analoges ist für die soziale Ebene denkbar, etwa mit der Frage nach der Güte der Stakeholder-Beziehungen.

Was passiert mit Unternehmen und Branchen, deren Geschäftsmodelle auf Ressourcenverbrauch basieren? Verschwinden die über kurz oder lang?

Es gibt vier Stufen. Exploitation, also das Ausnutzen von Ressourcen, verfolgen im Moment fast alle Unternehmen. Das wieder zu reparieren, wäre die nächste Stufe. Danach kommt das Erhalten. Und die höchste Stufe ist das Verbessern eines ökologischen oder sozialen Systems. Für Unternehmen, die weiter eine Exploitation-Strategie verfolgen, müssten die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass es für sie ganz, ganz teuer wird. So könnten sie dazu gebracht werden, wenigstens die Reparatur-Stufe zu erklimmen.

Wird uns Technologie retten?

Meine Antwort besteht aus zwei Teilen. Erstens brauchen wir dringend Technologien, die uns helfen, ökologische Probleme zu lösen. Wir sind bereits darauf angewiesen, mit bestimmten Technologien CO2 aus der Atmosphäre herauszuholen. Aber das ist nicht die einzige Lösung, die wir haben. Es gibt viele Anwendungsfälle, in denen Low Tech die bessere Alternative ist. Wir sollten Technologie auf keinen Fall als einzigen Heilsbringer sehen – aber schauen, wo und wie wir Technologien einsetzen können, um ökologische und soziale Probleme zu lösen.

„Es beginnt mit dem Wertversprechen“

Welche Rolle sehen Sie für Politik und Wissenschaft auf dem Weg zum regenerativen Wirtschaften? Fünf, sechs, zwölf Front-Runner-Unternehmen reichen ja wohl nicht aus.

Es ist Aufgabe der Wissenschaft, Daten zu sammeln, die Wirklichkeit zu beschreiben, zu unterstützen. Das machen wir zum Beispiel mit unserem Institut für regeneratives Wirtschaften. Wir bringen Akteure zusammen, teilen Best Practices miteinander und erarbeiten Patterns und Blaupausen, die andere Unternehmen übernehmen können. Hier ist Wissenschaft besonders wichtig. Gleichzeitig geht es darum, Innovationen hervorzubringen, die der Markt dann nutzen kann.

Politik und Gesetzgebung sind verantwortlich dafür, den Rahmen so zu setzen, dass die Ausnutzung von Ressourcen, deren Kosten externalisiert werden, verhindert wird. Ziel muss das sogenannte True Cost Accounting sein, sprich: Hersteller und Anbieter müssen die wahren Kosten einrechnen. Die Politik hat dafür zu sorgen, dass sie Unternehmen in diese Richtung lenkt. Ohne entsprechende Gesetzgebung und Regularien wird es nicht gehen, denn wir werden nicht nur die Front Runners haben. Aber gerade jetzt sind Unternehmen, die in diese Richtung vorangehen, ganz, ganz wichtig. Weil sie Ideen entwickeln und mit anderen teilen, die andere dann adaptieren können.

Haben Sie zum Schluss einen Tipp für ein beliebiges mittelständisches Unternehmen? Wie baut es sein Geschäftsmodell nachhaltig und erfolgreich um?

Ich denke, es beginnt mit dem Wertversprechen. Ich rate jedem Unternehmen zu überprüfen, welchen Wert es eigentlich für wen kreiert. Wo gibt es vielleicht die Möglichkeit, nicht nur einen Wert für die Kunden zu schaffen oder ein Kundenproblem zu lösen, sondern daneben gleichzeitig ein ökologisches oder soziales Problem? Das wäre der erste große Schritt.

Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Green Tech