Rn. 325

Stand: EL 141 – ET: 02/2020

Die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen in § 4 Abs 9 EStG und § 9 Abs 6 EStG idF BeitrRLUmsG sind umstritten. Nach Ansicht des VI Senats des BFH verstößt § 9 Abs 6 EStG idF BeitrRLUmsG gegen Art 3 Abs 1 GG in der Ausprägung des daraus abgeleiteten verfassungsrechtlichen Gebots der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und des Gebots der Folgerichtigkeit. Der VI. Senat des BFH hat daher mit mehreren Vorlagebeschlüssen, jeweils vom 17.07.2014, dem BVerfG zu den Az 2 BvL 22/14, 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14 und 2 BvL 27/14 gemäß Art 100 Art 1 GG die Frage vorgelegt, ob § 9 Abs 6 EStG idF BeitrRLUmsG insoweit mit dem GG vereinbar ist, als danach Aufwendungen des StPfl für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine WK sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieser Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern (BFH BFH/NV 2014, 1954; 2014, 1970; BFH v 18.10.2012, VI R 61/11, BFH/NV 2013, 340; BFH v 17.07.2014, VI R 38/12; BFH v 17.07.2014, VI R 2/13; BFH v 17.07.2014, VI R 72/13). Die Verfahren sind beim BVerfG noch anhängig. Veranlagungen werden daher insoweit vorläufig durchgeführt (BMF BStBl I 2016, 450).

Von Teilen der Literatur wird § 4 Abs 9 EStG und § 9 Abs 6 EStG idF BeitrRLUmsG ebenfalls für verfassungswidrig gehalten, da der punktuelle Ausschluss von beruflich veranlassten Aufwendungen vom BA-/WK-Abzug ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip sei und damit gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße (so zB Kanzler, FR 2011, 862; Bergkemper DB 2011, 1947; Schneider, NWB 2011, 2840).

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber mit den Neuregelungen in § 4 Abs 9 EStG und in § 9 Abs 6 EStG mit konstitutiver Wirkung den Abzug von Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, den SA zugeordnet hat (Förster, DStR 2012, 486; Trossen, FR 2012, 501; Ismer, FR 2011, 846; Reiss, FR 2011, 863). Dementsprechend hat der VIII. Senat des BFH bereits mit Urt v 05.11.2013 entschieden, dass die Neuregelungen in § 12 Nr 5 EStG und § 4 Abs 9 EStG verfassungsgemäß sind und keinen Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip beinhalten (BFH BStBl II 2014, 165).

Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber bei der Zuordnung auch privat (mit-)veranlasster Aufwendungen einen erheblichen Typisierungsspielraum ein. Nach der Rspr des BVerfG kommt es nicht auf die einfachrechtliche Differenzierung zwischen beruflichem und privatem Veranlassungszusammenhang an, sondern auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem und pflichtbestimmtem Aufwand andererseits (BVerfG BVerfGE 122, 210; BVerfG BVerfGE 126, 268; vgl auch BFH BStBl II 2010, 414 zum Abzug von Vorsorgeaufwendungen als SA). Mit dem beschränkten SA-Abzug von Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium bis zu 4 000 EUR bzw ab dem VZ 2013 bis zu 6 000 EUR hat der Gesetzgeber seinen weiten Beurteilungsspielraum nicht überschritten (wegen der weiteren Einzelheiten zur Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung des § 9 Abs 6 EStG auch s § 9 Rn 1305 (Zimmer).

Regelmäßig stehen erstmalige Berufsausbildungskosten noch nicht im direkten Zusammenhang mit einer konkreten Einnahmenerzielung im Rahmen eines bereits zugesagten Dienstverhältnisses, sondern dienen losgelöst von einem späteren Anstellungsverhältnis zunächst primär der individuellen Bereicherung des StPfl durch die Erlangung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Sinne einer "Ausbildung" (BFH BStBl II 2014, 165; FG D'dorf, EFG 2012, 686, Rev Az BFH VI R 2/12). Somit handelt es sich regelmäßig um gemischte Aufwendungen, die nicht zwangsläufig dem objektiven Nettoprinzip unterfallen (BFH BStBl II 2014, 165; FG Münster EFG 2012, 1433). Der Gesetzgeber durfte daher in typisierender Weise bestimmen, dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung bzw ein Erststudium noch nicht mit den aus einer beruflichen Tätigkeit fließenden Einnahmen in Zusammenhang stehen, also keine WK sind (BFH BStBl II 2014, 165; Förster, DStR 2012, 486).

 

Rn. 326

Stand: EL 141 – ET: 02/2020

Zudem verstoßen die Neuregelungen des BeitrRLUmsG auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Verbot, rückwirkende Gesetze zu erlassen, obwohl die §§ 4 Abs 9, 9 Abs 6 12 Nr 5 EStG rückwirkend auch für die VZ 2004–2010 gelten (BFH BStBl II 2014, 165; FG Münster EFG 2012, 612, Rev Az BFH VI R 8/12; FG D'dorf EFG 2012, 686, Rev Az BFH VI R 2/12). Auch nach den vorgenannten Vorlagebeschlüssen des VI. Senats des BFH, jeweils vom 17.07.2014, verstößt die rückwirkende Geltung der Neuregelung des BeitrRLUmsG nicht gegen die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (BFH BFH/NV 2014, 195...

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