Rz. 582

Mit dem "Vorab-Abschlag" für den Erwerb von Anteilen an bestimmten Familienunternehmen hat der Gesetzgeber Neuland betreten. Steuersystematisch müssten die Verfügungsbeschränkungen auf der Ebene der Bewertung (und nicht erst bei der Verschonung) berücksichtigt werden. Dies wollte der Gesetzgeber offenbar vermeiden. Eine Änderung der allgemeinen Bewertungsvorschrift, wonach Verfügungsbeschränkungen unbeachtlich sind (s. § 9 Abs. 3 BewG), sollte (aus nicht näher genannten Gründen) nicht erfolgen. Dementsprechend wurde eine besondere Regelung nur für Zwecke des ErbStG geschaffen (ohne Auswirkungen auf andere Bereiche des Steuerrechts). Danach sind Verfügungsbeschränkungen zwar nicht bei der Bewertung, aber bei der Verschonung zu beachten.

 

Rz. 583

Im Ergebnis handelt es sich bei der jetzigen Regelung um eine Art "Zwitter" zwischen Bewertung und Verschonung. Den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach zwischen Bewertung und Verschonung klar zu trennen ist, dürfte die Regelung nicht genügen.[1]

 

Rz. 584

Die neue Vorschrift regelt das Verhältnis des "Vorab-Abschlags" zur Bewertung in keiner Weise. Nach dem Gesetzeswortlaut könnte der Vorab-Abschlag auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die Verfügungsbeschränkungen (ausnahmsweise) bereits bei der Bewertung berücksichtigt worden sind (z. B. im Rahmen einer individuellen Unternehmensbewertung nach IdW S1). Eine doppelte Berücksichtigung sollte aber an sich ausgeschlossen sein.

 

Rz. 585

Der Bundesrat hatte die Sorge, dass es aufgrund des neuen Vorab-Abschlags zu einer Überprivilegierung der Unternehmenserben kommen könnte.[2] Anlass dafür war der Umstand, dass der Erwerber den Vorab-Abschlag neben den sonstigen Verschonungsregelungen in Anspruch nehmen kann. Die kumulierte Gewährung mehrerer steuerlicher Verschonungen könnte sich tatsächlich als übermäßig erweisen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG in seiner (3.) Entscheidung zum ErbStG die (zusätzliche) Einführung eines "Vorab-Abschlag" (oder einer vergleichbaren Regelung) überhaupt nicht verlangt hat.[3] Der Gesetzgeber hat das ErbStG insoweit – entgegen der amtlichen Gesetzesbezeichnung – auch nicht an die Rspr. des Bundesverfassungsgerichts angepasst, sondern ist mit dem Vorab-Abschlag darüber hinausgegangen.[4]

[1] BVerfG v. 7.11.2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, DStR 2007, 235.
[2] S. BR-Drs. 344/1/16, S. 3 f.
[3] BVerfG v. 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50, DStR 2015, 31.
[4] BGBl I 2016, 2464, BStBl I 2016, 1202.

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