Rn. 137

Stand: EL 147 – ET: 11/2020

Als praktisch wichtigste derzeit noch ungeklärte verfassungsrechtliche Fragestellung muss gelten, ob bzw in welchem Umfang es unter Umständen im konkreten Einzelfall zu einem Verstoß gegen das Verbot der doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen kommt.

dba) Verfassungsrechtliche Grundlage des Doppelbesteuerungsverbots

 

Rn. 138

Stand: EL 147 – ET: 11/2020

Das verfassungsrechtliche Gebot der Vermeidung einer Doppelbesteuerung lässt sich bis zur Entscheidung des BVerfG v 06.03.2002, 2 BvL 2683/11, BVerfGE 105, 73 zurückverfolgen. Dort heißt es, dass der Gesetzgeber bei der zu schaffenden Neuregelung zwar ein weiter Entscheidungsspielraum zukommt, "in jedem Fall" aber die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen ist, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird. Der BFH hat sich dieser Auffassung angeschlossen und fordert seit seinen ersten Entscheidungen zum AltEinkG eine "strikte" Beachtung des Doppelbesteuerungsverbots (BFH BFH/NV 2016, 1791 mit umfassender Darstellung der bisherigen Rspr zu dieser Frage). Das BVerfG hat in seinen späteren Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit der nachgelagerten Rentenbesteuerung an seiner Auffassung festgehalten, dass trotz grds Verfassungsmäßigkeit der nachgelagerten Rentenbesteuerung abschließend zu prüfen ist, ob nicht doch eine zur Verfassungswidrigkeit führende doppelte Besteuerung vorliegt (BVerfG v 29.09.2015, 2 BvR 2638/11, BStBl II 2016, 310; BVerfG v 30.09.2015, 2 BvR 1961/10 und BVerfG v 30.09.2015, 2 BvR 1066/10, HFR 2016, 72).

Das vom BVerfG BStBl II 2002, 618 im Zusammenhang mit der nachgelagerten Rentenbesteuerung angesprochene Verbot der Doppelbesteuerung ergibt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG), insbesondere dem Gebot der Folgerichtigkeit sowie den Grenzen der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (s Kulosa, DStR 2018, 1413). Im Kern geht es um die Frage, ob die nachgelagerte Rentenbesteuerung, wie sie durch das AltEinkG eingeführt worden ist, noch dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht wird. Es beruht auf der Überlegung, dass Einnahmen nur dann steuerlich erfasst werden dürfen, wenn die entsprechenden Aufwendungen zur Erzielung dieser Einnahmen entsprechend dem objektiven Nettoprinzip zuvor abgezogen werden konnten (so BFH BStBl II 2009, 710; FG BdW EFG 2020, 116, Rev X R 33/19; Kulosa in H/H/R, § 10 EStG Rz 340 (Dezember 2017); kritisch bzw differenziert zur verfassungsrechtlichen Ableitung etwa s Rügamer, FR 2020, 399).

dbb) Definition der Doppelbesteuerung

 

Rn. 139

Stand: EL 147 – ET: 11/2020

Was konkret unter einer Doppelbesteuerung zu verstehen ist, hat das BVerfG weder begrifflich noch rechnerisch konkretisiert. Es hat lediglich dargelegt, dass als steuerbares Einkommen die erstmalige Realisierung einer Vermögensmehrung, nicht aber ein erfolgsneutraler Vermögenstausch oder gar ein Vermögensverbrauch in Betracht kommt.

Es besteht insofern Einigkeit darüber, dass hinsichtlich der Frage der Doppelbesteuerung zum einen die Besteuerung der Rentner während der gesamten Erwerbsphase bzw die steuerliche Abzugsfähigkeit der während dieses Zeitraums geleisteten Rentenbeitragszahlungen und zum anderen die Besteuerung der Rentenzuflüsse während des gesamten Rentenbezugszeitraums zu untersuchen und miteinander zu vergleichen sind. Eine doppelte Besteuerung kann ausgeschlossen werden, wenn die Ermittlung ergibt, dass die Summe der steuerfreien Teile der voraussichtlichen zukünftigen Rente bzw die nicht in die Bemessungsgrundlage der ESt eingehenden Teile des Rentenzuflusses mindestens die Summe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendung erreicht (BVerfG v 29.09.2015, 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310; BFH BStBl II 2016, 733; 2014, 58; 2011, 567; BFH/NV 2015, 1369; FG BdW EFG 2020, 116, Rev X R 33/19; FG He EFG 2020, 191, Rev X R 20/19). In einem solchen Fall ist nach nahezu einhelliger Auffassung sichergestellt, dass die aus versteuertem Einkommen geleisteten Beiträge im Zeitpunkt des Rentenzuflusses nicht nochmals besteuert werden (Sachverständigenkommission, BMF-Schriftenreihe Bd 74, 48 ff; Kulosa in H/H/R, § 10 EStG Rz 341; aA Chirvi/Maiterth, StuW 2019, 130; Siepe, DStR 2019, 2568). Positiv formuliert liegt somit eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung vor, soweit die Summe der steuerunbelastet bleibenden Teile der voraussichtlichen künftigen Rentenbezüge des jeweiligen StPfl unter Berücksichtigung der zu Beginn der Rentenphase geltenden statistischen Lebenserwartung die Summe der von ihm aus versteuertem Einkommen geleisteten entsprechenden Altersvorsorgeaufwendungen unterschreitet.

Synoptisch lässt sich der insoweit erforderliche rechnerische Abgleich wie folgt darstellen:

 
Gesamt-Rentenversicherungsbeträge aus   Gesamt-Rentenbezüge
unversteuertem Einkommen versteuertem Einkommen

← steuerfreier Teil ←

mindestens so groß wie
Summe der Beiträge aus versteuertem Einkommen
steuerfreier Fall stpfl Teil

Dementsprechend hat der...

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