Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerblichkeit eines Masseurs und medizinischen Bademeisters mit zwei Betriebstätten

 

Leitsatz (NV)

Eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit ist nicht mehr gegeben, wenn der Praxisinhaber, um die Behandlungsbefugnis für eine weitere Betriebstätte zu erhalten, für diese Betriebstätte einen verantwortlichen Leiter einsetzt, mit dessen Person die Behandlungsberechtigung für die Betriebstätte steht und fällt.

 

Normenkette

EStG §§ 15, 18

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist staatlich anerkannter Masseur und medizinischer Bademeister. Er betrieb in X, A- Straße, eine Massagepraxis. 1986 eröffnete er ebenfalls in X, B-Straße, eine weitere Massagepraxis.

Die Entfernung zwischen den beiden Praxen beträgt rd. 200 m. Sie waren organisatorisch und wirtschaftlich weitgehend getrennt. Für jede Praxis bestand ein eigener Telefonanschluß; zwischen beiden Häusern bestand jedoch eine direkte Telefonverbindung. Jede Praxis nahm getrennt Aufträge entgegen und stellte eigene Terminpläne auf. Des weiteren beschäftigte jede Praxis eigenes Personal, jedoch richtete sich der Personaleinsatz je nach Auslastung des einen oder des anderen der beiden Häuser und nach den Bedürfnissen des jeweiligen Patienten. Die Abrechnung mit den Krankenkassen erfolgte getrennt. Betriebseinnahmen und -ausgaben sowie Gewinnermittlung wurden getrennt aufgezeichnet.

Der Kläger sah sich aufgrund des Rahmenvertrags über die Durchführung von Behandlungen in Massageeinrichtungen, medizinischen Badebetrieben und krankengymnastischen Einrichtungen vom 1. Juli 1976 i. d. F. vom 15. Mai 1985 zwischen dem Verband Deutscher Badebetriebe e. V. (Landesverband ... ) und den Landesverbänden der Orts-, Innungs- und Betriebskrankenkassen veranlaßt, mit der verantwortlichen Leitung der Massagepraxis in der A-Straße ab 1. Juli 1986 einen angestellten Masseur zu beauftragen. Für die neu eröffnete Praxis in der B-Straße wurde kein (fremder) verantwortlicher Leiter bestellt.

Umsätze, Personalkosten, Zahl der angestellten Masseure und der wichtigsten Behandlungen (Massagen, Bewegungsübungen, Unterwassermassagen und Lymphdrainagen) entwickelten sich in den Streitjahren (1986 und 1987) wie folgt (wobei die Angaben über Masseure und Behandlungen des Jahres 1986 nur die zweite Jahreshälfte betreffen):

A-Straße

B-Straße

1986

1987

1986

1987

Umsätze

...TDM

...TDM

...TDM

...TDM

Personalkosten

...TDM

...TDM

...TDM

...TDM

Anzahl der Masseure/

Dauer der Beschäftigung

in Monaten

5/21

3/26

1/5

2/16

Behandlungen

19768

18434

5612

16253

Anläßlich einer im Jahre 1989 durchgeführten Betriebsprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) zu dem Ergebnis, daß die Umsätze und Gewinne der Praxis A-Straße ab 1. Juli 1986 wegen der Bestellung eines ständigen Vertreters des Praxisinhabers nicht mehr als freiberuflich anzusehen seien. Das FA erließ daher für die Streitjahre erstmalig Gewerbesteuermeß- und Umsatzsteuerbescheide. Umsätze und Gewinne der Praxis B-Straße behandelte das FA weiterhin als freiberuflich.

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht (FG) die Einnahmen des Klägers aus der Praxis A-Straße als gewerblich angesehen und mithin die streitigen Gewerbesteuermeßbeträge und Umsatzsteuerbescheide für rechtens gehalten hat.

1. Ein der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb i. S. des § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ist gemäß § 1 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) -- nunmehr § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) -- anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige eine selbständige nachhaltige Betätigung ausübt, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und wenn ferner die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes im Sinne des EStG anzusehen ist. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist die selbständige Berufstätigkeit eines Krankengymnasten eine freiberufliche und damit keine gewerbliche Tätigkeit. Die Tätigkeit eines Masseurs ist der der Krankengymnasten ähnlich im Sinne der genannten Vorschrift (Senats-Urteil vom 26. November 1970 IV 60/65, BFHE 101, 115, BStBl II 1971, 249). Dies gilt gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG auch dann, wenn sich der Masseur bei Ausübung seines Berufs der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist jedoch in diesem Fall, daß er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Das ergibt sich aus einem Umkehrschluß aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG. Nach dieser Vorschrift steht eine Vertretung im Falle vorübergehender Verhinderung der Annahme einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit nicht entgegen. Daraus folgt, daß eine dauernde Vertretung zu gewerblichen Einkünften führt. Der Berufsträger darf weder die Leitung noch die Verantwortung einem Geschäftsführer oder Vertreter übertragen (Hutter in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 18 Rndr. 38; Fitsch in Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr. 49; Brandt in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, § 18 EStG Anm. 240; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr. 23; Schaper/Neufang, Die Information über Steuer und Wirtschaft -- INF -- 1992, 154; Abschn. 136 Abs. 2 Satz 8 der Einkommensteuer-Richtlinien -- EStR -- in der bis 1992 geltenden Fassung). Letzteres ist im Streitfall geschehen.

Der Kläger hat auf Verlangen der Krankenkassen mit der Leitung der Praxis A-Straße einen "verantwortlichen Leiter" betraut. Dieser Vorgang hatte nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) folgenden rechtlichen Hintergrund:

Gemäß § 6 Abs. 2 der berufsständischen Regeln ist es Masseuren und medizinischen Bademeistern grundsätzlich nicht gestattet, freiberufliche Zweigpraxen zu errichten. Nach § 2 Abs. 1 des Rahmenvertrags über die Durchführung von Behandlungen in Massageeinrichtungen, medizinischen Badebetrieben und krankengymnastischen Einrichtungen vom 1. Juli 1976 i. d. F. vom 15. Mai 1985 zwischen dem Landesverband ... und den Landesverbänden der Innungs- und Betriebskrankenkassen können gewerbliche Badebetriebe (beispielsweise juristische Personen) jedoch eine Behandlungsberechtigung erhalten, wenn ein verantwortlicher Leiter die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen erfüllt und für die Tätigkeit an mindestens vier Wochen tagen ganztägig zur Verfügung steht. Der Behandlungsberechtigte (verantwortlicher Leiter) wird zum Vertragspartner der abrechnenden Krankenkassen. Bei Verstößen gegen die Vertragsvorschriften kann ihm die Behandlungsberechtigung entzogen werden (§ 11 des Vertrags).

Ein entsprechender Vertrag besteht auch mit den Angestellten-Krankenkassen.

Unter diesen Umständen ist die Benennung eines verantwortlichen Leiters für einen Praxisteil als Bestellung eines ständigen Vertreters anzusehen. Dabei kommt es nicht auf die bürgerlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Praxisinhaber und dem verantwortlichen Leiter an. Der Begriff des "Vertreters" ist vielmehr vom Erfordernis der leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit her auszulegen. Eine solche Tätigkeit ist jedoch nicht mehr gegeben, wenn der Praxisinhaber, um die Behandlungsbefugnis für eine weitere Betriebstätte zu erhalten, für diese Betriebstätte einen verantwortlichen Leiter einsetzt, der nunmehr gegenüber den Krankenkassen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Ausführung der Aufträge übernimmt und mit dessen Person die Behandlungsberechtigung und die Abrechnungsbefugnis für die Betriebstätte steht und fällt.

Hiergegen kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, daß die Krankenkassen zu Unrecht vom Vorliegen zweier Praxissitze ausgegangen seien und daß er sich nur zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten dem Verlangen der Krankenkassen, einen verantwortlichen Leiter für die Praxis A-Straße zu benennen, gebeugt habe. Die Behauptung des Klägers, die Aufteilung der ursprünglich bestehenden Praxis auf die Praxen A-Straße und B-Straße sei nicht anders zu werten als die Unterbringung auf zwei Etagen desselben Hauses, wird durch keinerlei nachprüfbare Umstände belegt. Die äußeren Umstände sprechen vielmehr gegen die Richtigkeit dieser Behauptung. Zum einen ist eine Entfernung von 200 m derjenigen zwischen zwei (zusammenhängenden) Stockwerken eines Hauses nicht vergleichbar. Zum anderen ist es nicht üblich, daß für zwei Etagen einer einheitlichen Praxis jeweils eigene Terminpläne aufgestellt und eigene Abrechnungen mit den Krankenkassen durchgeführt werden. Dasselbe gilt für die Beschäftigung eigenen Personals und die getrennte Buchführung. Es kann auch nicht unterstellt werden, daß der Kläger die Behandlungsbefugnis gegenüber den Krankenkassen durch falsche Angaben hat herbeiführen wollen. Das wäre aber der Fall, wenn es zuträfe, daß der verantwortliche Leiter für die Praxis A-Straße nur auf dem Papier bestellt worden wäre. Denn der Kläger selbst war nicht in der Lage, die von den Kassen geforderten vier vollen Anwesenheitstage pro Woche in beiden Praxen zu verbringen.

Unter diesen Umständen ist es revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das FG die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene, nicht unter Beweis gestellte Behauptung des Klägers, er habe seine Arbeitskraft gleichmäßig auf beide Praxen verteilt, als unglaubhaft angesehen hat.

Nach den Feststellungen des FG wurden im Kernbereich der Tätigkeit eines Masseurs bzw. Krankengymnasten (Massage, Bewegungsübungen, Unterwassermassagen und Lymphdrainagen) im Jahre 1987 in der Praxis A-Straße insgesamt 18 434, in der Praxis B-Straße insgesamt 16 253 Behandlungen durchgeführt. Demgegenüber hat der Kläger in der Praxis B-Straße im Jahr 1987 nur für 16 Monate Masseure beschäftigt, während die Beschäftigungsdauer in der Praxis A- Straße insgesamt 26 Monate betrug. Entsprechendes gilt auch für das Jahr 1986. Ab 1. Juli 1986 wurden in der A-Straße insgesamt 10 768 Massagen, Wassermassagen, Bewegungsübungen und Lymphdrainagen verabreicht, in der B-Straße 5 612. Die Beschäftigungsdauer der Masseure in der A-Straße betrug jedoch 21 Monate, in der B-Straße dagegen nur 5 Monate.

Das FG konnte hieraus ohne Verstoß gegen die Denkgesetze oder allgemeiner Erfahrungssätze schließen, daß der Kläger seine Arbeitskraft ganz überwiegend der Praxis B-Straße gewidmet hat.

2. Der Senat kann dem Kläger auch nicht in der Auffassung folgen, daß die Umsätze aus der Praxis A-Straße nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973/1980 umsatzsteuerbefreit seien.

Nach § 4 Nr. 14 UStG 1973/1980 sind u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Krankengymnast oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei. Der Zusatz "im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes" bezieht sich nicht nur auf die ähnlichen heilberuflichen Tätigkeiten, sondern beschränkt erkennbar auch die Steuerfreiheit der Umsätze der genannten Berufe auf ihre freiberufliche Tätigkeit i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Verweisung in § 4 Nr. 14 UStG 1973/1980 läßt für ein eigenständige umsatzsteuerliche Auslegung dieser Merkmale keinen Raum (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. Juni 1987 V B 22/86, BFH/NV 1988, 55 m. w. N. auf die übereinstimmende Meinung in Schrifttum und Verwaltungsanweisungen). Demzufolge kommt die Umsatzsteuerfreiheit dann nicht in Betracht, wenn -- wie im Streitfall -- die Freiberuflichkeit am Fehlen einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit des Praxisinhabers i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG scheitert.

Von dieser Auslegung, die durch den Wortlaut des § 4 Nr. 14 UStG 1973/1980 geboten ist, ist der XI. Senat des BFH in seinem Urteil vom 13. Juli 1994 XI R 90/92 (BFHE 176, 63, BStBl II 1995, 84) nicht abgewichen. Das zeigt sich schon daran, daß er sich im Obersatz seiner Entscheidung ausdrücklich auf den Beschluß des V. Senats des BFH in BFH/NV 1988, 55 beruft. Der XI. Senat hält die Umsatzsteuerbefreiung vielmehr lediglich in solchen Fällen für gerechtfertigt, in denen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 (einschließlich des Satzes 3) EStG vorliegen, die Tätigkeit jedoch wegen einer anderen einkommensteuerlichen Vorschrift (beispielsweise § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) im Bereich der Ertragsteuern als gewerblich anzusehen ist.

3. Wegen des Verböserungsverbots ist der Senat gehindert, dazu Stellung zu nehmen, ob das FA die Einkünfte aus der Betriebstätte B-Straße zu Recht isoliert als freiberuflich angesehen und die diesbezüglichen Umsätze als umsatzsteuerfrei behandelt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421033

BFH/NV 1996, 464

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