Zur Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Leistungen

Nach Abwicklung des Altersvorsorgevertrags kann die ZfA rechtsgrundlos geleistete Zulagen zurückfordern, auch wenn die Auszahlung auf einem Fehlverhalten des Anbieters (fehlerhafte Beantragung der Zulagen) beruht.

Hintergrund: Rückforderung zu Unrecht bezogener Zulagen

X hatte bei der B-AG (Anbieter) einen nach dem Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz (AltZertG) zertifizierten Altersvorsorgevertrag über eine sog. Riester-Rente abgeschlossen. In sämtlichen Zulageanträgen hatte der Anbieter maschinell verschlüsselt angegeben, X sei unmittelbar zulageberechtigt. Dementsprechend zahlte die Deutsche Rentenversicherung Bund, Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) für die streitigen Beitragsjahre (2008 – 2010) Zulagebeträge in Höhe von jeweils 154 EUR an den Anbieter aus, der sie dem Vertragskonto der X gutschrieb.

Nach Beendigung des Altersvorsorgevertrags stellte die ZfA in 2011 im Zuge der Überprüfung nach § 91 EStG fest, dass X in keinem der Streitjahre die Voraussetzungen für eine unmittelbare Zulageberechtigung erfüllt habe und forderte die Zulagen (3 x 154 EUR = 462 EUR) von X zurück. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab und wies darauf hin, das Fehlverhalten des Anbieters schließe die Rückforderung nicht aus.

Entscheidung: Die Rückforderung nach § 37 Abs. 2 AO wird nicht durch § 90 Abs. 3 EStG ausgeschlossen

Der BFH bestätigte die Auffassung des FG und wies die Revision der X zurück. § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG verweist für die Rückforderung von Zulagen auf die entsprechende Anwendung der für Steuervergütung geltenden AO-Vorschriften und damit auf § 37 Abs. 2 AO. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht durch die Sonderregelung in § 90 Abs. 3 EStG ausgeschlossen. Nach § 90 Abs. 3 EStG erfolgt die Rückforderung grundsätzlich mittels Datensatzes über den Anbieter, der das Konto des Zulageberechtigten entsprechend belastet. § 90 Abs. 3 EStG greift jedoch im Streitfall schon deshalb nicht ein, weil der Altersvorsorgevertrag bereits zum Mai 2010 beendet und eine Kontobelastung nicht mehr möglich war. Außerdem schließt § 90 Abs. 3 EStG die Anwendung des § 37 Abs. 2 AO nicht aus. Dem Anbieter steht nicht die alleinige Verantwortlichkeit für die Rückforderung von Zulagen zu. Aus § 90 Abs. 3 EStG ergibt sich keine generelle Haftung des Anbieters für Rückforderungsbeträge im Fall nicht mehr bestehender Vertragsverhältnisse. Vielmehr haftet der Anbieter als Gesamtschuldner neben dem Zulageempfänger nach § 96 Abs. 2 EStG der ZfA gegenüber nur für diejenigen Zulagen, die wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung zu Unrecht gezahlt oder nicht zurückgezahlt worden sind.

Die Rückforderung nach § 37 Abs. 2 AO ist verschuldensunabhängig

Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO sind für die Rückforderung erfüllt. X ist Leistungsempfängerin i.S. des § 37 Abs. 2 AO. Zwar wurden ihr die Zulagen nicht unmittelbar ausgezahlt, sondern dem Vertragskonto bei ihrem Anbieter gutgeschrieben. Entscheidend ist aber, dass die ZfA die Zulagen für die Beitragsjahre zur Erfüllung eines (vermeintlichen) Anspruchs der X geleistet hatte. Auf ein schuldhaftes Verhalten des Empfängers oder ihres Anbieters kommt es nicht an. Der Rückzahlungsanspruch besteht auch dann, wenn den Leistungsempfänger an der Fehlleistung kein Verschulden trifft bzw. wenn er diese nicht einmal erkannt hat (BFH vom 10.03.2016 - III R 29/15, BFH/NV 2016, 1278). Der Rückforderungsanspruch ist Ausdruck eines übergeordneten Prinzips, dass derjenige, der vom Staat auf Kosten der Allgemeinheit etwas erhalten hat, grundsätzlich verpflichtet ist, das Erhaltene zurückzuzahlen.

Keine Verwirkung des Rückforderungsanspruchs

Im Streitfall steht auch Verwirkung – als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben – der Rückforderung nicht entgegen. Verwirkung setzt voraus, dass sich der Verpflichtete nach dem gesamten Verhalten des Erstattungsberechtigten darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der Zeitablauf allein (Zeitmoment) reicht für die Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs grundsätzlich nicht aus. Hinzukommen muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden soll (Umstandsmoment oder Vertrauenstatbestand). Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (BFH vom 14.10.2003 - VIII R 56/01, BStBl II 2004, 123). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Es fehlt an einem Verhalten der ZfA, aus dem X bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen durfte, die zu Unrecht ausgezahlten Zulagen würden ihr belassen.

Kein Vertrauenstatbestand bei automatisiertem Verfahren

Allein aus dem Umstand, dass die ZfA über mehrere Jahre hinweg ohne Prüfung der Berechtigung eine Auszahlung der Zulagen zugunsten der X vornahm, konnte die X bei objektiver Beurteilung nicht herleiten, die ZfA werde zukünftig in jedem Fall auf eine solche Prüfung und die Rückforderung unberechtigt erhaltener Zulagen verzichten. Denn der Verfahrensablauf entspricht in typischer Weise der gesetzlichen Ausgestaltung des Zulageverfahrens. Der automatisierte Datenabgleich kann eine Rückforderung der bereits ausgezahlten Zulage vom Anbieter zur Folge haben. Daraus konnte X keinen besonderen Vertrauenstatbestand ableiten.

Hinweis: Neuregelung ab 2018

Nach der neu eingefügten Vorschrift des § 90 Abs. 3a EStG besteht eine Durchgriffsmöglichkeit der ZfA auf den Zulagenempfänger, falls das Guthaben auf dem Vertrag für die Befriedigung der Rückforderungsansprüche nicht ausreicht, weil zwischenzeitlich ein Versorgungsausgleich stattgefunden hat. Mit dieser Neuregelung stellt sich die im Schrifttum aufgeworfene Frage, ob der Gesetzgeber (nunmehr) bewusst und abschließend geregelt hat, wann eine Rückforderung beim Zulageempfänger möglich sein soll, so dass ein Rückgriff auf die allgemeinere Vorschrift des § 37 Abs. 2 AO nicht mehr zulässig wäre. Der BFH lässt diese Frage ausdrücklich offen. Sie stellte sich im Streitfall nicht, da § 90 Abs. 3a EStG erst mit Wirkung zum 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist.

BFH Urteil vom 09.07.2019 - X R 35 17 (veröffentlicht am 29.08.2019)

Alle am 29.08.2019 veröffentlichten Entscheidungen