Vorsteuerschätzung bei Totalverlust der Buchführungsunterlagen
Hintergrund
Der Einzelunternehmer X wurde vom FA aufgefordert, die Buchführungsunterlagen für eine Außenprüfung zum FA zu bringen. X teilte darauf mit, der Transporter mit den gesamten Buchführungsunterlagen und der EDV-Anlage, auf der die Buchführung gespeichert war, sei vom Betriebsgelände gestohlen worden.
Im Anschluss an die sodann durchgeführte Außenprüfung kürzte das FA die - nicht durch Belegzweitschriften nachgewiesenen - Vorsteuerbeträge für die Streitjahre 1998 bis 2001 (564.000 EUR bis 974.000 EUR) um 40 %. Dabei ging das FA davon aus, dass zumindest ein Teil der Originalrechnungen zum Zeitpunkt der Buchungen und der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs vorgelegen hätten. Bei den vorherigen Betriebsprüfungen sei jedoch aus verschiedensten Gründen der Vorsteuerabzug bis zu 25 % nicht anerkannt worden. Da diese Prüfungen nur auszugsweise erfolgt seien und bei genauerer Prüfung möglicherweise weitere Beträge nicht zum Abzug zugelassen worden wären, sei die Nichtanerkennung von 40 % des jährlich geltend gemachten Vorsteuerabzugs angemessen. Ebenso entschied das FG.
Mit der Revision rügte X, dass das FG die angebotenen Zeugen nicht vernommen hatte.
Entscheidung
Das Recht auf den Vorsteuerabzug entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Lieferung oder die Dienstleistung bewirkt wird. Das Recht kann aber erst ausgeübt werden, wenn der Unternehmer im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist. Der Unternehmer hat daher darzulegen, dass er eine ordnungsgemäße Rechnung in Besitz hatte. Nicht erforderlich ist das Vorhandensein der Rechnung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt. Ist die Vorlage der Originalrechnung nicht mehr möglich, kann der Unternehmer den Nachweis, dass er eine Rechnung in Besitz hatte, mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln führen. Lagen im Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs Originalrechnungen vor, die später verlorengegangen sind und nicht mehr rekonstruiert werden können, sind die abziehbaren Vorsteuerbeträge zu schätzen. Dagegen kann der fehlende Nachweis des Rechnungsbesitzes nicht durch eine Schätzung ersetzt werden.
Hiervon ausgehend lehnt der BFH einen Anspruch des X auf weitere Vorsteuerbeträge ab. Es fehlt bereits an den Voraussetzungen für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug. Denn X hat weder dargelegt noch nachgewiesen, welche konkreten Leistungen er von anderen Unternehmen tatsächlich bezogen hat. Es war nicht ersichtlich, dass die benannten Zeugen aus eigener Wahrnehmung Angaben über den tatsächlichen Leistungsbezug hätten machen können. Die Zeugen waren lediglich dafür benannt worden, dass nur solche Vorsteuerbeträge geltend gemacht wurden, für die auch Originalrechnungen vorgelegen haben. Das Vorliegen von Originalrechnungen besagt indes nichts darüber, ob X die in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich bezogen hat. Der BFH wies die Revision daher zurück.
Hinweis
Es ist sonach zu unterscheiden zwischen dem Recht auf den Vorsteuerabzug und der Ausübung des Vorsteuerabzugs. Der Anspruch auf den Vorsteuerabzug entsteht mit der Lieferung oder Leistung. Ausgeübt werden kann dieses Recht aber erst mit dem Besitz der Rechnung. Geht die Originalrechnung verloren, kann sie rekonstruiert werden oder, wenn dies nicht möglich ist, der seinerzeitige Besitz durch Beweiserhebung nachgewiesen werden. Als Beweismittel kommen in erster Linie Kopien und Zweitausfertigungen in Betracht. Scheidet dies aus, ist auch ein Zeugenbeweis möglich. Pauschale Behauptungen genügen dafür aber nicht. Für den Zeugenbeweis muss der Beweisantrag dahingehend substantiiert werden, dass er sich auf das Vorliegen der Originalrechnung für eine konkret bezeichnete Eingangsleistung bezieht. Der Zeuge muss also nicht nur aussagen können, dass die Originalrechnung vorlag, sondern auch, dass die in Rechnung gestellte Leistung tatsächlich bezogen wurde.
Urteil v. 23.10.2014, V R 23/13, veröffentlicht am 23.12.2014
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