Ermäßigter Steuersatz für den Verkauf von Backwaren in Festzelten
Hintergrund: Brezelverkauf im Bierzelt
X (Verkäuferin, Unternehmerin) pachtete in 2012 und 2013 während des Oktoberfests Verkaufsstände in Festzelten zum Verkauf von Brezeln (bayerisch: "Brezen") an die Besucher der Festzelte. Sie setzte dazu sog. "Brezenläufer" ein. Diese gehen durch die Reihen des Festzelts und verkaufen die Brezeln an die an Bierzelttischen sitzenden Gäste des Festzeltbetreibers. X ging von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aus. Das FA vertrat dagegen die Auffassung, der Brezelverkauf unterliege dem Regelsteuersatz, da die die Bewirtung fördernde, von den Festzeltbetreibern bereitgestellte Infrastruktur (Zelt, Biertischgarnituren, Musik) der X zuzurechnen sei. Ebenso entschied das FG mit der Begründung, X habe sich die Nutzungsmöglichkeit der Festzelte gegen Entgelt einräumen lassen. Das Dienstleistungselement sei im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen.
Entscheidung: Wiesenbrezen sind steuerbegünstigt
Der BFH vertritt eine großzügigere Auffassung. Das FG-Urteil wurde aufgehoben. Der BFH gab der Klage statt.
Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und sonstiger Leistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist die qualitative und nicht nur die quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung zu bestimmen. Soweit Verzehrvorrichtungen (Stühle, Tische) zur Verfügung stehen, dürfen diese nur dann im Hinblick auf eine Dienstleistung berücksichtigt werden, wenn sie vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt sind, den Verzehr möglicherweise zu erleichtern. Vergleichsweise geringfügige Dienstleistungsanteile sind allerdings unerheblich. Dass nur Dienstleistungsanteile des leistenden Unternehmers Berücksichtigung finden, ergibt sich auch daraus, dass die Speisen- und Getränkeabgabe als "eine komplexe einheitliche Leistung" anzusehen ist, die ein Leistender an einen Empfänger erbringt (Art. 6 MwSt-Durchführungsordnung –EU-).
Verzehrvorrichtungen eines Dritten
Hiervon ausgehend erbrachte X Lieferungen und keine sonstigen Leistungen an die Festzeltgäste. Die Betreiber der Festzelte stellen die Bierzeltgarnituren zur Förderung ihrer eigenen Gastronomieumsätze (Getränke und Speisen) auf. Damit handelt es sich zum einen um Verzehrvorrichtungen eines Dritten, die für die Frage, ob X Lieferungen oder sonstige Leistungen erbrachte, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Zum anderen ist aufgrund dieser eigenunternehmerischen Nutzung durch die Festwirte auch ausgeschlossen, dass diese die Verzehrvorrichtungen an X für den Absatz ihrer Brezeln überlassen haben und insoweit die Nutzung für ihre eigenen Zwecke eingeschränkt haben. X hat daher keine Verfügungs- oder Dispositionsmöglichkeit an den Bierzeltgarnituren erlangt. Unter Berücksichtigung der "wirtschaftlichen Realität" bestand für X nur die Möglichkeit einer bloßen Mitbenutzung der Sitzgelegenheiten im Rahmen eines Getränke- und Speisenbezugs vom Festzeltbetreiber. Die Leistung der X ist daher nur als Abrundung eines gastronomischen Angebots der Festwirte, nicht aber als eigene Restaurant- oder Verpflegungsleistung der X anzusehen. Es liegen keine Dienstleistungselemente vor, die gegen die Annahme von Lieferungen sprechen könnten. Hinzu kommt, dass für den Verzehr von Brezeln keine besonderen Vorrichtungen erforderlich sind und dem Mobiliar damit die Eignung fehlt, den Verzehr zu erleichtern.
Hinweis: Keine Berücksichtigung fremder Verzehrvorrichtungen
Die frühere Rechtsprechung, nach der Verzehrvorrichtungen eines Dritten berücksichtigt werden können, wenn diese auch im Interesse des leistenden Unternehmers zur Verfügung gestellt werden (BFH Urteil vom 01.06.2006 - V R 58/04, BStBl II 2007, 487, Haufe Index 1684070) ist überholt. Mobiliar, das nicht ausschließlich dazu bestdimmt ist, den Verzehr möglicherweise zu erleichtern, kann nicht als Dienstleistungselement angesehen werden (BFH Urteil vom 30.06.2011 - V R 18/10, BStBl II 2013, 246, Haufe Index 2732543). Dementsprechend ist auch für die Abgrenzung, ob mit einem Partyservice Lieferungen oder sonstige Leistungen ausgeführt werden, die Gestellung von Geschirr und Besteck durch einen anderen Unternehmer grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (BFH Urteil vom 11.04.2013 - V R 28/12, BFH/NV 2013, 1638, Rzn. 25, 26, Haufe Index 5144331).
Anders kann es sein, wenn dem Unternehmer ein Mitbenutzungsrecht an den Verzehrvorrichtungen zusteht. Das kommt in Betracht, wenn der Festwirt dem Unternehmer und dieser sodann den Gästen die Sitzmöglichkeit am Tisch zur Verfügung stellt. Das FG hatte die Verträge der X mit den Festzeltbetreibern in diesem Sinne ausgelegt. Dem widerspricht der BFH. Zwar obliegt die Gesamtbetrachtung der Verhältnisse als tatsächliche Würdigung grundsätzlich dem FG. Dieses hat im Streitfall jedoch die Begleitumstände, insbesondere die Interessenlage der Beteiligten aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers nicht zutreffend beurteilt. X hatte keine Verfügungsmöglichkeit in dem Sinne, dass sie den Besuchern Sitzplätze im Festzelt zuweisen konnte. Nach der "Realität" sei auch nicht davon auszugehen, dass Personen, die ausschließlich Brezeln erwarben, zur Nutzung der Sitzplätze berechtigt gewesen wären, ohne zusätzliche Leistungen des Festzeltbetreibers in Anspruch nehmen zu müssen. Offenbar sind den BFH-Richtern die realen Verhältnisse des Oktoberfests besser vertraut als den Richtern des FG München, die erstinstanzlich über den Fall zu entscheiden hatten.
BFH Urteil vom 03.08.2017 - V R 15/17 (veröffentlicht am 13.09.2017)
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