Rückstellungen für Honorarrückforderungen von Ärzten
Hintergrund
Streitig war die Anerkennung einer Rückstellung für - ungewisse - Rückzahlungen an die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) wegen Überschreitung der Richtgrößen zu Verordnungskosten für Arznei-, Verband- und Heilmittel.
Eine Ärzte-GbR wies in ihrem Jahresabschluss zum 30.6.2003 eine - sukzessive in zwei Jahren gebildete - Rückstellung für Regressrisiken aus. Die Ärzte hatten die Verschreibungsrichtgrößen pro Quartal um 169 % bis 216 % überschritten. Das FA sah keinen ausreichenden Nachweis für das Bestehen ungewisser Verbindlichkeiten und löste die Rückstellungen mit einer Gewinnauswirkung von 135.000 EUR auf.
Dem folgte das FG und wies die Klage ab. Es ging davon aus, in 2003 seien die Zahlungsverpflichtung und die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme nicht hinreichend konkret gewesen. Die Schreiben der KÄV hätten keine Rückzahlungen gefordert, sondern lediglich auf Überschreitungen hingewiesen, das Verordnungsverfahren hinterfragt und die Einleitung von Verfahren auf Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise mitgeteilt. Da der Antrag der KÄV auf Überprüfung der Wirtschaftlichkeit lediglich einen ersten Schritt in einem mehrstufigen Verfahren darstelle, das zur Festsetzung eines Regresses führen könne, aber nicht müsse, sei die Inanspruchnahme auch nicht überwiegend wahrscheinlich gewesen. Auch hätten die Schreiben die Höhe eines etwaigen Regresses nicht konkretisiert.
Entscheidung
Der BFH vertritt eine großzügigere Auffassung und gab den Ärzten im Grunde Recht.
Die Rückforderungsansprüche der KÄV gegenüber Ärzten wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in der vertragsärztlichen Versorgung sind öffentlich-rechtlicher Natur. Die Rückstellungsbildung für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen setzt voraus, dass die Verpflichtung bereits konkretisiert, d.h. inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt ist. Konkretisiert wird eine solche öffentlich-rechtliche Pflicht regelmäßig durch einen gesetzeskonkretisierenden Rechtsakt (Verwaltungsakt, Verfügung oder verwaltungsrechtliche Vereinbarung). Aber auch eine Pflicht, die sich allein aus gesetzlichen Bestimmungen ergibt, kann eine Rückstellung rechtfertigen. Dies setzt allerdings einen konkreten Gesetzesbefehl voraus.
Anders als das FG bejaht der BFH für den Streitfall eine hinreichend konkretisierte Verbindlichkeit (Honorarrückzahlung an die KÄV), weil
- bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss eine Rückforderung gesetzlich vorgegeben war (§ 106 Abs. 5a SGB V) und
- der Forderungsinhaber Kenntnis hatte und die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aufgrund der Schreiben der KÄV hinreichend konkretisiert war. Angesichts fehlender Rechtfertigungsgründe für die Überschreitung mussten die Ärzte mit der Einleitung eines Prüfverfahrens und einer Erstattungspflicht rechnen.
Dem steht nicht entgegen, dass der Inanspruchnahme ein strukturiertes Verfahren vorgeschaltet ist (Feststellung des Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot durch den Prüfungsausschuss, Gelegenheit zur Stellungnahme, Hinwirken auf eine Vereinbarung).
Der BFH hob das diesen Grundsätzen widersprechende FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses hat im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob die Rückstellung der Höhe nach zutreffend bemessen war.
Hinweis
Der BFH stellt klar, dass bei einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung die Rückstellungsbildung nicht unbedingt eine Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt oder eine entsprechende Vereinbarung voraussetzt. Bereits eine sich aus dem Gesetz ergebende Verpflichtung kann ausreichen, wenn sie hinreichend konkret ist. Das war hier der Fall. Denn nach der sozialrechtlichen Bestimmung war bei einer bestimmten Überschreitung des Richtgrößenvolumens nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss die Rückforderung gesetzlich vorgegeben. Allein das Bestehen einer gesetzlichen Forderung genügt somit nicht. Hinzukommen muss ein Umstand, der die Behörde tatsächlich zur Geltendmachung veranlasst (hier die Prüfungsfeststellungen).
Auch bei einem sonach gegebenen konkreten Gesetzesbefehl muss die Inanspruchnahme aber zudem hinreichend wahrscheinlich sein in dem Sinne, dass der Betreffende mit der Zahlungspflicht tatsächlich rechnen muss. Hier hatte das Überschreiten der Richtgrößen um mehr als 25 % die Wirkung eines Anscheinsbeweises für die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise. Gegen diesen Anschein haben sich die Ärzte nicht entlastet. Angesichts des eingeleiteten Prüfverfahrens mussten sie daher mit ihrer Rückzahlungsverpflichtung rechnen.
BFH, Urteil v. 5.11.2014, VIII R 13/12, veröffentlicht am 6.5.2015
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