Kindergeldanspruch bei mehraktiger Ausbildung

Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen können Teil einer einheitlichen Erstausbildung sein, sodass eine zwischenzeitliche Vollerwerbstätigkeit dem Kindergeldanspruch nicht entgegensteht.

Hintergrund

Die Entscheidung betrifft die ab 2012 geltende Rechtslage (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG). Danach werden Kinder grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt, wenn sie nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums mehr als 20 Stunden wöchentlich erwerbtätig sind.

Der Sohn (S) schloss im Februar 2012 eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik ab. Noch im Februar 2012 bewarb er sich für einen Platz an einer Technikerschule sowie an einer Fachoberschule für Technik mit dem Fernziel der Ausbildung zum Elektrotechniker oder Elektroingenieur. Ebenfalls noch im Februar 2012 schloss er einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag in üblich bezahlter Vollzeitbeschäftigung in seinem erlernten Beruf. Nachdem er eine Zusage der Fachoberschule für Technik erhalten hatte, beendete er das Arbeitsverhältnis vorzeitig, um ab August 2012 diese Schule besuchen zu können. Der einjährige Vollzeitunterricht diente der Vorbereitung des Studiums an einer Fachhochschule und war für S Voraussetzung für die Aufnahme des Studiums.

Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergelds für S für März bis Juli 2012 mit der Begründung auf, S sei nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung (Elektroniker für Betriebstechnik) mehr als 20 Stunden pro Woche erwerbstätig gewesen. Ebenso entschied das FG. Es sei unerheblich, dass S beabsichtigt habe, den Beruf eines Elektrotechnikers oder Elektroingenieurs zu ergreifen.

Entscheidung

Der BFH vertritt eine großzügigere Auffassung. Danach können mehraktige Ausbildungsmaßnahmen Teil einer einheitlichen Erstausbildung sein.

Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsberufsqualifizierende Abschluss zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, ist entscheidend, ob sich der erste Abschluss als integrativer Teil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt. Das ist bei mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen der Fall, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach dem ersten Abschluss fortgesetzt werden soll und das - von den Eltern und dem Kind - bestimmte  Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.

Eine weiterführende Ausbildung kann daher noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein, wenn aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar ist, dass das Kind die für sein Berufsziel erforderliche Ausbildung noch nicht erreicht hat. Die Ausbildungsabschnitte müssen in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in engem zeitlichem Zusammenhang durchgeführt werden.

Im Entscheidungsfall konnte S das angestrebte Berufsziel nur über einen weiteren Abschluss - eine weiterführende Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung - erreichen. Seine Bemühungen dienten dem objektiv feststellbaren Fernziel (Elektrotechniker oder Elektroingenieur). Ob S diesen Abschluss später tatsächlich erlangt, ist unerheblich. Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung kommt es daher auf die Erwerbstätigkeit des S in den Monaten März bis Juli 2012 nicht an. S ist für diese Zeit zu berücksichtigen, da er mangels Ausbildungsplatzes die weiterführende Ausbildung nicht beginnen konnte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG). Denn die zugesagte Ausbildung an der Fachoberschule für Technik begann erst im August 2012.

Die Revision war daher begründet. Der BFH hob das FG-Urteil auf und gab der Klage statt.

Hinweis

Entscheidend dafür, ob mit einer berufsqualifizierenden Ausbildung bereits die Erstausbildung abgeschlossen ist, ist das angestrebte endgültige Berufsziel. In der Wahl des Berufsziels sind die Eltern und das Kind frei. Das Ziel muss allerdings ernsthaft angestrebt werden. Es muss außerdem - bei einer sachgerechten Wertung - für das Kind tatsächlich erreichbar sein. Daran fehlt es, wenn bereits die objektiven Voraussetzungen (z.B. ein bestimmter Notendurchschnitt oder Überschreitung des Höchstalters) für die Zulassung zu dem weiteren Ausbildungsabschnitt fehlen. Die Abschnitte müssen zeitlich und sachlich aufeinander abgestimmt sein und zügig absolviert werden. Der BFH verlangt objektive Beweisanzeichen dafür, dass das Kind die für das angestrebte Berufsziel erforderliche Ausbildung mit dem ersten erlangten Abschluss noch nicht beendet hat. Die Feststellungslast dafür trägt somit der Anspruchsberechtigte, das sind regelmäßig die Eltern.

Die Überlegungen des BFH gehen - bedingt durch den zugrunde liegenden Sachverhalt - vom Absolvieren aufeinander aufbauender im Einzelnen geregelter Ausbildungsgänge aus. Die Bedeutung der Entscheidung geht jedoch darüber hinaus. Entscheidend ist, dass das frei gewählte Berufsziel realistisch ist und ernsthaft angestrebt wird. Bei nicht detailliert geregelten Berufsbildern steht es dem Kind und den Eltern frei, welche Ausbildungsmaßnahmen sie für die Erreichung des Berufsziels als notwendig oder sinnvoll erachten. Das Berufsziel muss jedenfalls zielstrebig verfolgt werden. Ob es letztlich tatsächlich erreicht wird, ist unerheblich.

BFH, Urteil v. 15.4.2015, V R 27/14, veröffentlicht am 29.7.2015

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