Gewinnerzielungsabsicht und Gestaltungsmissbrauch

Die auch bei den Einkünften aus § 17 EStG erforderliche Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Kapitalgesellschaft beziehen. Eine auf den einzelnen veräußerten Geschäftsanteil bezogene Betrachtung ist ausgeschlossen.

Die gezielte Herbeiführung eines Verlusts durch die Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils, dessen Anschaffungskosten aufgrund eines Aufgelds seinen Verkehrswert übersteigen, ist nicht ohne Weiteres rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 AO.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war, wobei nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG zu den Anteilen an einer Kapitalgesellschaft unter anderem die Anteile an einer GmbH zählen.

Sachverhalt: Für einen bestimmten Anteil gezahltes Aufgeld (Agio) erhöht die Anschaffungskosten dieses Anteils

Die Kläger sind Ehegatten. Die Klägerin gründete im November 2015 als Alleingesellschafterin die A GmbH (GmbH). Deren Geschäftsgegenstand ist der Erwerb und die Verwaltung von Immobilien. Das Stammkapital betrug zunächst 25.000 EUR. Es war eingeteilt in 25.000 Geschäftsanteile im Nennbetrag von jeweils 1 EUR (Nr. 1 bis 25.000).

Mitte Dezember 2015 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH eine Kapitalerhöhung um 1.000 EUR. Hierzu schuf sie einen weiteren Geschäftsanteil im Nennbetrag von 1.000 EUR (Nr. 25.001). Auch diesen Geschäftsanteil übernahm die Klägerin. Beschlussgemäß zahlte sie hierfür neben dem Nennbetrag ein Aufgeld von 500.000 EUR in die freie Kapitalrücklage der GmbH.

Am 28.12.2015 veräußerte die Klägerin 300 Geschäftsanteile im Nennwert von je 1 EUR (Nr. 24.701 bis 25.000) sowie den neuen Geschäftsanteil Nr. 25.001 zum Kaufpreis von 26.300 EUR an den Kläger, der fortan zu 5 % am Kapital der GmbH beteiligt war.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2015 erklärte die Klägerin aus der Veräußerung der GmbH-Geschäftsanteile einen gemäß § 17 EStG zu berücksichtigenden Verlust von 475.000 EUR (Veräußerungspreis 26.300 EUR ./. Anschaffungskosten Geschäftsanteile Nr. 24.701 bis 25.000 = 300 EUR ./. Anschaffungskosten Geschäftsanteil Nr. 25.001 = 1.000 EUR ./. Aufgeld für Geschäftsanteil Nr. 25.001 = 500.000 EUR), was zu einem Ansatz nach dem Teileinkünfteverfahren von 285.000 EUR (= 60 % von 475.000 EUR) führte.

Das FA erkannte den aus der Veräußerung des neu geschaffenen Geschäftsanteils Nr. 25.001 herrührenden Verlust nicht an. In Anbetracht der hohen Anschaffungskosten (1.000 EUR Nennwert zuzüglich 500.000 EUR Aufgeld) habe es der Klägerin insoweit an einer Gewinnerzielungsabsicht gefehlt. Aus der Veräußerung der Anteile der Nr. 24.701 bis 25.000 ermittelte das FA dagegen einen nach § 17 EStG zu besteuernden Gewinn.

Klage war erfolgreich

Das FG gab der Klage statt. Die Klägerin habe die Geschäftsanteile mit Gewinnerzielungsabsicht veräußert. Insofern dürfe nicht auf den einzelnen, sondern müsse auf alle veräußerten Anteile abgestellt werden.

Entscheidung: BFH hält die Revision des FA für unbegründet

Der BFH hat die Revision des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu führte der BFH u.a. aus:

  • Die Entscheidung des FG, hinsichtlich sämtlicher veräußerten Geschäftsanteile von einer Gewinnerzielungsabsicht auszugehen, ist nicht zu beanstanden. Die Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung an der Kapitalgesellschaft beziehen. Eine Einzelbetrachtung jedes veräußerten Geschäftsanteils ist – wie das FG zutreffend entschieden hat – ausgeschlossen. Von einer Gewinnerzielungsabsicht geht die höchstrichterliche Rechtsprechung bei den Einkünften aus § 17 EStG im Regelfall aus, selbst wenn die Beteiligung nur kurze Zeit gehalten wurde.
  • Vom erzielten Veräußerungspreis (26.300 EUR) sind nach der Gewinnermittlungsformel des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG die Anschaffungskosten für die veräußerten Geschäftsanteile abzuziehen. Der Gewinn beziehungsweise Verlust aus der Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer Kapitalgesellschaft ist sowohl hinsichtlich des Veräußerungspreises als auch der Anschaffungskosten anteilsbezogen zu bestimmen. Gerade wegen der zivilrechtlichen Selbständigkeit jedes Geschäftsanteils ist das Aufgeld nur demjenigen Anteil als Anschaffungskosten zuzurechnen, für deren Erwerb es aufzubringen war. Dies gilt selbst dann, wenn die Summe aus dem Nennbetrag des neuen Anteils und des Aufgelds den Verkehrswert des neuen Anteils übersteigt, sogenannte Überpari-Emission. Das gilt jedenfalls für Veräußerungen bis zum 31.7.2019.
  • Im Zusammenhang mit Einkünften aus § 17 EStG steht es einem Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, ob, wann und an wen er seine Anteile veräußert. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt. Die Zahlung eines Aufgelds für den Erwerb des neu geschaffenen Geschäftsanteils Nr. 25.001 sowie dessen kurzfristig spätere verlustauslösende Veräußerung an den Kläger ist nicht als Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu werten. Es unterliegt der Disposition des Steuerpflichtigen, Veräußerungsgeschäfte so zu gestalten, dass er sich steuerlich möglichst günstig steht.
  • Zum anderen ist geklärt, dass der Steuerpflichtige selbst entscheiden kann, welchen Geschäftsanteil seiner Beteiligung er veräußert. Dies gilt unabhängig davon, ob die Veräußerung an einen fremden Dritten oder an einen nahen Angehörigen erfolgt.

Hinweis: Regelung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG

Bei Veräußerungen bis zum 31.7.2019 konnten Anschaffungskosten im Fall eines Aufgelds zivilrechtlich nach § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 15 Abs. 2 GmbHG einem bestimmten Gesellschaftsanteil zugeordnet werden. Die mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451) eingeführte Regelung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG sieht Folgendes vor: „Leistet der Steuerpflichtige über den Nennbetrag seiner Anteile hinaus Einzahlungen in das Kapital der Gesellschaft, sind die Einzahlungen bei der Ermittlung der Anschaffungskosten gleichmäßig auf seine gesamten Anteile einschließlich seiner im Rahmen von Kapitalerhöhungen erhaltenen neuen Anteile aufzuteilen.“ Aufgelder sind nach dieser Vorschrift im Fall einer Überpari-Emission gleichmäßig auf alle Anteile des Gesellschafters zu verteilen. § 17 Abs. 2a EStG ist erstmals für Veräußerungen im Sinne von § 17 Abs. 1, 4 oder 5 nach dem 31.7.2019 anzuwenden. Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist § 17 Abs. 2a Satz 1 bis 4 auch für Veräußerungen im Sinne von § 17 Abs. 1, 4 oder 5 vor dem 31.7.2019 anzuwenden (§ 52 Abs. 25a EStG).

BFH, Urteil v. 3.5.2023, IX R 12/22; veröffentlicht am 10.8.2023