Bindung einer rechtswidrigen Bescheinigung nach § 7h EStG

Hat die zuständige Gemeindebehörde eine bindende Entscheidung über die von ihr nach § 7h Abs. 1 EStG zu prüfenden Voraussetzungen getroffen, hat das FA diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen.

Hintergrund: Rechtswidrige Bescheinigung der Sanierungsvoraussetzungen

Die Eheleute führten an ihrem im Sanierungsgebiet gelegenen vermieteten Mehrfamilienhaus in den Jahren 2006/2007 Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten durch. Die Herstellungskosten betrugen 450.000 EUR. Die Maßnahmen beruhten weder auf einem Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot i.S. des § 177 BauGB noch existierte eine Verpflichtung gegenüber der Stadt zur Durchführung der Arbeiten. Die Eheleute beantragten für 2007 erhöhte AfA nach § 7h EStG. Dazu legten sie eine vom Bürgermeister ausgestellte Bescheinigung vor, die wahrheitswidrig "Modernisierungs- und Instandhaltungsarbeiten i.S. des § 177 BauGB" bescheinigte. Das FA lehnte die erhöhten AfA ab, da die Bescheinigung offensichtlich unzutreffend sei. Die Gemeinde nahm sodann auf Einwand des FA die Bescheinigung zurück. Daraufhin erhoben die Eheleute gegen die Rücknahme der Bescheinigung Klage vor dem Verwaltungsgericht und erreichten die Aufhebung des Rücknahmebescheids (wegen Ermessensfehler der Gemeinde).  

Gegen den die erhöhten AfA ablehnenden ESt-Bescheid 2007 erhoben die Eheleute Klage vor dem FG. Das FG folgte der Auffassung des FA und wies die Klage ab, da die offensichtlich rechtswidrige Bescheinigung keine Bindungswirkung entfalte.

Entscheidung: Bindungswirkung einer rechtswidrigen Bescheinigung

Voraussetzung für die Inanspruchnahme der erhöhten AfA bei Gebäuden in Sanierungsgebieten oder städtebaulichen Entwicklungsbereichen ist der Nachweis der Voraussetzungen für das Gebäude und für die Maßnahmen durch eine Bescheinigung der Gemeindebehörde (§ 7h Abs. 2 EStG). Die Bescheinigung ist materiell-rechtliche Abzugsvoraussetzung für die Begünstigung und Grundlagenbescheid. Denn das FA ist selbst gar nicht in der Lage zu prüfen, ob Arbeiten i.S. des § 177 BauGB vorliegen. Deshalb prüft allein die Gemeinde, ob entsprechende Maßnahmen durchgeführt wurden und wie die Begriffe "Modernisierung" und "Instandsetzung" zu verstehen sind.

Das FA ist gebunden, wenn die Bescheinigung wirksam – nicht nichtig – und nicht zurückgenommen oder widerrufen worden ist

Hat die Gemeinde eine bindende Entscheidung über eine der in § 7h Abs. 1 EStG genannten Voraussetzungen getroffen, muss das FA diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde legen. Das gilt nur dann nicht, wenn die Gemeinde die Bescheinigung zurückgenommen oder widerrufen hat oder wenn sie nichtig und deshalb unwirksam ist. Besteht aber eine wirksame Bescheinigung, entfaltet diese als Grundlagenbescheid bindende Wirkung, auch wenn sie unzutreffend und damit rechtswidrig ist, solange kein zur Nichtigkeit führender schwerwiegender Mangel vorliegt.

Die Bescheinigung enthält keinen zur Nichtigkeit führenden schwerwiegenden Mangel

Hiervon ausgehend ist das FA an die Bescheinigung gebunden. Die Bescheinigung ist wirksam, da das Verwaltungsgericht den Rücknahmebescheid der Gemeinde aufgehoben hat. Das FA muss die Bindungswirkung hinnehmen, auch wenn es die Bescheinigung für offensichtlich unzutreffend hält. Denn die Bescheinigung ist nicht wegen eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers i.S. von § 44 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nichtig. Der BFH verneint insbesondere die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG. Denn es liegen keine Anhaltspunkte für ein Zusammenwirken zwischen dem Bürgermeister und den Eheleuten zum Nachteil des FA vor. Vielmehr ist davon auszugehen, dass den Eheleuten die Unrichtigkeit der Bescheinigung nicht bewusst war.

Kein Rechtsmissbrauch bei Berufung auf eine wirksame - wenn auch rechtswidrige – Bescheinigung

Die Berufung der Eheleute auf die Bindungswirkung der Bescheinigung ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Denn das FA ist verpflichtet, seiner Entscheidung die von der Gemeinde geprüften Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG zugrunde zu legen. Der BFH hob daher das FG-Urteil auf und berücksichtigte statt der AfA von 2% die erhöhten AfA von 9%.

Hinweis: Unterschied zwischen rechtswidrigem und nichtigem Verwaltungsakt

Der BFH bestätigt damit die Verwaltungsregelung in R 4h Abs. 4 Satz 2 EStR und H 7h "Bindungswirkung der Bescheinigung" EStH. Danach unterliegt die Bescheinigung weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden. Voraussetzung ist allerdings die rechtliche Wirksamkeit der Bescheinigung. Ein Verwaltungsakt ist (und bleibt) wirksam, auch wenn er rechtswidrig ist, solange er nicht zurückgenommen oder aufgehoben wird (§ 43 VwVfG). Anders ist es nur, wenn er einen schwerwiegenden Fehler i.S. des § 44 VwVfG aufweist. Das war hier nicht der Fall, da ein betrügerisches Zusammenwirken zwischen einem Bediensteten der Gemeinde und den Eheleuten zwecks Erlangung des Steuervorteils nicht erkennbar war.

Bescheinigung der Höhe der HK ist nicht erforderlich

Der BFH bemerkt ergänzend, dass – abweichend von der Verwaltungsregelung in R 7h Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStR – die Bescheinigung nach § 7h EStG keine Angaben zur Höhe der begünstigten Herstellungskosten enthalten muss. Anders ist es bei der Bescheinigung nach § 7i EStG für die erhöhten Absetzungen bei Baudenkmälern. Hier muss sich aus der Bescheinigung selbst auch die Höhe der begünstigten Herstellungskosten ergeben (BFH Urteil vom 22.10.2014 - X R 15/13, BStBl II 2015, 367, Rz. 21).

BFH Urteil vom 17.04.2018 - IX R 27/17 (veröffentlicht am 08.08.2018)