Nutzungspflicht des beSt vor Zugang des Registrierungsbriefs
Hintergrund: Bestehen einer aktiven Nutzungspflicht des beSt
Im Urteilsfall war zu klären, ob das besondere elektronische Steuerberaterostfach (beSt) auch zu nutzen war, wenn der Registrierungsbrief noch nicht vorlag und ob ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.
- Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2018 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Im Einspruchsverfahren war das Besteuerungsrecht für Einkünfte des Klägers aus einer aus den USA gezahlten Leibrente sowie die Anwendbarkeit des Progressionsvorbehalts auf zwei ebenfalls aus den USA gezahlte Versorgungsbezüge streitig.
- Die Kläger wurden seinerzeit durch eine Steuerberatungs-GmbH (S) vertreten. S erhob am 19.2.2023 per Telefax Klage.
- Nachdem das Finanzgericht (FG) am 1.3.2023 auf die Vorschrift des § 52d Satz 2 FGO hingewiesen hatte, erklärte S mit einem erneut per Telefax übermittelten Schreiben vom 9.3.2023, die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) habe ihr den Registrierungsbrief für die Erstanmeldung zum beSt noch nicht übersandt. Noch am selben Tage kam es zu einem Telefongespräch zwischen dem Berichterstatter des FG und einer für S tätigen Person; dabei wies der Berichterstatter auf die Möglichkeit der „Fast Lane“ hin und vertrat die Auffassung, S habe nicht unverzüglich mitgeteilt, weshalb die Klage per Telefax erhoben worden sei.
- Ausweislich der im Revisionsverfahren vorgelegten Unterlagen erhielt S den Registrierungsbrief am 12.4.2023. Gleichwohl übermittelte S auch am 19.4.2023 nochmals per Telefax ein Schreiben an das FG, mit dem sie zur Frage der Zulässigkeit der Klage Stellung nahm.
Das FG sah die Klage als unzulässig an. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da die unterbliebene Nutzung der „Fast Lane“ als Verschulden anzusehen sei.
Entscheidung: Nutzungspflicht des beSt wurde nicht beachtet
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen und die Auffassung des FG bestätigt.
Anforderungen des § 52d FGO wurden nicht beachtet
Die Klage ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO formgerecht beim FG eingegangen, weil S die Anforderungen des § 52d FGO nicht beachtet hat.
Nach der BFH-Rechtsprechung stand allen Steuerberatern das beSt seit dem 1.1.2023 im Sinne des § 52d Satz 2 FGO "zur Verfügung", auch wenn sie den Registrierungsbrief mit den für sie bestimmten Zugangsdaten noch nicht erhalten hatten.
Beginnend mit dem am 4.5.2023 veröffentlichten BFH-Beschluss vom 28.4.2023, XI B 101/22 (BStBl II 2023, 763) haben verschiedene Senate des BFH die Auffassung vertreten, dass allen Steuerberatern – unabhängig von einem späteren Datum des Zugangs des für sie bestimmten Registrierungsbriefs – bereits seit dem 1.1.2023 ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung gestanden habe (z.B. BFH v. 2.2.2024, IX B 26/23, BFH/NV 2024, 415; v. 8.5.2024, II R 3/23, BFH/NV 2024, 804). Die BStBK sei ihrer gesetzlichen Verpflichtung durch Einrichtung der Steuerberaterplattform und der beSt-Infrastruktur fristgerecht nachgekommen. Als Reaktion auf die technischen Anlaufschwierigkeiten habe die BStBK ein sogenanntes "Fast Lane"-Verfahren eingerichtet und damit jedenfalls denjenigen Steuerberatern, die finanzgerichtliche Verfahren führten, auch tatsächlich den rechtzeitigen Zugang zum beSt eröffnet. Die Senatsentscheidungen lassen erkennen, dass sie Prozesserklärungen von Steuerberatern, die nach dem 31.12.2022 abgegeben wurden, auch dann als unwirksam ansehen, wenn dem jeweiligen Steuerberater der Registrierungsbrief noch nicht zugegangen sein sollte.
Auch das BVerfG hat bisher nicht eindeutig erkennen lassen, dass den verfassungsrechtlichen Anforderungen durch eine entsprechende Auslegung des § 52d Satz 2 FGO Rechnung zu tragen ist, sondern den Weg über die Wiedereinsetzungsregelung gewiesen.
Verspäteter Versand keine vorübergehende technische Störung
Die Kläger berufen sich darüber hinaus auf § 52d Satz 3 FGO. Danach bleibt eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Der BFH hat den verspäteten Versand der Registrierungsbriefe allerdings nicht als vorübergehende technische Störung angesehen, sondern als strukturellen Mangel, der keinen Rückgriff auf die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften rechtfertige.
Im Streitfall konnte die per Telefax übermittelte Klage die Klagefrist nicht wahren, da sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form übermittelt worden ist.
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Wiedereinsetzungsgrund liegt vor
S hat am 9.3.2023 – und damit innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist, die mit dem Zugang des gerichtlichen Hinweisschreibens am 1.3.2023 begann – geltend gemacht, sie sei wegen der bisher unterbliebenen Übersendung des für die Erstanmeldung am beSt erforderlichen Registrierungsbriefs an der elektronischen Übermittlung gehindert. Später hat sie ergänzend auf die von der BStBK herausgegebenen Mitteilungen verwiesen, nach denen eine Pflicht zur Nutzung des beSt erst mit dem Erhalt des Registrierungsbriefs beginne. Darin liegt nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss v. 23.6.2025, 1 BvR 1718/24) und des erkennenden Senats (Urteil v. 6.8.2025, X R 13/23) ein hinreichender Wiedereinsetzungsgrund.
Rechtshandlung nicht nachgeholt
Allerdings haben die Kläger die versäumte Rechtshandlung nicht innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist nachgeholt.
Wenn der Zeitpunkt, zu dem aus der unverschuldeten Verhinderung eine verschuldete Verhinderung wird (hier: mit Zugang des Hinweisschreibens des FG am 1.3.2023), und der Zeitpunkt, zu dem das Hindernis selbst fortfällt (hier: mit Zugang des Registrierungsbriefs am 12.4.2023), sich nicht decken, fallen auch die Fristen für die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO einerseits und nach § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO andererseits gebotenen Handlungen auseinander. Sie beginnen gesondert mit dem jeweiligen Ereignis, das deren Vornahme bisher entgegenstand. Ist die Verhinderung nicht mehr als unverschuldet zu betrachten, ist der Betroffene gehalten, innerhalb der von diesem Zeitpunkt an gerechneten Wiedereinsetzungsfrist seinen Obliegenheiten zur Beseitigung des Hindernisses nachzukommen und möglicherweise auch bereits bei dem Gericht unter entsprechender Glaubhaftmachung die Wiedereinsetzung zu beantragen. Ist schließlich das Hindernis weggefallen, ist er gehalten, die versäumte Rechtshandlung innerhalb der von diesem Zeitpunkt an gerechneten Wiedereinsetzungsfrist nachzuholen.
Damit hätte die Erlangung von Wiedereinsetzung vorausgesetzt, dass S innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Registrierungsbriefs die versäumte Rechtshandlung – die Klageerhebung in wirksamer Form – nachgeholt hätte. Dies ist jedoch unterblieben, obwohl S sich innerhalb dieser Frist noch zwei Mal an das FG gewandt hat. Sie hat allerdings sowohl ihren Schriftsatz vom 19.4.2023 (der Rechtsausführungen zur Klage enthält) als auch das Empfangsbekenntnis vom 26.4.2023 weiterhin per Telefax an das FG übermittelt, obwohl ihr zu diesen Zeitpunkten das beSt bereits zur Verfügung stand.
BFH, Urteil v. 1.10.2025, X R 31/23; veröffentlicht am 20.11.2025
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