Entfallen der Steuervergünstigung nach § 5 Abs. 2 GrEStG infolge eines Insolvenzplans
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Geht ein Grundstück von einem Alleineigentümer auf eine Gesamthand über, so wird die Steuer nach § 5 Abs. 2 GrEStG in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Veräußerer am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Die Vorschrift ist insoweit nicht anzuwenden, als sich der Anteil des Veräußerers am Vermögen der Gesamthand innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die Gesamthand vermindert (§ 5 Abs. 3 GrEStG).
Für die Frage, wann sich der Anteil des Veräußerers am Vermögen der Gesamthand vermindert, ist auf den Zeitpunkt der dinglichen Übertragung des Anteils abzustellen. Nicht maßgebend ist ein gegebenenfalls vorangegangener Erwerb eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Einräumung einer Gesellschafterstellung.
Fraglich war im Urteilsfall, wie sich das Insolvenzrecht und das Steuerrecht zueinander verhalten, wenn es erst durch die Umsetzung des Insolvenzplans (anteilige Anteilsübertragung) zum (rückwirkenden) anteiligen Ausschluss des Befreiungstatbestands des § 5 Abs. 2 GrEStG durch § 5 Abs. 3 GrEStG kommt.
Folgender Sachverhalt liegt vor:
- An der Klägerin, einer GmbH & Co. KG, waren am 30.7.2012 als Komplementärin ohne Kapitaleinlage die B-GmbH und als alleiniger Kommanditist Herr D beteiligt. Mit notariell beurkundetem Vertrag von diesem Tag brachte D ein ihm gehörendes Grundstück in die Klägerin ein und erklärte die Auflassung.
- Das FA behandelte den Vorgang als nach § 5 Abs. 2 GrEStG steuerfrei. Mit Bescheid vom 20.9.2012 setzte das FA Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin in Höhe von 0 EUR mit der Begründung fest, D sei im Zeitpunkt der Übertragung des Grundstücks zu 100 % am Vermögen der erwerbenden Gesamthand beteiligt gewesen.
- Im Oktober 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet. Im März 2016 wurde ein Insolvenzplan vom zuständigen Amtsgericht bestätigt. Dieser sah vor, dass 94,9 % der Kommanditanteile des D an der Klägerin an die neu gegründete C-GmbH übertragen und die Insolvenzgläubiger mit einer Quote in Höhe von 15 % ihrer Forderungen befriedigt werden. Die Übertragung war aufschiebend bedingt durch die Eintragung der C-GmbH als Kommanditistin in das Handelsregister. Die Eintragung erfolgte am im August 2016.
- Nach den Feststellungen FG verwies der Insolvenzplan für die Geltendmachung von Forderungen, die erstmals nach dem Abstimmungstermin angemeldet werden, auf die gesetzlichen Vorschriften, insbesondere die §§ 259a, 259b InsO. Im März 2016 wurde durch Beschluss das Insolvenzverfahren aufgehoben und die Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans angeordnet. Eine Anzeige der Anteilsübertragung auf die C-GmbH erfolgte nicht.
- Das FA bat die Klägerin im Oktober 2017 um Mitteilung, ob sich die Beteiligung des D innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die Gesamthand (§ 5 Abs. 3 GrEStG) verändert habe. Daraufhin erfuhr es vom Insolvenzverfahren, vom Insolvenzplan und von der zwischenzeitlich erfolgten Übertragung der Anteile auf die C-GmbH.
- Mit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändertem Bescheid vom 30.8.2018 setzte das FA die Grunderwerbsteuer gegenüber der Klägerin auf 32.510 EUR fest. Zur Begründung führte es aus, die Beteiligung des D an der Gesamthand habe sich innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die Klägerin um 94,9 % vermindert. Der Tatbestand des § 5 Abs. 3 GrEStG sei erfüllt; die gewährte Steuerbefreiung sei in Höhe von 94,9 % zu versagen. Der Bescheid enthielt eine Zahlungsaufforderung, nach der die Forderung bis zum 4.10.2018 zu erfüllen war.
- Die festgesetzte Grunderwerbsteuer wurde in Höhe der im Insolvenzplan festgelegten Quote von 15 % (4.876,50 EUR) gezahlt.
Mit dem Einspruch gegen den Grunderwerbsteuerbescheid machte die Klägerin geltend, bei der rückwirkend zum 30.7.2012 entstandenen Steuerforderung handele es sich um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO, die im Insolvenzverfahren zur Tabelle anzumelden und mit der im Insolvenzplan festgelegten Quote zu bedienen sei. Auf weitergehende Zahlungen hätten die Gläubiger im Insolvenzplan verzichtet. Die Wirkungen würden nach § 254b InsO auch für Insolvenzgläubiger gelten, die ihre Forderungen – wie das FA die Grunderwerbsteuerforderung – nicht angemeldet hätten. Die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer sei daher erloschen. Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25.7.2019 als unbegründet zurück.
Beantragung eines Abrechnungsbescheids
Am 12.9.2019 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO. Das FA stellte mit Abrechnungsbescheid vom 28.10.2019 fest, dass die festgesetzte Grunderwerbsteuer in Höhe von 4.876,50 EUR durch Zahlung nach § 47 AO erloschen sei und im Übrigen fortbestehe. Ob die Forderung als Insolvenzforderung oder als Masse- beziehungsweise Neuverbindlichkeit einzuordnen sei, spiele keine Rolle.
Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid
Gegen den Abrechnungsbescheid legte die Klägerin ebenfalls Einspruch ein. Sie trug vor, der Steueranspruch sei in Höhe von 85 % erloschen. Dies sehe der Insolvenzplan im Hinblick auf die Forderungen sämtlicher Gläubiger vor. Über das Bestehen eines Vollstreckungsverbots aufgrund eines Insolvenzplanverfahrens sei durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 14.2.2020 wies das FA den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid als unbegründet zurück. Es führte aus, eine mit dem Insolvenzplan bewirkte (teilweise) Befreiung der Klägerin von ihrer Steuerschuld führe nicht zum Erlöschen der Steuerforderung im Sinne des § 47 AO. Sie berühre nicht den Bestand der Forderung, sondern nur deren Durchsetzbarkeit. Soweit die Grunderwerbsteuerforderung nicht erloschen sei, könne sie im Abrechnungsbescheid nicht mit 0 EUR angesetzt werden. Das FG hat die gegen beide Bescheide erhobenen Klagen abgewiesen.
Entscheidung: Grunderwerbsteuerbescheid und Abrechnungsbescheid rechtmäßig
Nach Auffassung des BFH ist die Revision der Klägerin unbegründet und daher zurückzuweisen. Sowohl der Grunderwerbsteuerbescheid als auch der Abrechnungsbescheid sind rechtmäßig. Das FA durfte die Grunderwerbsteuer mit Änderungsbescheid vom 30.8.2018 in voller Höhe festsetzen. Die darauf beruhende Grunderwerbsteuerforderung ist lediglich in Höhe von 4.876,50 EUR erloschen. Die Vorschriften des Insolvenzverfahrens stehen der Grunderwerbsteuerfestsetzung im Urteilsfall nicht entgegen, da im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer das Insolvenzverfahren bereits aufgehoben worden war.
Hierzu weisen die Richter des BFH u.a. auf Folgendes hin:
- Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dürfen Steuerbescheide, die Insolvenzforderungen betreffen, zwar nicht mehr ergehen. Das folgt aus dem in § 251 Abs. 2 Satz 1 AO normierten Grundsatz, wonach Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die Insolvenzforderungen sind, nach Insolvenzeröffnung nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geltend gemacht werden dürfen. Insolvenzforderungen sind Forderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren.
- Für die insolvenzrechtliche "Begründung" von Steuerforderungen kommt es darauf an, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt wurde. Der Rechtsgrund für einen (abstrakten) Steueranspruch ist gelegt, wenn der gesetzliche Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht wird. Danach kann eine erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Steuerforderung eine vor Insolvenzeröffnung "begründete" Insolvenzforderung sein.
- Ist ein Grundstück vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in eine Gesamthandsgemeinschaft eingebracht und der steuerbare Erwerbsvorgang nach § 5 Abs. 2 GrEStG ganz oder teilweise von der Steuer befreit worden, wirkt die Änderung der Beteiligung des Einbringenden an der Gesamthand während des Insolvenzverfahrens oder nach dem Insolvenzverfahren materiell auf den vor der Insolvenzeröffnung begründeten Erwerbsvorgang zurück.
- Die Grunderwerbsteuerforderung entsteht in diesem Fall zwar erst mit Wegfall der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung. Sie ist aber eine (nachträglich) begründete Insolvenzforderung, weil der Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, hier § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG, vor Insolvenzeröffnung verwirklicht worden ist. Ausgehend davon handelt es sich bei der geltend gemachten Grunderwerbsteuerforderung zwar um eine Insolvenzforderung.
- Ungeachtet dessen durfte das FA die Steuer gegen die Klägerin als Steuerschuldnerin mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.8.2018 in voller Höhe festsetzen. Die Vorschriften des Insolvenzverfahrens stehen nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO der Festsetzung nicht entgegen, da zu diesem Zeitpunkt das Insolvenzverfahren durch Beschluss vom März 2016 bereits aufgehoben worden war.
- Schließlich steht auch die Verjährungsfrist des § 259b InsO dem Erlass des Grunderwerbsteuerbescheids nicht entgegen. Denn zum Zeitpunkt des Erlasses des Grunderwerbsteuerbescheids am 30.8.20218 waren die Voraussetzungen des § 259b InsO nicht erfüllt.
- Die einjährige Verjährungsfrist nach § 259b Abs. 1 InsO gilt auch für Steuerforderungen. Wann eine Forderung nach § 259b InsO fällig wird, bestimmt sich nach den Steuergesetzen.
BFH, Urteil v. 27.8.2025, II R 50/21; veröffentlicht am 11.12.2025
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