BFH

Verlustabzugssperre zur Verhinderung einer doppelten Nutzung von Organschaftsverlusten


Anwendungsregelung des § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG

Die zeitliche Anwendungsregelung des § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013 (BGBl I 2013, 285), nach der die Verlustabzugssperre des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG i.d.F. vom 20.2.2013 rückwirkend auf alle nicht bestandskräftig veranlagten Fälle anwendbar ist, enthält keine verdeckte Regelungslücke. Eine (verfassungskonforme) Beschränkung ihres zeitlichen Anwendungsbereichs scheidet aus.

Streitfrage: Anwendung der Verlustabzugssperre

Die Beteiligten streiten über die Anwendung der Verlustabzugssperre nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013 (BGBl I 2013, 285) – KStG n.F. – im Streitjahr 2010.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Die streitige Verlustabzugssperre wurde erstmals durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3858) – UntStFG – eingeführt. Dabei wurde im Gesetzgebungsverfahren ein Zusammenhang zur (gleichzeitigen) gesetzlichen Aufgabe des sog. doppelten Inlandsbezugs beim Organträger (Sitz und Geschäftsleitung im Inland) als Voraussetzung für eine ertragsteuerliche Organschaft, sodass nunmehr ein einfacher Inlandsbezug in Form der Geschäftsleitung des Organträgers im Inland ausreichte, hergestellt (s. BT-Drucks. 14/6882, S. 24). § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG i.d.F. des UntStFG ordnete deshalb an, dass ein negatives Einkommen des Organträgers bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt bleibt, soweit es in einem ausländischen Staat im Rahmen einer der deutschen Besteuerung des Organträgers entsprechenden Besteuerung berücksichtigt wird. Damit sollte insbesondere bei doppelt ansässigen Gesellschaften im Zusammenhang mit einer Organschaft die doppelte Nutzung von Verlusten im In- und Ausland verhindert werden (s. BT-Drucks. 14/6882, S. 37).

Durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013 wurde auch für Organgesellschaften der bislang geforderte doppelte Inlandsbezug rückwirkend auf das Erfordernis einer inländischen Geschäftsleitung und eines Sitzes in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens reduziert (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KStG n.F.). Darüber hinaus wurde die Verlustabzugssperre modifiziert. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. sah nunmehr vor, dass negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt bleiben, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. Für beide Änderungen wurde die zeitliche Anwendung durch § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG n.F. auf alle noch nicht bestandskräftig veranlagten Fälle und damit grundsätzlich auch auf den im Streitfall angefochtenen Bescheid über Körperschaftsteuer 2010 erstreckt.

Sachverhalt: Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG

Folgender Sachverhalt liegt vor:

  • Die Klägerin, eine GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland, deren alleinige Gesellschafterin in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ansässig war (A-Inc.), ermittelte ihren Gewinn jeweils für ein vom 1.10. bis zum 30.9. laufendes Wirtschaftsjahr.
  • Sie war im Zeitraum Dezember 2008 bis 31.8.2015 Alleingesellschafterin der inländischen B-GmbH. Am 2.3.2009 schloss die Klägerin als Organträgerin mit der B-GmbH als Organgesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Die B-GmbH war die einzige Organgesellschaft der Klägerin.
  • Unter Anwendung der sogenannten check-the-box-election war die Klägerin im Streitjahr für Zwecke der US-amerikanischen Besteuerung der A-Inc. eine "disregarded entity". Dies bedeutet, dass sie nicht als eigenständiges Steuersubjekt behandelt wurde, sondern wie eine Betriebsstätte ihrer Alleingesellschafterin beziehungsweise deren Gesellschaftern im A-Konzern. In der Folge wurden sowohl positive als auch negative Einkünfte der Klägerin nach den Besteuerungsgrundsätzen der USA ermittelt und im Rahmen der Besteuerung der Alleingesellschafterin und deren Gesellschafter in den USA berücksichtigt.
  • Das damals zuständige Finanzamt (FA X) setzte für die Klägerin die Körperschaftsteuer für 2010 und den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 zunächst unter Berücksichtigung des ihr als Organträgerin zugerechneten negativen Einkommens der B-GmbH fest. Infolge dieser Zurechnung ergaben sich bei der Klägerin ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte und ein negativer Gewerbeertrag vor Verlustabzug.
  • Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Erkenntnis, dass die Klägerin nach US-amerikanischem Steuerrecht in den Jahren 2010 bis 2012 umgerechnet folgende Betriebsergebnisse erzielt habe:

    2010

    2011

    2012

    ./. 2.365.575 EUR

    1.564.649 EUR

    4.109.310 EUR


  • Da der im Jahr 2010 erzielte Verlust bei der Besteuerung des A-Konzerns in den USA in Höhe von ./. 2.365.575 EUR berücksichtigt worden sei, müssten die Einkünfte der Klägerin aus dem Gewerbebetrieb nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. um diesen Betrag erhöht werden. Die zeitliche Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die noch nicht bestandskräftigen Bescheide des Streitjahrs ergebe sich aus § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG n.F.
  • Das FA X schloss sich dieser Rechtsauffassung an und änderte am 10.7.2017 die Bescheide der Klägerin über Körperschaftsteuer für 2010 und über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2010 sowie am 7.7.2017 die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts zum 31.12.2010 entsprechend. Einsprüche der Klägerin wurden vom inzwischen zuständig gewordenen FA zurückgewiesen.

Das FG gab der gegen die Änderungsbescheide über Körperschaftsteuer für 2010 und Gewerbesteuermessbetrag für 2010 gerichteten Klage statt. Im Übrigen wies es die Klage als unzulässig ab. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. seien zwar grundsätzlich erfüllt. Der zeitliche Anwendungsbereich dieser Regelung nach § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG n.F. sei aber verfassungskonform einzuschränken, soweit davon – wie im Streitfall – noch nicht bestandskräftige Bescheide für Veranlagungszeiträume vor 2013 solcher Steuerpflichtiger betroffen seien, die in diesem Zeitraum sowohl ihren Sitz als auch ihre Geschäftsleitung im Inland gehabt hätten und damit nicht von der begünstigenden Änderung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KStG n.F. erfasst seien.

Entscheidung: Keine Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs

Die Revision des FA ist begründet. Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das FG hat rechtsfehlerhaft dahin erkannt, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. auf die streitgegenständlichen Bescheide zeitlich nicht anwendbar sei. Die Sache ist nicht spruchreif, da anhand der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilt werden kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. erfüllt sind. Aus diesem Grund scheidet zum gegenwärtigen Stand des Verfahrens auch eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG aus.

Die Richter führen hierzu u.a. aus:

  • § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG i.d.F. vom 20.2.2013 ist persönlich auf jeden Organträger anwendbar und nicht lediglich auf solche, die sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in einem ausländischen Staat ansässig sind.
  • § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG i.d.F. vom 20.2.2013 gehört zu den von § 7 Satz 1 des GewStG in Bezug genommenen Gewinnermittlungsvorschriften; die Vorschrift ist daher auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags zu berücksichtigen.
  • Eine nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG i.d.F. vom 20.2.2013 erforderliche Berücksichtigung von negativen Einkünften des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der Besteuerung im ausländischen Staat liegt nur insoweit vor, als eine am Ertrag orientierte ausländische Steuer unter Einbeziehung sämtlicher Einkünfte, die aus der gleichen Quelle stammen, bei periodenübergreifender Betrachtung endgültig niedriger festgesetzt wurde als ohne Berücksichtigung dieser Einkunftsquelle.
  • Das FG hat rechtsfehlerhaft dahin erkannt, dass § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG n.F. eine verdeckte Regelungslücke zur zeitlichen Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. enthält und die Vorschrift für Veranlagungszeiträume vor 2013 aus verfassungsrechtlichen Gründen entgegen ihrem Wortlaut nicht auf solche Organgesellschaften anwendbar sei, deren Sitz und Geschäftsleitung im Inland liegen.
  • Nach diesen Maßstäben ist § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. für das Streitjahr anwendbar. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG n.F. scheidet aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift und dem mit diesem Wortlaut in Einklang stehenden gesetzgeberischen Willen aus.

Praxishinweis: Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 ist § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. durch Art. 18 Nr. 3 des Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) vom 27.3.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 108) insgesamt gestrichen worden (Rn. 14 des BFH-Urteils). Begründet wurde dies damit, dass aufgrund der Einführung des § 4k Abs. 4 EStG, der ein allgemeines Abzugsverbot für doppelt berücksichtigte Aufwendungen enthält, kein Bedarf für eine zusätzliche Sonderregelung für Organschaften besteht (Bericht des Finanzausschusses v. 16.11.2023, BT-Drucks. 20/9396, S. 30).

BFH, Urteil v. 16.7.2025, I R 20/22; veröffentlicht am 11.12.2025

Alle am 11.12.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen



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