Einkommensteuerpflicht eines Stipendiums

Hintergrund: Gastarzt in Weiterbildung zum Facharzt
Die Ärztin A war in 2014 wie eine Assistenzärztin an einer deutschen Klinik als sog. Gastärztin zur Facharztweiterbildung tätig. Sie hatte zuvor ein Medizinstudium in Libyen abgeschlossen. Die Klinik zahlte ihr kein Entgelt. Von der Libyschen Botschaft erhielt sie ein monatliches Stipendium. Die Botschaft bescheinigte, A werde nach Beendigung ihrer Studienzeit nach Libyen zurückkehren.
Das FA besteuerte das Stipendium als sonstige Einkünfte i.S. von § 22 Nr. 1 (wiederkehrende Bezüge) sowie Nr. 3 (sonstige Leistungen) EStG.
Das FG gab der Klage statt. Es handele sich um gemäß § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG freiwillig begründete Unterhaltszahlungen des libyschen Staates.
Entscheidung: Gegenleistung für die Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung
Der BFH bejahte steuerbare Bezüge, wenn die Stipendiumsleistungen die fehlende Entlohnung seitens der Klinik ausgleichen sollen.
Keine Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit
Obwohl A wie eine Assistenzärztin in der Klinik arbeitete, ist sie nicht als Arbeitnehmerin einzuordnen. Denn die Zahlungen der Botschaft stellen kein Entgelt "für" eine Leistung der A gegenüber der Klinik und somit keinen Arbeitslohn von dritter Seite dar. Das Stipendium wurde in erster Linie aus eigenwirtschaftlichem Interesse des Staates Libyen (Stärkung des dortigen Gesundheitssystems) und nicht im Interesse der Klinik (Entlastung des Klinikbetriebs) gewährt.
Wiederkehrende Bezüge i.S.v. § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG
Für die Steuerbarkeit ist nicht allein die wiederkehrende äußere Form der Bezüge entscheidend. Der Wortlaut wird teleologisch dahin reduziert, dass über den wiederkehrenden Zufluss hinaus ein Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erzielt wird. Deshalb entfällt die Besteuerung z.B. bei reinen Schadensersatzrenten oder beim Ausgleich wegfallender Unterhaltsleistungen. Umgekehrt setzt die Besteuerung ein, wenn die Leistungen wegfallende steuerpflichtige Einkünfte ersetzen sollen (BFH v. 26.11.2008, X R 31/07, BStBl II 2009, 651).
Unterschiedliche Auffassungen zur Besteuerung von Stipendien
Die Steuerbarkeit wird nicht einheitlich beurteilt:
- Der BFH hat sich ausdrücklich für die Steuerbarkeit ausgesprochen, z.B. für die Studienbeihilfe für eine wissenschaftliche Spezialausbildung (BFH v. 27.11.1959, VI 172/59 U, BStBl III 1960, 65) oder für Stipendien in Zusammenhang mit einer (gegenüber § 22 Nr. 1 EStG vorrangigen) Einkunftsart (BFH v. 24.8.1973, VI R 100/71, BStBl II 1973, 819).
- Die Finanzverwaltung geht von steuerbaren Bezügen aus, wenn diese auf einem einheitlichen Entschluss oder einheitlichen Rechtsgrund beruhen und mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederkehren (R 22.1 Abs. 1 Sätze 2 ff. EStR).
- Dagegen spricht sich das Schrifttum einhellig gegen die Steuerbarkeit von Stipendien aus. Im Wesentlichen wird angeführt, es fehle an einem Leistungsaustausch (Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 39. Aufl., § 22 Rz 1, 51).
Der BFH vertritt grundsätzlich die Steuerpflicht von Stipendien
Zum einen dienen Stipendien regelmäßig dazu, den Empfänger bei einem Forschung- oder Ausbildungsvorhaben zu unterstützen. Das steigert die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Stipendiaten. Zum anderen belegt der enge Zusammenhang zwischen § 12 Nr. 2 und § 22 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EStG, dass für die Ausnahme von der Steuerbarkeit erforderlich ist, dass der Empfänger für die ihm gewährten Leistungen keine Gegenleistung zu erbringen hat.
Arbeit in der Facharztausbildung als Gegenleistung
Der BFH geht davon aus, dass eine etwaige Rückkehr- oder Rückzahlungspflicht keine Gegenleistung für das Stipendium darstellt. Auch die weitere Erwägung, die geförderte Facharztweiterbildung bezwecke in erster Linie den Aufbau des Gesundheitssystems in Libyen, sieht der BFH als nachvollziehbar an. Allerdings wurde im Verfahren bisher nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Facharztweiterbildung in Deutschland im Rahmen einer vergüteten ärztlichen Berufstätigkeit erfolgt. Die Stipendienleistungen an A waren an die Erfüllung dieser im Rahmen der Fortbildung zu erbringenden Dienstleistung in der Klinik gebunden und sollten die fehlende Entlohnung seitens der Klinik ausgleichen. Damit stellt sich das Stipendium – selbst unter Berücksichtigung eines vom Geber weitergehend verfolgten Zwecks – aus Sicht des Stipendiaten (zumindest auch) als Gegenleistung für seine im Rahmen der Fortbildung erbrachte Berufstätigkeit dar. Die Gegenleistung kann anstatt dem Stipendiengeber auch einem Dritten (Klinik) gegenüber erbracht werden. Ein kausales Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung genügt.
Möglicherweise Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 44 EStG
Hiervon ausgehend verwies der BFH die Sache an das FG zurück. Das FG hat bislang keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem rechtlichen Verhältnis A zu der Klinik stand. Sollte sich ergeben, dass A für das Stipendium eine kausale Gegenleistung erbracht hat und damit die Steuerbarkeit gegeben wäre, hätte das FG die Frage der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. Nr. 44 EStG (Stipendien aus öffentlichen Mitteln oder von zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtungen) zu prüfen. Die Befreiung nach § 3 Nr. 11 EStG kommt nicht in Betracht, da A sich nicht in einer Berufsausbildung, sondern in einer Weiterbildung befand.
Hinweis: Keine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 44 EStG bei bestimmter Arbeitnehmertätigkeit
Die Entscheidung gilt nicht nur für Gaststipendiaten, sondern allgemein für Studienzuschüsse. Der BFH ergänzt für den Fall, dass A weisungsgebunden in einem Dienstverhältnis zu der Klinik stand, dass dann die Voraussetzungen von § 3 Nr. 44 Satz 3 Buchst. b EStG nicht erfüllt wären. Zwar wäre A mangels Entlohnung nicht als Arbeitnehmerin i.S. von § 1 Abs. 1 LStDV zu qualifizieren, aber ihre Leistungen wären wohl als "bestimmte Arbeitnehmertätigkeit" anzusehen.
BFH Urteil vom 08.07.2020 - X R 6/19 (veröffentlicht am 10.12.2020)
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