BFH bestätigt neues Reisekostenrecht
Hintergrund: Polizeibeamter im Außendienst
Der Polizeibeamte P fuhr arbeitstäglich zunächst zu seiner Dienststelle (Polizeiinspektion) und trat von dort aus seinen Einsatz- und Streifendienst an. Die Tätigkeiten in der Dienststelle beschränkten sich im Wesentlichen auf die Vor- und Nachbereitung der Außeneinsätze (Einsatzbesprechungen, Schreibarbeiten usw.). P machte für das Streitjahr 2015 die Kosten seiner Fahrten zwischen Wohnung und Dienststelle nach Reisekostengrundsätzen geltend und beantragte die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen wegen mehr als achtstündiger Auswärtstätigkeit. Er trug vor, er sei schwerpunktmäßig außerhalb der Dienststelle tätig. Das FA sah die Polizeiinspektion als erste Tätigkeitsstätte an und berücksichtigte die Fahrtkosten lediglich mit der Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungs-km). Den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen lehnte es ab, da P die Abwesenheitszeiten nicht belegt hatte. Das FG folgte dem FA und wies die Klage ab.
Entscheidung: Die Polizeiinspektion ist erste Tätigkeitsstätte
Mit dem ab 2014 geltenden neuen Reisekostenrecht ist der in § 9 Abs. 4 Satz 1 definierte Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" an die Stelle des bisherigen Begriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte" getreten (Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts v. 20.2.2013, BGBl 2013, 285). Erste Tätigkeitsstätte ist danach die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch die arbeitsrechtlichen Festlegungen und Absprachen bestimmt. Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte zugeordnet, kommt es – entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage – auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht mehr an.
Nach den Regelbeispielen in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG ist von einer dauerhaften Zuordnung auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über 48 Monate hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine eindeutige Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte, ist nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG eine erste Tätigkeitsstätte die Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll. Hiervon ausgehend war die Polizeiinspektion erste Tätigkeitsstätte des P. Er war dieser Dienststelle auf Dauer zugeordnet und er hatte dort auch polizeiliche Aufgaben (Besprechungen, Protokolle usw.) zu erledigen.
Die Entfernungspauschale verstößt nicht gegen das Nettoprinzip
Die Abgeltung der Fahrtkosten mit der Entfernungspauschale begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip vor. Der Gesetzgeber hat das ihm insoweit eingeräumte Regelungsermessen nicht überschritten. Die eingeschränkte Berücksichtigung der Aufwendungen für die immer wiederkehrenden Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte stellen eine sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar (BFH v. 15.11.2016, VI R 4/15, BStBl II 2017, 228). Denn es kann generalisierend und typisierend davon ausgegangen werden, dass sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so seine Wegekosten mindern kann.
Verpflegungsmehraufwand nur bei über achtstündiger Abwesenheit von Wohnung und erster Tätigkeitsstätte
Da P nicht nachgewiesen hat, dass er an den fraglichen Tagen mehr als 8 Stunden von der Wohnung und der Polizeiinspektion als erster Tätigkeitsstätte abwesend war, kommt ein Ansatz der beantragten Verpflegungsmehraufwendungen nicht in Betracht. Eine Abwesenheit von mehr als 8 Stunden nur von der Wohnung genügt nicht.
Hinweis: Großflächiges Gebiet als erste Tätigkeitsstäte
In 2 Parallelfällen hat der BFH entsprechend entschieden. Nach dem Urteil vom 11.04.2019 - VI R 40/16, hat fliegendes Personal (Piloten, Flugbegleiter), das arbeitsrechtlich einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist und auf dem Flughafengelände zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringt (Flugvorbereitung und -nachbereitung) dort seine erste Tätigkeitsstätte. Der BFH weist darauf hin, dass auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof, Flughafen) als großräumige erste Tätigkeitsstätte in Betracht kommt. Ebenso hat der BFH die Fahrtkosten einer Luftsicherheitskontrollkraft beurteilt, die auf dem gesamten Flughafengelände eingesetzt war (Urteil vom 11.04.2019 - VI R 12/17). Mit zwei weiteren Urteilen vom 11.04.2019 - VI R 36/16, und vom 10.04.2019 - VI R 6/17, hat der BFH für befristete Arbeitsverhältnisse entschieden, dass eine erste Tätigkeitsstätte nicht (mehr) vorliegt, wenn der Arbeitnehmer während der Befristung einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet wird. Von da an sind wieder die Dienstreisegrundsätze anwendbar.
Sachgerechte Erhöhung der Entfernungspauschale geboten
Die Begrenzung der Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte auf die Entfernungspauschale mag aus verfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf das Regelungsermessen des Gesetzgebers nicht angreifbar sein. Gleichwohl erscheint es angesichts gestiegener Mobilitätskosten sachlich angebracht, den Betrag angemessen zu erhöhen, zumal ein Umzug in die Nähe des Arbeitsplatzes nicht zuletzt aus finanziellen Gründen häufig erschwert ist.
BFH Urteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17 (veröffentlicht am 18.07.2019)
-
Abzug von Fahrtkosten zur Kinderbetreuung
1.108
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
845
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
747
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
599
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
524
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
508
-
Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätten bei Selbstständigen
4751
-
5. Gewinnermittlung
472
-
Ortsübliche Vermietungszeit für eine Ferienwohnung
471
-
Selbst getragene Kraftstoffkosten bei der 1 %-Regelung
456
-
Ausbildung zum Rettungshelfer als erstmalige Berufsausbildung
09.09.2024
-
Zur Steuerpflicht von Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse
09.09.2024
-
Übergegangener Gewerbeverlust bei Anwachsung auf eine Kapitalgesellschaft
09.09.2024
-
Beiladung wegen Einsicht in Steuerakten
05.09.2024
-
Alle am 5.9.2024 veröffentlichten Entscheidungen
05.09.2024
-
Grundstücksbewertung im Vergleichswertverfahren
04.09.2024
-
Schenkweise Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Gebäude
03.09.2024
-
Überlassung gefährlicher Abfälle zur Entsorgung kein tauschähnlicher Umsatz mit Baraufgabe
02.09.2024
-
Berücksichtigung von Beteiligungsverlusten bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG
02.09.2024
-
Zur Behandlung von Währungskursverlusten bei Gesellschafterdarlehen
02.09.2024