Wahl zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung auch bei Betriebsaufgabe
Hintergrund: Betriebsaufgabe mit Veräußerung gegen wiederkehrende Bezüge
Die A stellte ihren Betrieb (Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich) Ende 2013 ein. Einen Großteil der Wirtschaftsgüter veräußerte sie an eine GmbH gegen die Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente ab Januar 2014. Von der Veräußerung ausgenommen war der bis dahin zum Betriebsvermögen gehörende Grundstücksteil mit aufstehenden Gebäuden und fest installierten Betriebsvorrichtungen sowie weitere nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehörende Wirtschaftsgüter (PKW usw.). Als Übertragungsstichtag wurde der 02.01.2014 vereinbart. An diesem Tag übergab die A die entsprechenden Wirtschaftsgüter an die GmbH und überführte die übrigen Wirtschaftsgüter in ihr Privatvermögen.
Das FA berücksichtigte im ESt-Bescheid 2014 den Aufgabegewinn in voller Höhe und unterwarf ihn der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG. A wandte ein, es bestehe ein Wahlrecht auf Anwendung der Zuflussbesteuerung.
Das FG wies die entsprechende Klage der A ab. Da sie das Betriebsgrundstück als wesentliche Betriebsgrundlage in ihr Privatvermögen überführt habe, liege eine Betriebsaufgabe vor. Anders als im Fall der Veräußerung des Betriebs verblieben in einem solchen Fall dem Steuerpflichtigen ausreichende Mittel zur Zahlung der ESt, die aufgrund der Sofortbesteuerung des Aufgabegewinns anfalle.
Entscheidung: Wahl der Zuflussbesteuerung auch im Fall der Betriebsaufgabe
Die Revision der A war erfolgreich. Die A konnte das Wahlrecht ausüben, den Betriebsaufgabegewinn, soweit er auf den Barwert der Leibrente entfällt, erst bei einem das Kapitalkonto und die Aufgabekosten übersteigenden Zufluss der Rentenzahlungen zu realisieren und die Rentenzahlungen insoweit als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu versteuern.
Betriebsaufgabe in 2014
Für die Gewinnverwirklichung im Rahmen einer Betriebsaufgabe ist nicht deren Beginn, sondern der Zeitpunkt des einzelnen Aufgabeteilakts relevant. Denn der Aufgabegewinn kann in verschiedenen Veranlagungszeiträumen entstehen (BFH v. 2.9.2008, X R 32/05, BStBl II 2009, S. 634). Demnach liegt die Betriebsaufgabe hier in 2014. Denn A hat die zu ihrem Geschäftsbetrieb gehörenden Wirtschaftsgüter erst zum 2.1.2014 an die GmbH veräußert und auch erst in diesem Zeitpunkt die übrigen Wirtschaftsgüter (insbesondere das Betriebsgrundstück als wesentliche Betriebsgrundlage) in ihr Privatvermögen überführt.
Wahlrecht bei Betriebsveräußerung
Veräußert ein Steuerpflichtiger seinen Betrieb gegen wiederkehrende Bezüge (insbesondere gegen eine Leibrente), gewähren Rechtsprechung und Finanzverwaltung (R 16 Abs. 11 EStR) das Wahlrecht zwischen Versteuerung eines begünstigten Veräußerungsgewinns (§§ 16, 34 EStG) im Veräußerungszeitpunkt oder Versteuerung nicht begünstigter nachträglicher gewerblicher Einkünfte bei Zufluss (§ 15 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG). Die Sofortbesteuerung ist zwar der gesetzliche Normalfall. Die Zuflussbesteuerung stellt aber "eine auf Billigkeitserwägungen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhende Ausnahmeregelung" dar. Im Vordergrund dieser Rechtsprechung steht die Ungewissheit der Rentenlaufzeit und damit das Risiko, dass im Fall eines frühen Todes des Veräußerers bei der Sofortbesteuerung mehr versteuert werden muss als dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen ist (BFH v. 17.7.2013, X R 40/10, BStBl II 2013, S. 883, Rz. 61). Die Zuflussbesteuerung bewirkt die zeitliche Streckung der anfallenden Steuerzahlungen, die sich der Steuerpflichtige durch den Verlust der Begünstigungen des § 16 Abs. 4 EStG (Freibetrag) und des § 34 EStG (ermäßigter Steuersatz) quasi "erkauft" (BFH v. 17.7.2013, X R 40/10, BStBl II 2013, S. 883, Rz. 63).
Vergleichbare Interessenlage bei Betriebsaufgabe
Nach der Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Betriebsaufgabe ist der Veräußerer ebenso wie bei einer Betriebsveräußerung nicht mehr Inhaber des Betriebs. Wie bei einer Betriebsveräußerung liegt es in seinem Interesse, für die Veräußerung im Rahmen einer Betriebsaufgabe nicht mehr Steuer zahlen zu müssen, als er bei tatsächlich zugeflossenen Rentenzahlungen müsste. Dieses Risiko ist auch bei einer Betriebsaufgabe vorhanden. Stirbt der (frühere) Betriebsinhaber vor Erreichen seiner statistischen Lebenserwartung, hätte er einen Gewinn zu versteuern, der nachträglich nicht korrigiert werden kann, da kein rückwirkendes Ereignis gegeben ist, sondern sich ein vertragsimmanentes Wagnis konkretisiert (BFH v. 14.5.2002, VIII R 8/01, BStBl II 2002, S. 532).
Gleichbehandlung von Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe
Aufgrund des Wagnischarakters und im Hinblick auf den Versorgungscharakter derartiger Bezüge erscheint eine Gleichbehandlung von Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe gegen wiederkehrende Bezüge zwingend. Dies gilt umso mehr, als im Fall der Betriebsveräußerung das Wahlrecht, die wiederkehrenden Bezüge erst bei Zufluss zu versteuern, schon dann eröffnet ist, wenn nur ein Teil des Kaufpreises in wiederkehrenden Bezügen und der andere Teil als Einmalzahlung erbracht wird (BFH v. 20.12.1988, VIII R 110/82, BFH/NV 1989, S. 630, zur Betriebsveräußerung gegen Einmalzahlung und wiederkehrenden Bezügen).
Hinweis: Teleologische Reduktion
Wie im Fall der Betriebsveräußerung kann das Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung auch bei der Betriebsaufgabe im Wege einer teleologischen Reduktion der §§ 16, 34 EStG im Verhältnis zu § 24 Nr. 2 EStG hergeleitet werden. Bislang hatte der BFH nur entschieden, dass ein solches Wahlrecht bei der Veräußerung eines einzelnen Wirtschaftsguts gegen Leibrente aus einem fortbestehenden Betrieb nicht zu gewähren ist (BFH v. 20.1.1971, I R 147/69, BStBl II 1971, S. 302). Hiervon unterscheidet sich jedoch eine Betriebsaufgabe, bei der Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert werden. Denn ebenso wie nach der Betriebsveräußerung im Ganzen ist der Veräußerer nach einer Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Betriebsaufgabe nicht mehr Inhaber des Betriebs.
BFH Urteil vom 29.06.2022 - X R 6/20 (veröffentlicht am 08.12.2022)
-
Vorsteuerabzug bei Betriebsveranstaltungen
407
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
391
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
355
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
350
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
293
-
Anschrift in Rechnungen
266
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
220
-
Teil 1 - Grundsätze
217
-
Korrektur des IAB-Abzugs nach § 7g Abs. 3 EStG
210
-
Entgeltlicher Verzicht auf Nießbrauch bei einem vermieteten Grundstück
2051
-
Unentgeltliche Übertragung eines Teil-Mitunternehmeranteils
23.12.2025
-
Rückgängigmachung eines nicht ordnungsgemäß angezeigten Erwerbsvorgangs
23.12.2025
-
Einbringung von Anteilen an einer grundbesitzenden PersG in erst kurz zuvor gegründete KapG
22.12.2025
-
Besteuerung von Zahlungen aus einem US-amerikanischen 401(k) pension plan
22.12.2025
-
Schadenersatz wegen Datenschutzverstößen einer Finanzbehörde
22.12.2025
-
Grunderwerbsteuer bei Verlängerung der Beteiligungskette
19.12.2025
-
Grunderwerbsteuer bei Verkürzung der Beteiligungskette
19.12.2025
-
Alle am 18.12.2025 veröffentlichten Entscheidungen
18.12.2025
-
Abgeltungszahlungen für den Urlaubsanspruch
17.12.2025
-
Anwendungsbereich des § 64 EStG
17.12.2025