Beispiel zu den Verjährungsfristen Selbstanzeige

Das vom Bundestag verabschiedete Gesetz sieht - im Gegensatz zum Referentenentwurf des BMF - keine zehnjährige (strafrechtliche) Verfolgungsverjährungsfrist in allen Fällen der Steuerhinterziehung mehr vor.

Damit bleibt es bei der fünfjährigen Verjährungsfrist bei einer einfachen Steuerhinterziehung. Aber: Die Berichtigungspflicht erstreckt sich auf zehn Jahre ab Abgabe der Selbstanzeige. In § 371 I 2 AO (neu) heißt es:

"Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen."

Das steuerartenspezifische Vollständigkeitsgebot und der Berichtigungszusammenhang bleiben: keine Lebensbeichte und Komplettberichtigung aller Steuerarten.

Keine Entlastung der Finanzämter

Auch mit der Neuregelung ist die Berichtigungspflicht nicht an die strafrechtliche Verjährung wie bisher gekoppelt – aber auch nicht an die steuerliche Verjährung. Dass damit die Finanzämter entlastet würden (so aber die Begründung zum Gesetzentwurf), ist nicht ersichtlich, Denn die Finanzämter  müssen auch die steuerlich unverjährten Zeiträume ermitteln. 

Dreiklang der Prüfung

Damit gibt es bei der Verjährung nun einen Dreiklang:

  1. Was ist strafrechtlich verfolgungsverjährt (in der Regel 5 Jahre, aber Verjährungsbeginn bei der Einkommensteuer erst mit Zugang des ersten Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr)?
  2. Berechnung der Zeiträume für die Selbstanzeige: Was ist steuerlich noch nicht verjährt?
  3. Wäre nicht der 10-jährige Berichtigungszeitraum ausnahmsweise länger (was aber wohl nie der Fall sein dürfte, da die steuerliche Verjährung 10 Jahre plus Anlaufhemmung beträgt, §§ 169 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. 170 AO, so dass unklar ist, was mit der mindestens 10-jährigen Berichtigungspflicht gemeint ist)? Sind das 10 Kalenderjahre ausgehend vom letzten erklärten Kalenderjahr oder einfach nur kalendarisch vom letzten Kalenderjahr? Welchen Sinn die Neueinführung eines 10-jährigen Berichtigungszeitraums ohne Koppelung an steuerliche Festsetzungsverjährungen hat, ist unklar.

Sinnvoller wäre es, den 10-Jahres-Mindestzeitraum entfallen zu lassen und eine Berichtigungspflicht für den steuerrechtlich unverjährten Zeitraum einzufordern. Dies ist wohl auch das Bestreben, das die Gesetzesbegründung vor Augen hat: keine weitere Ermittlungen und Schätzungen durch das Finanzamt, sondern eine umfassende Berichtigungspflicht durch den Steuerpflichtigen.

Umsetzung in der Praxis

Eine ganze andere Frage ist, wie dieses Postulat in der Praxis erfüllbar ist: Was ist mit Bankunterlagen, die nicht mehr besorgbar sind, weil die Bank die Unterlagen vernichtete und vernichten durfte? Da diese Berichtigungspflicht heute schon steuerlich (aber nicht steuerstrafrechtlich) besteht, hilft man sich hier in der Regel so, dass man die Erträge aus dem letzten bekannten Jahr einfach für das fehlende Jahr schätzt. Also eigentlich bislang kein Problem in der Praxis. Es ist heute schon gängige Praxis die steuerliche Lösung in der Schätzung vorzunehmen. Wenn aber nun eine steuerstrafrechtliche Berichtigungspflicht für diesen steuerlich unverjährten (oder nach der Neuregelung: 10-Jahres-Zeitraum) Voraussetzung ist, ist unklar, wenn keine Unterlagen mehr vorhanden sind, wie dann hier der Fall gelöst werden soll:

  • Ist diese Selbstanzeige unwirksam, weil die Bank für die ältesten Jahre die Unterlagen vernichtet hat?
  • Ist künftig dann die Wirksamkeit von der Vernichtung der Unterlagen bei Banken abhängig?

Wenn man aber eine Materiallieferung bei der Selbstanzeige so versteht, dass Unterlagen (=Material) und nicht nur Informationen (=Zahlen) geliefert werden müssen, könnte manche Selbstanzeige nach der Neuregelung verunglücken, wenn einfach für die ältesten Jahre kein Material (=Belege), sondern nur noch (Schätz-)Zahlen geliefert werden können.

Schwierigkeiten im gewerblichen Bereich

Ganz schwierig wird das Modell für den "normalen" Hinterzieher aus dem gewerblichen Bereich, z. B. den berühmten BMWs, also dem Bäcker, Metzger, Gastwirt. Dieser muss nun auch zwingend den steuerlich unverjährten Zeitraum zurück berichtigen und wenn es unvollständig war, gibt es eine Wiederaufnahmemöglichkeit, § 398a Abs. 3 AO (neu). Nach der Neuregelung ist bei einer Hinterziehung großen Ausmaßes eine steuerstrafrechtliche 10-jährige Verjährung gegeben, § 376 Abs. 1 AO, also bei Hinterziehung ab 50.000 EUR Steuern pro Veranlagungszeitraum und Steuerart. In diesem Fall müsste für den steuerstrafrechtlichen unverjährten Zeitraum berichtigt werden. In Fällen unter 50.000 EUR Hinterziehungsbetrag wäre zwar die strafrechtliche Verfolgungsverjährung nur 5 Jahre, aber es müsste dann nach § 371 Abs. 1 AO (neu) mindestens zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten 10 Jahre berichtigt werden.

Steuerlich würde aber die verlängerte Festsetzungsverjährung nach §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 AO  je nach Anlaufhemmung eine Korrektur für bis zu 11-13 Jahre zurück ermöglichen bzw. die Finanzverwaltung zu entsprechenden Ermittlungen und Schätzungen verpflichten, was gerade nach der Gesetzesbegründung vermieden werden sollte.

Keine Arbeitserleichterung

Bemerkenswert ist weiter, dass die Erhöhung der Berichtigungspflicht auf mindestens 10 Jahre mit der Arbeitserleichterung der Finanzverwaltung begründet wird. Dieses Argument lässt sich nicht verstehen. Das Finanzamt muss sowieso steuerlich unverjährte Zeiträume auch nach dem Gesetzesentwurf ermitteln, da kein Gleichlauf zwischen steuerlicher Festsetzungsverjährung und dem Umfang der Berichtigungspflicht bei der Selbstanzeige nach § 371 AO geschaffen wurde.

Zudem müssen die Finanzbeamten auch die Vollständigkeit der Selbstanzeige prüfen. Dies bedeutet etwa in den Bankenverfahren die zahlreichen Bankbelege auswerten und die Angaben des Steuerpflichtigen auf Vollständigkeit und Richtigkeit prüfen. Wenn aber ein Fahndungsprüfer z. B. 5 Jahre zurück prüft, hat er ein Bild von dem Anlageverhalten des Steuerpflichtigen, so dass er leicht retrograd auch die weiter zurückliegenden Jahre schätzen kann. Ein ernsthafter Mehraufwand für den Fahnder ist das nicht und rechtfertigt nicht die Verlängerung der Erklärungspflicht auf 10 Jahre als Arbeitsvereinfachungsgrund für die Verwaltung.

Selbstanzeige ohne Belege?

Fraglich ist, ob die Selbstanzeige eine Materiallieferung im Sinne von Belegen oder nur eine Zahlenlieferung im Sinne von Umsätzen, Einnahmen etc. erfordert. Dies klärt dies Gesetzesänderung nicht. Geht man davon aus, dass die Selbstanzeige nicht mehr erfordert, als die Steuererklärung, also verdichtete Zahlen, so ist die Selbstanzeige auch weiterhin ohne Belege etwa in Form einer Schätzung möglich.