Haftung für Lieferungen über einen Online-Marktplatz

Im letzten Teil unserer Serie zum MwSt-Digitalpaket geht es um die Haftungsnorm des § 25e UStG, die Deutschland schon 2019 - und damit vor dem Inkrafttreten EU-einheitlicher Regelungen - eingeführt hatte. Da durch den neuen § 3 Abs. 3a UStG die Plattformbetreiber fiktiv in die Lieferkette einbezogen werden, läuft die Haftungsnorm in vielen Fällen ins Leere und verliert somit an Bedeutung.

Hintergrund

Nach § 25e Abs. 1 UStG haftet der Betreiber eines elektronischen Marktplatzes (bezeichnet als elektronische Schnittstelle) für die nicht entrichtete Umsatzsteuer aus der Lieferung eines Unternehmers, die auf dem von dem Betreiber bereitgestellten Marktplatz rechtlich begründet worden ist. Die Grundvoraussetzungen der Haftung sind:

  • Es hat die Lieferung eines Unternehmers stattgefunden (die Haftung gilt also nicht für sonstige Leistungen);
  • Die Lieferung wurde auf dem Marktplatz rechtlich begründet;
  • Die Lieferung ist in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig (eine nicht entrichtete USt, für die gehaftet werden soll, kann sich nur auf diese Tatbestände begründen);
  • Bei einem (auf dem Marktplatz) liefernden Unternehmer, der in einem EU- oder EWR-Staat ansässig ist: die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des liefernden Unternehmers war erfolglos oder ist aussichtslos (§ 25e Abs. 8 UStG i. V. m. § 219 Satz 1 AO)

Eine Haftung kommt nicht in Betracht in den Fällen, in denen der Betreiber einer elektronischen Schnittstelle selbst Schuldner der Umsatzsteuer ist (vgl. § 3 Abs. 3a UStG – fiktives Reihengeschäft).

Von der Haftung gibt es Ausnahmen und Rückausnahmen für den Fall, dass der (auf dem Marktplatz) liefernde Unternehmer als solcher registriert ist:

  • Ausnahme von der Haftung: Nachweis durch den Marktplatzbetreiber, dass der (auf dem Marktplatz) liefernde Unternehmer im Zeitpunkt der Lieferung über eine gültige, ihm nach § 27a UStG erteilte USt-IdNr. verfügt;
  • Erste Rückausnahme von der Haftung: bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Marktplatzbetreibers, dass der liefernde Unternehmer gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt, d.h. der liefernde Unternehmer seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht oder nicht im vollen Umfang nachkommt;
  • Zweite Rückausnahme von der Haftung: wenn das Finanzamt mitteilt, dass der liefernde Unternehmer gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt. Dann kommt die Haftung ab dem Zeitpunkt der Mitteilung in Betracht, sofern kein Ausschluss des Unternehmers vom Marktplatz innerhalb der vom Finanzamt gesetzten Frist erfolgt.

Von der Haftung gibt es weiterhin Ausnahmen und Rückausnahmen für den Fall, dass eine Privatperson als Lieferer auf dem Marktplatz registriert ist:

  • Ausnahme von der Haftung, wenn der Betreiber die Aufzeichnungspflichten nach § 22f Abs. 2 UStG erfüllt;
  • Erste Rückausnahme von der Haftung: bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Marktplatzbetreibers (nach Art, Menge oder Höhe der erzielten Umsätze), dass die Umsätze i. R. eines Unternehmens erbracht werden;
  • Zweite Rückausnahme von der Haftung: bei Mitteilung des Finanzamts, dass der Lieferer gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt. Dann kommt die Haftung ab dem Zeitpunkt der Mitteilung in Betracht, sofern kein Ausschluss des Lieferers vom Marktplatz innerhalb der vom Finanzamt gesetzten Frist erfolgt.

Mit der zum 1.1.2019 eingeführten Haftungsregelung und den damit verbundenen Aufzeichnungspflichten der Marktplatzbetreiber hatte der Gesetzgeber darauf reagiert, dass seit längerer Zeit vermehrt Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass es beim Handel mit Waren über das Internet verstärkt zu Umsatzsteuerhinterziehungen kommen kann. Unabhängig davon, dass die Fallkonstellationen bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer im Internethandel unterschiedlich sein können, konzentrierten sich die Anhaltspunkte insbesondere auf den Handel mit Waren aus Drittstaaten (insbesondere aus dem asiatischen Raum). In den entsprechenden Fällen erfolgt die Belieferung von im Inland ansässigen privaten Endverbrauchern durch in Drittstaaten ansässige Verkäufer, wobei sich die Ware vor dem Abschluss des Kaufvertrages bereits im Inland befindet und die Abwicklung des Geschäftes regelmäßig unter Einschaltung von sog. Fulfillment-Dienstleistern, die im Inland u.a. für die Lagerung und den Versand der Ware auf Weisung des im Drittland ansässigen Verkäufers handeln.

Es war festzustellen, dass die im Drittland ansässigen Unternehmer/Verkäufer häufig ihren im Inland bestehenden steuerlichen Pflichten nicht nachkamen und die auf im Inland erbrachte steuerbare und steuerpflichtige Umsätze aus den o.g. Verkäufen zu entrichtende Umsatzsteuer nicht an den Fiskus abführten.

Gemessen an den Beweggründen für die Haftungsregelung und entsprechend der Legaldefinitionen in § 25e Abs. 5 und 6 UStG sind Adressaten der Regelung in erster Linie große Internet-Marktplatzbetreiber. Die Website muss es ermöglichen, dass über diesen Marktplatz Umsätze ausgeführt werden. Das bedeutet, dass das für eine Lieferung i. S. d. § 3 UStG erforderliche Rechtsgeschäft auf dem elektronischen Marktplatz rechtlich begründet wird und auch über die Internet-Plattform ausgeführt wird. Somit dürften Betreiber von Websites, die die Voraussetzung nicht erfüllen, dass es einem Dritten, der nicht Betreiber des elektronischen Marktplatzes ist, ermöglicht wird, über diesen elektronischen Marktplatz Umsätze auszuführen, z.B. reine "Vermittlungs"-Plattformen, wie z.B. Gebrauchtfahrzeug-Seiten oder Kleinanzeigen-Seiten oder reine Preisvergleichsseiten regelmäßig nicht unter die Haftungsregelung fallen, soweit sie im Einzelfall nicht Verkäufe unmittelbar über die Plattform ermöglichen.

Anpassung der bisherigen Haftungsnorm

Nach dem neugefassten § 22f Abs. 1 Nr. 3 UStG besteht die Verpflichtung des Marktplatzbetreibers zur Aufzeichnung der dem liefernden Unternehmer vom BZSt nach § 27a UStG erteilten USt-IdNr., die im Zeitpunkt der Lieferung gültig sein muss. Dies gilt für alle auf dem Marktplatz des Betreibers tätigen Unternehmer unabhängig davon, ob der Unternehmer im Gemeinschafts- oder im Drittlandsgebiet ansässig ist. Die bisher bestehende Verpflichtung zum Vorhalten einer vom zuständigen Finanzamt erteilten Bescheinigung über die steuerliche Erfassung des liefernden Unternehmers ist damit nicht mehr erforderlich.

Nach dem neu eingefügten § 22f Abs. 3 UStG müssen Marktplatzbetreiber unter den in der Regelung bestimmten Voraussetzungen die in Art. 54c MwStSystRL-DVO aufgeführten Aufzeichnungen führen.

Nach dem neugefassten § 22f Abs. 4 Satz 1 UStG sind die vorzuhaltenden Aufzeichnungen vom Ende des Jahres an, in dem der Umsatz bewirkt wurde, 10 Jahre lang aufzubewahren und auf Anforderung des Finanzamtes elektronisch zu übermitteln.

Der neugefasste § 25e Abs. 1 UStG regelt, dass der Betreiber einer elektronischen Schnittstelle für die nicht entrichtete Steuer eines Unternehmers aus der Lieferung einer Ware, die er mittels seiner Schnittstelle unterstützt hat, haftet. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen der Betreiber einer elektronischen Schnittstelle Schuldner der Umsatzsteuer ist (vgl. § 3 Abs. 3a UStG – fiktives Reihengeschäft).

Nach dem neugefassten § 25e Abs. 2 Satz 1 UStG kann sich der Marktplatzbetreiber – vorbehaltlich der bestehenden Regelungen in § 25e Absatz 3 UStG – aus der Haftung für die nicht entrichtete Umsatzsteuer insoweit befreien, als er nachweist, dass der liefernde Unternehmer im Zeitpunkt der Lieferung über eine gültige, ihm nach § 27a UStG erteilte USt-IdNr. verfügt. Dies bedeutet, dass der Betreiber die ihm von dem bei ihm tätigen Unternehmer mitgeteilte USt-IdNr. nicht nur aufzeichnet (vgl. § 22f Abs. 1 Satz 1 UStG), sondern regelmäßig auch auf Gültigkeit zu prüfen hat (vgl. § 18e UStG).

Keine Haftung, wenn Marktplatzbetreiber selbst die Steuer für die Lieferung an den Endkunden schuldet

Die Haftung des Marktplatzbetreibers greift nicht in den Fällen, in denen der Betreiber selbst Schuldner der Umsatzsteuer ist (vgl. § 3 Abs. 3a UStG – fiktives Reihengeschäft). Ein Marktplatzbetreiber (MB) wird bei bestimmten Lieferungen über den Marktplatz fiktiv so gestellt, als ob er die Lieferung des auf dem Marktplatz tätigen Unternehmers (U) selbst erhalten und als ob er diese Lieferung selbst an den Kunden (K) des Unternehmers U ausgeführt hat. Es wird also ein Reihengeschäft U-MB-K fingiert.

Folgende Lieferungen werden von dieser Regelung erfasst:

  • Lieferungen, eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an einen Privatkunden;
  • Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR an einen Privatkunden oder einen in § 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG genannten Unternehmer, der weder die maßgebende Erwerbsschwelle überschreitet, noch auf ihre Anwendung verzichtet; im Fall der Beendigung der Beförderung oder Versendung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ist die von diesem Mitgliedstaat festgesetzte Erwerbsschwelle maßgebend (ausgenommen von diesen Fernverkäufen sind Lieferungen neuer Fahrzeuge und Montagelieferungen).

In allen vorgenannten Lieferfällen, die zu der Reihengeschäftsfiktion führen, entfällt eine etwaige Haftung des Marktplatzbetreibers (§ 25e UStG), weil der Marktplatzbetreiber umsatzsteuerlich (nicht zivilrechtlich) so gestellt wird, als habe er die Ware selbst an den Endkunden geliefert (Behandlung wie ein Eigenhändler). In allen anderen Lieferfällen kommt ggf. nach wie vor die Haftung nach § 25e UStG in Betracht.

Praxisbeispiele: Warenverkauf aus der Schweiz bis 150 EUR und aus den USA über 150 EUR

Der in der Schweiz ansässige Internet-Händler CH verkauft Waren über einen Online-Marktplatz des Betreibers B. Ab 2022 liefert CH, jeweils in Sachwerten bis 150 EUR, an Privatkunden DE in Deutschland von einem Lager in Zürich aus. B meldet die Waren in Deutschland zur Einfuhr an und nutzt den Import-One-Stop-Shop (IOSS).

Es liegt ein Reihengeschäft CH-B-DE vor (§ 3 Abs. 3a Sätze 1 und 2 UStG). Es handelt sich um einen Drittland-Fernverkauf (§ 3 Abs. 3a Satz 4 UStG). Die warenbewegte Lieferung ist die Lieferung B-DE (§ 3 Abs. 6b UStG). Der Ort dieser Lieferung ist in Deutschland (§ 3c Abs. 3 Satz 1 UStG). Die ruhende Lieferung ist die Lieferung CH-B. Der Ort dieser Lieferung ist Zürich (§ 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG). Die Einfuhr durch B in Deutschland ist steuerfrei nach § 5 Abs. 1 Nr. 7, da B den IOSS nach § 18k UStG nutzt. B ist Steuerschuldner für seine (fiktive) Lieferung an DE. Eine Haftung nach § 25e entfällt.

Der in den USA ansässige Internet-Händler US verkauft Waren über einen Online-Marktplatz des Betreibers B. Ab 2022 liefert US Waren, jeweils in Sachwerten über 150 EUR an Privatkunden DE in Deutschland von einem Lager in Minneapolis. US meldet die Waren in den Niederlanden zur Einfuhr an.

Es liegt kein Reihengeschäft US-B-DE vor, da der Warenwert der Lieferungen mehr als 150 EUR beträgt (§ 3 Abs. 3a Satz 2 UStG). Es handelt sich um einen Drittlands-Fernverkauf (§ 3c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 3 Abs. 3a Satz 4 UStG). Die warenbewegte Lieferung ist die Lieferung US-DE. Der Ort dieser Lieferung ist in Deutschland (§ 3c Abs. 3 Satz 2 UStG). Die Einfuhr durch US in den Niederlanden ist steuerpflichtig, weil der Warenwert über 150 EUR liegt und deshalb die Anwendung des IOSS (§ 18k UStG) nicht möglich ist. Somit erfolgt keine Steuerbefreiung analog § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG, Art. 143a MwStSystRL. B haftet ggf. nach § 25e UStG für die Umsatzsteuerschuld des US.

Tipps der Redaktion

Das BMF hat zwischenzeitlich sein Anwendungsschreiben zur Umsetzung der zweiten Stufe des MwSt-Digitalpakets veröffentlicht. Eine ausführliche Kommentierung finden Sie hier. Zu den Folgeänderungen für die Haftung der Betreiber elektronischer Marktplätze soll noch ein gesondertes Schreiben ergehen.

Im Online-Seminar "Fit für das Mehrwertsteuer-Digitalpaket: One-Stop-Shop, Fernverkauf und Einfuhrumsatzsteuer" am 12.5.2021 geben wir Ihnen neben einer Einführung in die Thematik des EU-Versanhandels/Fernverkaufs eine Übersicht über die Regelungen des EU-Mehrwertsteuer-Digitalpakets.

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