Reihengeschäftsfiktion bei Lieferungen über Online-Marktplätze

Im fünften Teil unserer Serie zum MwSt-Digitalpaket geht es um Lieferungen von Drittlandsunternehmern über Online-Marktplätze. Der Marktplatzbetreiber wird dabei ab 1.7.2021 umsatzsteuerlich so behandelt, als habe er die Lieferung selbst erhalten und dann seinerseits an den Endkunden ausgeführt (fiktives Reihengeschäft).

Anwendungsbereich der Reihengeschäftsfiktion

§ 3 Abs. 3a Satz 1 UStG regelt Lieferungen, bei denen ein Unternehmer mittels seiner elektronischen Schnittstelle die Lieferung eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an einen in § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG bezeichneten Empfänger unterstützt.

Ein Marktplatzbetreiber (B) wird somit fiktiv so gestellt, als ob er die Lieferung (des auf seinem Marktplatz tätigen Unternehmers (V) selbst erhalten und als ob er diese Lieferung selbst an den Kunden des Unternehmers (K) ausgeführt hat. Es wird also ein Reihengeschäft V-B-K fingiert.

Der Anwendungsbereich betrifft insoweit aber nur Lieferungen, die im Gemeinschaftsgebiet beginnen und enden, also sowohl rein innerstaatliche (z. B. inländische) als auch grenzüberschreitende Lieferungen innerhalb der EU. Außerdem sind nur Lieferungen betroffen, die von Drittlandsunternehmern (Unternehmer ohne Ansässigkeit, d. h. insbesondere auch ohne feste Niederlassung oder Betriebstätte in der EU) getätigt werden. Wird die Lieferung aber durch einen in der EU ansässigen Unternehmer erbracht, greift die Reihengeschäftsfiktion insoweit nicht.

§ 3 Abs. 3a Satz 2 UStG sieht eine entsprechende Regelung für Waren mit Herkunft aus dem Drittlandsgebiet (also ebenfalls die Fiktion eines Reihengeschäfts) in den Fällen vor, in denen der Marktplatzbetreiber den Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR unterstützt. Insoweit kommt es auf die Ansässigkeit des liefernden Unternehmers nicht an.

Begriffsdefinitionen

Dem Begriff der elektronischen Schnittstelle (mit dem ein Online-Marktplatz beschrieben wird) i. S. d. § 3 Abs. 3a Satz 1 und 2 UStG ist ein sehr weites Verständnis zugrunde zu legen, sodass in den Anwendungsbereich der Vorschriften nicht nur elektronische Marktplätze, Plattformen oder Portale fallen, sondern auch alle anderen vergleichbaren elektronischen Mittel. Eingeschränkt wird der Anwendungsbereich der Vorschrift durch die Definition des Unterstützens, die in Art. 5b MwStSystRL-DVO enthalten ist.

Ein Fernverkauf i. S. d. § 3a Abs. 3a Satz 2 UStG ist die Lieferung eines Gegenstands, der durch den Lieferer oder für dessen Rechnung aus dem Drittlandsgebiet an einen Erwerber in einem Mitgliedstaat befördert oder versandt wird, einschließlich jener Lieferung, an deren Beförderung oder Versendung der Lieferer indirekt beteiligt ist. Liefernder Unternehmer kann ein Drittlandsunternehmer, aber auch ein in der EU ansässiger Unternehmer sein.

Folgende Fälle sind entsprechend Art. 5a MwStSystRL-DVO sowie der von Deutschland zugestimmten Nr. 2 der Leitlinie Nr. 876 des MwSt-Ausschusses als indirekte Beteiligung des Lieferers am Versand oder der Beförderung der Gegenstände anzusehen:

  • die Versendung oder Beförderung der Gegenstände wird vom Lieferer als Unterauftrag an einen Dritten vergeben, der die Gegenstände an den Erwerber liefert;
  • die Versendung oder Beförderung der Gegenstände erfolgt durch einen Dritten, der Lieferer trägt jedoch entweder die gesamte oder die teilweise Verantwortung für die Lieferung der Gegenstände an den Erwerber;
  • der Lieferer stellt dem Erwerber die Transportkosten in Rechnung, zieht diese ein und leitet sie dann an einen Dritten weiter, der die Versendung oder Beförderung der Waren übernimmt;
  • der Lieferer bewirbt in jeglicher Weise gegenüber dem Erwerber die Zustelldienste eines Dritten, stellt den Kontakt zwischen dem Erwerber und einem Dritten her oder übermittelt einem Dritten auf andere Weise die Informationen, die dieser für die Zustellung der Gegenstände an den Erwerber benötigt.

Abgrenzung zur bisherigen Haftungsnorm (§ 25e UStG)

Wie zuvor dargestellt, erfasst die Fiktion des Reihengeschäfts zwei Anwendungsfälle:

  • Lieferung durch Drittlandsunternehmer an privaten Endkunden, Beginn und Ende im Gemeinschaftsgebiet
  • Gegenstand aus Drittland eingeführt, Lieferung an privaten Endkunden (sog. Fernverkauf), Warenwert höchstens 150 EUR.

In allen anderen Fällen der Lieferung über eine Online-Plattform bleibt es bei der Haftung des Plattformbetreibers nach § 25e UStG.

Zuordnung der Warenbewegung

Nach § 3 Abs. 6b UStG wird die Warenbewegung (die Beförderung oder Versendung) im Falle der Lieferung eines Gegenstands über eine elektronische Schnittstelle mit der Fiktion eines Reihengeschäfts nach § 3 Abs. 3a UStG immer der Lieferung des Plattformbetreibers (an den Endkunden) zugeordnet. Dementsprechend hat der eigentliche Versandhändler in diesen Fällen immer nur eine ruhende Lieferung an den Plattformbetreiber.

Nach § 4 Nr. 4c UStG ist diese (fiktive, ruhende) Lieferung des Versandhändlers an den Schnittstellentreiber, wenn steuerbar, immer steuerfrei.

Praxisbeispiel: Transportbeginn in der EU

Der in China ansässige Internet-Händler C verkauft Waren über einen Online-Marktplatz des Betreibers A. Ab 2022 liefert C, jeweils in Sachwerten bis 150 EUR, an Privatkunden DE in Deutschland

a. von einem Lager in Deutschland,
b. von einem Lager in Luxemburg

Lösung:

Reihengeschäft C – A – Kunde DE, § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG

Warenbewegte Lieferung A – Kunde DE, § 3 Abs. 6b UStG

  • Ort a): § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG in Deutschland (Lager in DE)
  • Ort b): § 3c Abs. 1 Satz 1 UStG in Deutschland (Lager in Luxemburg + kein § 3c Abs. 4 UStG, d. h. Umsatzschwelle von 10.000 EUR überschritten) – OSS gem. § 18j UStG möglich, da innergemeinschaftlicher Fernverkauf, § 3c Abs. 1 Satz 2 UStG

Ruhende Lieferung C – A,

  • Ort a): § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG in Deutschland; steuerfrei nach 4 Nr. 4c UStG
  • Ort b): Art. 31 MwStSystRL in Luxemburg; steuerfrei dort, Art. 136a MwStSystRL

Einfuhr durch C in Deutschland/Luxemburg: steuerpflichtig in Deutschland/Luxemburg, kein Import-One-Stop-Shop (IOSS; § 18k UStG) möglich, deshalb keine Steuerfreiheit der Einfuhr nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG, Art. 143a MwStSystRL.

Praxis-Beispiel: Transportbeginn im Dritland

Der in den USA ansässige Internet-Händler US verkauft Waren über einen Online-Marktplatz des Betreibers A. Ab 2022 liefert US, jeweils in Sachwerten bis 150 EUR, an Privatkunden DE in Deutschland von einem Lager in New York aus. A meldet die Waren in Deutschland zur Einfuhr an und nutzt den Import-One-Stop-Shop (IOSS).

Lösung:

Reihengeschäft US – A – Kunde DE, § 3 Abs. 3a Satz 1, 2 UStG

Drittland-Fernverkauf: § 3 Abs. 3a Satz 4 UStG

Warenbewegte Lieferung: A – Kunde DE, § 3 Abs. 6b UStG

  • Ort: § 3c Abs. 3 Satz 1 UStG Deutschland (steuerbar und steuerpflichtig)

Nicht warenbewegte Lieferung US – A

  • Ort: § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG USA, nicht in Deutschland steuerbar

Einfuhr durch A in Deutschland: Import-One-Stop-Shop (IOSS; § 18k UStG); steuerfrei nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG.

Praxis-Beispiel: Sachwert über 150 EUR

Der in den USA ansässige Internet-Händler US verkauft Waren über einen Online-Marktplatz des Betreibers A. Ab 2022 liefert US, jeweils in Sachwerten über 150 EUR, an Privatkunden DE in Deutschland von einem Lager in New York aus. A meldet die Waren in den Niederlanden zur Einfuhr an.

Lösung:

  • Kein Reihengeschäft US – A – Kunde DE, da Warenwert über 150 EUR (§ 3 Abs. 3a Satz 2 UStG)
  • Drittlands-Fernverkauf US – Kunde DE, § 3c Abs. 2 Satz 2, § 3 Abs. 3a Satz 4 UStG
  • Lieferung US – Kunde DE,
  • Ort: § 3c Abs. 2 Satz 1 UStG Deutschland (steuerbar und steuerpflichtig)
  • Einfuhr durch US in NL: steuerpflichtig, kein Import-One-Stop-Shop (IOSS; § 18k UStG), weil Warenwert über 150 EUR, deswegen kein Art. 143a MwStSystRL (§ 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG)
  • Mögliche Haftung durch A für USt-Schuld des US gem. § 25e UStG.

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Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer, Mehrwertsteuerreform, E-Commerce