Der Betreiber eines Online-Marktplatzes (M) wird bei bestimmten Lieferungen fiktiv so gestellt, als ob er die Lieferung des auf seinem Marktplatz tätigen Versandhändlers (V) selbst erhalten und als ob er diese Lieferung selbst an den Kunden (K) des Versandhändlers ausgeführt hat. Es wird also ein Reihengeschäft V-M-K fingiert.

Dies gilt für folgende Arten von Lieferungen:

  • Lieferung eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer (Versandhändler) an einen Nichtunternehmer;
  • Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR an einen Nichtunternehmer oder an einen Gelegenheitserwerber, der weder die maßgebende Erwerbsschwelle überschreitet noch auf ihre Anwendung verzichtet (im Fall der Beendigung der Beförderung oder Versendung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ist die von diesem Mitgliedstaat festgesetzte Erwerbsschwelle maßgebend); ausgenommen von diesen Fernverkäufen sind Lieferungen neuer Fahrzeuge und Montagelieferungen.

Diese Reihengeschäftsfiktion betrifft somit einerseits nur Lieferungen, die im Gemeinschaftsgebiet beginnen und enden, also sowohl rein innerstaatliche (z. B. inländische) als auch grenzüberschreitende Lieferungen innerhalb der EU. Diese Lieferungen müssen von Drittlandsunternehmern (Unternehmer ohne Ansässigkeit, d. h. insbesondere auch ohne feste Niederlassung oder Betriebstätte in der EU) getätigt werden. Wird die Lieferung durch einen in der EU ansässigen Unternehmer erbracht, greift die Reihengeschäftsfiktion insoweit nicht. Andererseits gilt die Reihengeschäftsfiktion nur für Fernverkäufe von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR. Insoweit kommt es auf die Ansässigkeit des liefernden Unternehmers nicht an. Unerheblich ist auch, in welchem EU-Mitgliedstaat die Ware mit einem Sachwert bis 150 EUR eingeführt wird.

 
Praxis-Beispiel

Warenverkauf eines chinesischen Versandhändlers aus einem Lager in Deutschland an einen deutschen Privatkunden

Ein in China ansässiger Versandhändler C veräußert über eine elektronische Schnittstelle (Online-Marktplatz – M) Computerzubehör an eine Privatperson D in Deutschland. Die Ware wird aus einem Lager in Deutschland an den Wohnsitz von D in Deutschland versendet.

Es wird eine Lieferung des C an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle (M) und eine Lieferung des M an die Privatperson D nach § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG fingiert. Die Warenbewegung wird nach § 3 Abs. 6b UStG der Lieferung des M zugeschrieben. Die Lieferung des C an M ist gem. § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG in Deutschland steuerbar, aber nach § 4 Nr. 4c UStG steuerbefreit. Die Lieferung des M an D ist gem. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig. § 3c Abs. 1 UStG (innergemeinschaftlicher Fernverkauf) findet keine Anwendung, weil die Ware nicht aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt.

M kann den OSS nach § 18j UStG in Anspruch nehmen und den Umsatz darüber erklären. Andernfalls hat M den Umsatz in Deutschland im allgemeinen Besteuerungsverfahren[1] zu erklären.

 
Praxis-Beispiel

Warenverkauf eines deutschen Versandhändlers aus einem Lager in Deutschland über einen Online-Marktplatz an einen Privatkunden in Frankreich

Ein in Deutschland ansässiger Versandhändler D veräußert über einen Online-Marktplatz (M) Sportschuhe an eine Privatperson F in Frankreich. Die Ware wird aus einem Lager des D in Deutschland an den Wohnsitz von F in Frankreich versendet. D überschreitet die Umsatzschwelle von 10.000 EUR.

Nach § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG wird keine Lieferung zwischen M und der Privatperson F fingiert, da D im Gemeinschaftsgebiet ansässig ist. § 3 Abs. 3a Satz 2 UStG findet keine Anwendung, da die Ware nicht aus dem Drittlandsgebiet eingeführt wurde. Für die Lieferung des D an die Privatperson findet § 3c Abs. 1 UStG (innergemeinschaftlicher Fernverkauf) Anwendung. Der Ort der Lieferung ist der Ort, an dem sich der Gegenstand bei Beendigung der Versendung an F befindet (hier: Frankreich). D kann den OSS nach § 18j UStG in Anspruch nehmen und den Umsatz darüber erklären. Andernfalls hat D den Umsatz im Bestimmungsland (hier: Frankreich) im allgemeinen Besteuerungsverfahren[2] zu erklären.

 
Wichtig

Funktion dieses fiktiven Reihengeschäfts

In allen vorgenannten Lieferfällen, die zu der Reihengeschäftsfiktion führen, entfällt eine etwaige Haftung des Marktplatzbetreibers[3], weil der Marktplatzbetreiber umsatzsteuerlich (nicht zivilrechtlich) so gestellt wird, als habe er die Ware selbst an den Endkunden geliefert (Behandlung wie ein Eigenhändler). In allen anderen Lieferfällen kommt ggf. unverändert die Haftung nach § 25e UStG in Betracht.

Infolge der Reihengeschäftsfiktion wird die Warenbewegung (die Beförderung oder Versendung des Liefergegenstands) in den entsprechenden Fällen immer der Lie...

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