Hartz IV Kürzung um 100 % wegen Pflichtverletzung
Dies entschied das Sozialgericht Leipzig (Urteil v. 16.6.2015, S 24 AS 2264/14 – nicht rechtskräftig). Der damals 23-jährige Kläger bezog bis Juli 2014 Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV). Das Jobcenter wies ihn einer Arbeitsgelegenheit zu, bei der er gegen eine Mehraufwandsentschädigung von 1,50 EUR in der Stunde an 20 Wochenstunden gebrauchte Möbeln aufbereiten sollte. Das tat dieser nicht, was entsprechende Folgen hatte.
Jobcenter zahlt kein Hartz IV
Nachdem der Kläger diese Arbeitsgelegenheit nicht wahrgenommen hatte, senkte das Jobcenter den Regelbedarf zunächst in den Monaten März bis Mai 2014 um 100 % ab und erbrachte lediglich Leistungen für Unterkunft und Heizung. Der Sanktionszeitraum wurde sodann im Widerspruchsverfahren durch das Jobcenter im Ermessenswege auf 6 Wochen vom 1.3. bis 11.4.2014 verkürzt. Auf entsprechende Anträge hin wurden dem Kläger für den Sanktionszeitraum Gutscheine für Sachleistungen im Wert von insgesamt 300 EUR gewährt.
Minderung des Arbeitslosengeldes II für Unter-25-Jährigen
Mit seiner Klage machte der Hartz IV-Bezieher geltend, die Sanktionsregelung für Unter-25-Jährige sei verfassungswidrig. Die Sanktion stelle insbesondere einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG dar, da eine Ungleichbehandlung zwischen Über-25-Jährigen und Unter-25-Jährigen nicht gerechtfertigt sei.
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen u. a. dann ihre Pflichten, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, eine zumutbare Arbeitsgelegenheit aufzunehmen (§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II). Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mindert sich das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nicht nur wie bei den Über-25-Jährigen um 30 %, sondern um 100 % der Regelleistung (§ 31a Abs. 2 Satz1 SGB II). Die regelmäßig dreimonatige Dauer der Sanktion kann bei Unter-25-Jährigen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf 6 Wochen verkürzt werden (§ 31b Absatz 1 Satz 4 SGB II). Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % des Regelbedarfs können auf Antrag ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen (Gutscheine) erbracht werden (§ 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II).
Kürzung verstößt nicht gegen menschenwürdiges Existenzminimum
Das Sozialgericht ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Die im Gesetz für Unter-25-Jährige vorgesehene Minderung i. H. v. 100 % des maßgebenden Regelbedarfs bei einer ersten Pflichtverletzung verstoße nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Auch dieses Grundrecht gewährleiste nämlich keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Erbringung von voraussetzungslosen Sozialleistungen. Der Schutz des Grundrechts sei im vorliegenden Zusammenhang insbesondere dadurch gewährleistet, dass der Sanktionszeitraum auf 6 Wochen beschränkt werden könne und eine Unterdeckung der physisch existentiellen Bedarfe aufgrund der Gewährung von Gutscheinen fast auszuschließen sei. Auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Schärfere Sanktionen für Unter-25-Jährigen
Die schärfere Sanktion bei Unter-25-Jährigen sei geeignet, das gesetzgeberisch verfolgte Ziel zu fördern, Langzeitarbeitslosigkeit in dieser Personengruppe frühzeitig zu verhindern. Dabei habe der Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung der Effektivität des von der Sanktion ausgehenden Abschreckeffektes eine Einschätzungsprärogative. Deshalb und mangels einschlägiger wissenschaftlicher Analysen zur Wirkung von Sanktionen auf Unter-25-Jährige könne im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine mildere Sanktion die gleiche Wirkung erziele.
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